Ein Zwischenruf zwischen den Jahren

Die bevorstehende Zeit zwischen Weihnachten, Jahreswechsel und dem 6. Januar galt früher als „Heilige Zeit“. Ich erinnere mich noch, dass meine Mutter mit einer unnachahmlichen Mischung aus Schalk und Ernst in den Augen uns Kinder regelmäßig daran erinnerte, dass die in den 12 heiligen Nächten geträumten Träume in Erfüllung gehen und dass tagsüber keine Wäsche zum Trocknen aufgehängt werden darf. Seit altersher werden diese zwei Wochen gern als „Zeit zwischen den Jahren“ bezeichnet. Zwischen den Jahren – der Ablauf der Zeit ist aufgehalten, die Weltuhr macht sozusagen eine Pause, Atemholen ist angesagt, in Ruhe dürfen wir Kraft schöpfen.

Zwischen den Jahren – das erinnert mich auch an den Titel einer Zeitschrift, die junge Theologen nach dem 1. Weltkrieg in Deutschland herausgegeben haben und die sie „Zwischen den Zeiten“ nannten. Mit diesem Titel nahmen Karl Barth, Emil Brunner, Rudolf Bultmann und andere Bezug auf einen gleichnamigen Aufsatz, den der Thüringer Pfarrer Friedrich Gogarten kurz nach Kriegsende veröffentlicht hatte. Der hatte gespürt, dass viel mehr als nur eine militärische Niederlage geschehen, sondern dass eine alte Zeit unwiderruflich zu Ende gegangen war und eine neue noch nicht wirklich begonnen hatte. Mit schonungsloser Offenheit fragte er nun, ob unsere liebgewordenen Vorstellungen von der Wahrheit Gottes mit in den Strudel des Zusammenbruchs der alten Welt hineingerissen werden und was dann von ihnen übrig bleibt.

Ich will den Vergleich mit unserer Zeit nicht überstrapazieren, aber ein wenig ähnelt unsere Lebens- und Wirklichkeitserfahrung am Ende des Jahres 2020 dem, worüber Gogarten damals nachdachte, auch wenn scheinbar die Frage nach der Wahrheit unserer Vorstellungen von Gott nicht mehr die Hauptrolle spielt. Wie gesagt: scheinbar.

Unser Vertrauen in die Sicherheit des Bestehenden ist brüchig geworden. Wir spüren, dass nicht alles machbar ist. Politische Verantwortungs – und wissenschaftliche Erkenntnismöglichkeiten sind offensichtlich begrenzt und müssen sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen. Das ist damals wie heute der gefährliche Nährboden für Quergedachtes und für Verschwörungstheorien. Zum Glück entlädt sich deren negative Energie bisher eher lächerlich und jedenfalls nicht so militant und martialisch wie nach 1918. Dennoch sollten wir rechtzeitig an der Entgiftung dieses Nährbodens arbeiten, klug und besonnen, ehe er noch schlimmere Früchte hervorbringt.

Die Einsicht, dass wir zwischen den Zeiten leben, kann uns vielleicht zu dieser Klugheit und Besonnenheit helfen. Etwas mehr Gelassenheit und etwas weniger Hysterie würden uns gut zu Gesicht stehen. Sie wären damals übrigens auch den Herausgebern der genannten Zeitschrift zu wünschen gewesen, die sich leider nach wenigen Jahren nicht nur, aber überwiegend in einer Mischung aus Missverständnissen und Rechthaberei rettungslos zerstritten und entzweiten. Ein warnendes Beispiel.

Christoph Ehricht

Der Stern von Bethlehem

Bettina Zarneckow

Hat's einen Stern denn je gegeben,
in Bethlehem, vor langer Zeit?
Die Wissenschaft sucht's zu belegen,
der Glaube ist's der Christenheit.
Mein Herz verlangt nach der Geschichte,
's braucht nicht die Wissenschaft.
Das Christuskind im Weihnachtslichte,
Geborgenheit und Freude schafft.
Drum lass vom Größten dich umfangen,
viel größer als du je gedacht.
Die Wärme wird ins Herz gelangen,
der Glanz der stillen, Heilgen Nacht.

