Deutschland schuldet der Ukraine nichts

Der deutsche Bundespräsident Steinmeier wollte am 12.4.22 mit seinen Kollegen aus Polen, Litauen, Estland und Lettland nach Kiew zu einem Solidaritätsbesuch reisen. Die Kollegen mit dem polnischen Präsidenten Duda als Reiseleiter, der den Besuch vorbereitet hatte, wurden in Kiew von ihrem Kollegen Selenskyj herzlich empfangen. Nur ihr Kollege Steinmeier hatte Warschau Richtung Berlin verlassen müssen, was die Reise der Gruppe nach Kiew aber nicht aufgehalten hat. Er war brüsk durch eine schriftliche Mitteilung an die deutsche Botschafterin in Kiew und über den peinlich berührten polnischen Präsidenten vom ukrainischen Präsidenten ausgeladen worden. Die Journaille wurde auch informiert. Der ukrainische Präsident legte es darauf an, alles öffentlich und nicht über verschwiegene diplomatische Kanäle zu betreiben.
Der deutsche Bundespräsident wird von der Ukraine zur persona non grata degradiert. Die politische Klasse sieht in Deutschland „bedeppert“ oder sogar verständnisvoll zu.
Seine Entschuldigung wegen der deutschen Ostpolitik sei nicht glaubwürdig, hatte der ukrainische Botschafter schon vorher voller Empörung öffentlich erklärt. Jetzt hieß es neu, der Bundespräsident habe ja leider „nichts zu sagen“. Der Bundeskanzler dafür umso mehr, er sei freundlich nach Kiew eingeladen. Offenbar handelt es sich bei den Forderungen der Ukraine um die Eintreibung von Bringschulden. Der Anblick von Opfern russischer Kriegsverbrechen soll offenbar Einwendungen des Bundeskanzlers moralisch von vornherein unterlaufen.
Die verunglückte Vergangenheitsbewältigung des ehemaligen Außenministers Steinmeier ist eine Demütigung für Deutschland. Er hat die Ostpolitik der damaligen Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel verleumdet und zudem mit der Kritik deutsche Interessen empfindlich verletzt. Warum gibt es Institute für Zeitgeschichte? Wenn jetzt der ukrainische Präsident Deutschland eine Mitschuld am Krieg zuweist, kann er sich auf den deutschen Bundespräsidenten berufen. Überdies scheint es derzeit genauso viele Kritiker der Ostpolitik wie seinerzeit Befürworter zu geben.
Die ganze Angelegenheit ist irgendwie tragikomisch. Sie parodiert gleichsam den Kniefall des Bundeskanzlers Willy Brandt am 7.12.1970 in Warschau, ein wichtiges Symbol seiner Ostpolitik. In Deutschland besteht inzwischen eine Art ritualisierte Vergangenheitsbewältigung. Eine möglichst glaubwürdige Entschuldigung gehört dazu. Wer sich verteidigt, klagt sich an. Wer dagegen sofort um eine Entschuldigung bittet, wird freigesprochen.
Herrn Selenskyj ist nicht nachzuweisen, dass er diese deutschen Feinheiten selbstquälerischen Verhaltens kennt und einen Plan hatte.
Der ukrainische Präsident hat seinem Kollegen Steinmeier jedenfalls eine Entschuldigung für die angeblich falsche Ostpolitik nicht zugestanden. Der Kollege Selenskyj benutzt Steinmeiers Bitte, um Deutschland eine Mitschuld am Krieg anzulasten. Er begnügt sich nicht mit den schon gezahlten Milliarden Euros und gelieferten Waffen an die Ukraine. Er anerkennt nicht, dass Deutschland die Ukraine nur bei einem Verständigungsfrieden unterstützen will. Weder die Interessen noch die Geschichte aus zwei Weltkriegen lässt für Deutschland anderes zu. Es geht ja nicht um Putin gegen Selenskyj sondern um die Ukrainer und die Russen.
Der ukrainische Präsident will den Krieg siegreich beenden. Sein politischer Wille umfasst offenbar neuerdings auch die Rückgabe der Krim, was auf wenig Entgegenkommen bei Verhandlungen mit den Russen schließen lässt und ihr Scheitern nahelegt.
Der ukrainische Präsident Selenskyj benutzt die angebliche Mitschuld der Deutschen am Krieg, um die Forderungen wegen Lieferung schwerer Waffen und Geld mit einem moralischen Argument auch gegen den Willen des zögerlichen Bundeskanzlers Scholz durchzusetzen. Er hofft auf die deutsche Öffentlichkeit. Die Unterstützung von Teilen der Grünen, der FDP und der CDU hat er schon gewonnen.
Zur Position der Bundesregierung siehe auch: „Eine Kapitulation der Russen ist nicht zu erwarten“
Deutschlands Isolierung von den anderen NATO-Staaten verstärkt sich dadurch, dass die von Willy Brandt und Egon Bahr begonnene Ostpolitik weiterhin die deutsche Politik bestimmen muss. Eine große Herausforderung angesichts des von Russland gegen die Ukraine begonnenen Aggressionskriegs, der das Leben vieler Menschen zerstört oder gar elend beendet hat.
Dazu auch: „Die Nato schleicht sich in einen Krieg mit Russland“
Russland, die Ukraine und Deutschland brauchen trotz allem einander aus wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Gründen. Im Grunde weiß das jeder, der mit der Geschichte der Länder vertraut ist. Was spricht nach einem Frieden gegen eine Zusammenarbeit, die neu begonnen werden muss? Dagegen spricht alles gegen eine Isolierung der Russen in Europa und eine ihnen aufgezwungene Hinwendung Richtung China/Asien.
Das Ziel Deutschlands kann nur ein Verständigungsfrieden zwischen der Ukraine und Russland sein.
Reinhart Zarneckow
Wenn jemand für eine verfehlte Politik um Entschuldigung bitten muss, dann ganz gewiss nicht die, die sich für Versöhnung, Verständigung und besonnenen Interessenausgleich zu beiderseitigem Nutzen eingesetzt haben. ( N.b.: Mir hat noch keiner wirklich erklärt, worin das Verwerfliche am Projekt NordStream 2 bestand. Das jetzt allenthalben zur Schau getragene schlechte Gewissen hat für mich Züge des Absurden.!) Die Verantwortlichen für diese Politik müssen jetzt allenfalls ihr Versagen darin erkennen, dass sie nicht konsequent genug europäische Interessen verfolgt, am Aufbau einer europäischen Sicherheitsstruktur mit Russland gearbeitet und auf die Durchsetzung des Minsker Abkommens gedrungen haben.
Entschuldigen werden sich wohl aber die müssen, die in nationalistischer Verblendung, gefährlicher Paranoia, kultureller Hybris und Großmachtstreben Gewalt angewendet oder in Kauf genommen haben oder aus globalstrategischen, nicht zuletzt irregeleiteten ökonomischen Interessen den Zündfunken eines militärischen Konfliktes am Glimmen hielten – Politiker in Moskau, Washington, in der NATO und der EU und – so schwer es fällt, das heute zu sagen – auch in der Ukraine. Also alle, die aus unterschiedlichen Gründen Gorbatschows Vision vom gemeinsamen europäischen Haus, die nach 1989 zum Greifen nahe zu sein schien, für eine Bedrohung ihrer Macht hielten. Eine von völlig unbegründetem Schuldbewusstsein geprägte deutsche Politik wird keinen wirksamen Beitrag zur Beendigung des sinnlosen Krieges leisten.
Wenn