Lutherbibel 2017

Die Weisen aus dem Morgenland

1 Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: 2 Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten. … 7 Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, 8 und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass auch ich komme und es anbete. 9 Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. 10 Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut 11 und gingen in das Haus und sahen das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. 12 Und da ihnen im Traum befohlen wurde, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem andern Weg wieder in ihr Land.

Vor einigen Tagen konnten wir eine für alle am Sternenhimmel sichtbare Planetenkonjunktion, große Konjunktion genannt, verfolgen. Die beiden Planeten Jupiter und Saturn kamen sich noch vor Heilig Abend besonders nah. Vom 16. bis 21. Dezember holte Jupiter Saturn ein. Wir erlebten die äußerste Annäherung der beiden Planeten seit 1623, so die Berechnungen von Astronomen. Zu sehen am abendlichen südwestlichen Himmel zusammen mit der zunehmenden Sichel des Mondes. Ich hab es beobachten können. Ein wirklich schönes Bild. Diese große Konjunktion, der Stern von Bethlehem also, der zur Geburt von Jesus den Weisen aus dem Morgenland den Weg gewiesen hat, ist dann wieder in dieser Nähe in 400 Jahren zu sehen.

Bange Wahl?

„Zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden bleibt dem Menschen nur die bange Wahl.“ Friedrich Schiller – Das Ideal und das Leben

Ob Sinnenglück, ob Seelenfrieden,
wie willst Du Dich entscheiden?
Wenn Seelenfrieden du erwählst,
sollst Sinnlichkeit du meiden?
Wie kann die Seele Frieden finden,
müsst' sie aufs Glück verzichten?
Nein, beides ist gut zu verbinden.
Die Seele selbst wird's richten.
Nimmst du den Sinnen ihre Macht,
verschließt das Seelentor,
die Schwermut sich ins Fäustchen lacht.
Das Unglück ist ganz ohr.
Drum richte dich nach deinem Herzen,
's versteht mehr als der Verstand.
Ersparte manches mal dir Schmerzen,
der Seele treuer Adjutant.

Bettina Zarneckow

Deutsch oder Newspeak? Fortdauerndes Hassen

Gegenüber Deutschland und den Deutschen hege ich gemischte Gefühle. Die Verführbarkeit meiner Landsleute zu fremdem Wesen enttäuscht mich. Ihre Borniertheit, mit der sie oft das Irrige und Maßlose betreiben, ist mir unheimlich. Ihre Formlosigkeit und alles Unwesen, was damit einhergeht, ist mir ein Greuel. – Nichtsdestotrotz bin ich aber in einem gewissen Sinne höchst patriotisch gestimmt! Mein Heimatland ist die deutsche Sprache! In ihr bin ich zuhause. Der einzige und abgrundtiefe Hass zu dem ich fähig bin, gilt deshalb den konformistischen Sprachverhunzern, die offenbar meinen, sie seien aufgerufen im Sinne ihrer Utopie einer braven, neuen Welt, den Gebrauch der deutschen Sprache zu strangulieren.

Das „Vergendern“ der Lexik, die generische Feminisierung der deutschen Sprache ist offenbar die Königsdisziplin dieser Typen. Wie soll man es verkraften, wenn die Primadonna der Sprachverhunzer hierzulande, mit ihren gestotterten Wortschöpfungen mit betonter Pause im Wort („Der Präsident des Bundes der Steuerzahler – Pause – innen…“) durch die Versprachlichung der Sternchen und Binnen-Is grinsend vor aller Augen die deutsche Sprache vergewaltigt?

Wer begeistert von Orwells Neusprech das lebendige Deutsch in eine „Lingua Blablativa“ (Niklas Luhmann) verwandeln will, sollte vom Bildschirm verschwinden. Ich gehe noch weiter. Und habe dabei Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) an meiner Seite, der uns dieses kleine Manifest hinterlassen hat: „Wer in derselben Sprache erzogen ward, wer sein Herz in sie schütten, seine Seele in ihr ausdrücken lernt, der gehört zum Volk dieser Sprache…Mittels der Sprache wird eine Nation erzogen und gebildet; mittels der Sprache wird sie ordnungs- und ehrliebend, folgsam, gesittet, umgänglich, berühmt, fleißig und mächtig. Wer die Sprache seiner Nation verachtet…wird ihres Geistes…gefährlichster Mörder.“

Rolf Henrich

Wunder

Wenn Flocken leis' vom Himmel schweben,
dann glaub ich fest sind's Federlein,
von Engleins Flügeln uns gegeben.
Als Schnee sie so zur Erde schnein.
Und wenn ein Stern am Himmel steht,
uns strahlt mit samt dem Sternenstaub,
wünsch ich mir, dass er nie vergeht,
weil ich noch gern an Wunder glaub'.
Als uns das Christkind ward geboren,
das größte Zeichen nun vollbracht.
Kein Mensch ist jemals mehr verloren,
durch's Wunder dieser Weihnachtsnacht.
Drum freu dich an der schönen Zeit,
ruf Deine Kindheit dir zurück.
Spür Zauber und Beschaulichkeit,
sei dir bewusst, es ist ein Glück.

Bettina Zarneckow Heilig Abend 2019

IN BERLIN GEHT’S JETZT ANS EINGEMACHTE (Lockdown 2.0-1)

Berlin, det Datum weeß ick nich,/keenen Kalender hab ick nich,/die Tinte is mir injefroren,/ die Feder hab ick ooch verloren,/der Bleistift is mir abjebrochen,/vor Angst bin ick ins Bett jekrochen.*

Soviel Angst war nie. Todesangst, Ansteckungsangst, Existenzangst, Angst vor Verlust der eigenen Firma, Bußgeldangst, Versammlungsangst, Verleumdungsangst, Überwachungsangst. Verordnungsumsetzungsangst. Oder anders gesagt: Besuchsverbote, Versammlungsverbote, Bewirtungs- und Beherbergungsverbote, Sportverbote, Musik-, Theater-, Tanz- und Kabarettverbote uvm.. Das weltoffene, gastfreundliche und hippe Berlin, seit dem Fall der Mauer vor dreissig Jahren avanciert zu „ everybodies darling“, ist garstig und trist geworden und liegt kulturell und wirtschaftlich am Boden.

Und auch zur Advents- und Weihnachtszeit leisten die staatlichen Verordnungs- und Kontrollmechanismen ganze Arbeit: Statt ‚Macht hoch die Tür, die Tor macht weit‘ tönt es ‚Abstand-Hygiene-Alltagsmaske‘. Anstelle der Weihnachtsoratorien und -spiele die Schwarzen Messen der Konformität auf allen Kanälen. Statt ‚Fürchtet Euch nicht‘ der verordnete ‚Krieg gegen Corona‘. An die Stelle von ‚Gloria in Excelsis‘ platzieren sich die ‚PCR-Test-Zahlen‘. Ob zwei oder drei oder fünf zehn am Weihnachtsfest zusammen sind, bestimmt das Coronakriegs-Regime. Das hat es in zweitausend Jahren nicht gegeben.-Wie Vertriebene in der eigenen Stadt sind die BerlinerInnen in diesen Tagen. Vertrieben aus ihren Arbeitsplätzen, staatlich unerwünscht in ihren Gasthäusern, ausgeschlossen aus ihren Cafes und Servicebetrieben, verbannt aus ihren Theatern und Konzertsälen, betrogen um ihre Wertschöpfung, vermummt auf den Straßen und Bahnhöfen. Nahrung nur zum Mitnehmen. Gemeinsame Mahlzeiten, Freude am Austausch, Vis-a-vis, Gespräche waren gestern. „Alles zu Euerm Schutz“, orchestrieren die Medien, Regierungs-sprecher, Senatskanzleien und Werbeagenturen des Propagandafeldzugs.

Wie in eine weltweite, menschheitliche Selbstgefangenschaft hat uns Alle die Furcht vor einer Ansteckung mit einer Atemwegserkrankung durch ein Virus geführt. Eine Erkrankung, über die wir wenig wissen, die meist milde verläuft, aber auch zu schweren Lungenkomplikationen und Tod führen kann. Und obwohl wenig gewußt wird, hat das Panikorchester Drosten, Wiehler, Merkel, Spahn, Söder, Müller & Co das alleinige Heft in die Hand genommen und die Ärzteschaft, das Heilwesen, die autonome Medizin entmündigt, setzt auf Koeffizienten, statistische Kurven und vor allem aufs Wegimpfen der Gefahr. Hunderte Millionen Impfdosen sind bereits bestellt, obwohl kein tauglicher Impfstoff noch nicht entwickelt und zugelassen ist. Impfzentren sind im Bau.

„Der Mensch ist ein im Spiegelkerker Gefangener“ fand C. Morgenstern in seinen “Stufen“. Er durchschaute in lebenslangem Üben, dass unser Erkenntnisvermögen nicht nur eine Spiegelreflexkamera der Sinneserscheinungen ist, sondern ein schöpferischer Prozess der Entwicklung und Weltverwandlung. In unserem Falle: Wenn wir schon wenig über die Krankheit und deren Heilung erkennen oder denken wollen, testen wir wenigstens sinnlich erfahrbare Spuren eines „Verursachers“ herbei.

Morgenstern war kein Berliner. Aber er weilte hier oft und gerne, schuf den Großteil seiner Galgenlieder und Gedichtzyklen in diesem Milieu. Es haben sich wie er in den vergangenen zweihundert Jahren unzählige Persönlichkeiten ins Gästebuch der Stadt eingeschrieben, die künstlerisch, denkerisch, forschend und handelnd die seelisch-geistige Dimension unseres Menschseins erschlossen haben und uns nicht im Nebel der Statistik und theoretischer Reduktion auf die Physis belassen haben. Eine lichte Saat, die nun keimt und aufgehen kann, wo die Stadt leise stirbt. Die Herbergen sind verschlossen, aber die Geburten finden statt- im Stillen in jedermensch und lebenskräftig.- Warum ich mich so auf Berlin und seine Bewohnerschaft konzentriere, wo wir doch in einer Menschheitsangelegenheit gefragt sind? Weil A mir dieser geistige Ort am Herzen liegt und er so schöne Kinderreime hervorgebracht hat, B weil die Berliner helle sind und mit unverwüstlichem Humor beseelt und C weil mir die Stadt zum Organ meiner sozialen Wahrnehmung geworden ist.

Kommt’n Schiff jefahren, / is noch nich beladen./ Wer wat jibt is Engelken,/ wer nischt jibt is Deibelken. * (Noch’n Alt-Berliner Kinderreim)

Scherenschnitt von Chr. Morgenstern, der am 6.5.2021 150 wird

Manfred Kannenberg-Rentschler, Berlin, den 2.12.20.-

An diesem Tag vor 120 Jahren starb im Urban-Krankenhaus in Kreuzberg der Dichter und Herausgeber Ludwig Jacobowski, Gründer und Veranstalter des Künstler- und Schriftsteller- Klubs Die Kommenden am Nollendorfplatz.- An diesem Tag wird die Schriftstellerin und Malerin Andrea Hitsch in Arlesheim/Schweiz im zugelassenen Rahmen von zehn Teilnehmern aus den Briefen Jacobowkis lesen. Der Geist weht, wo er will.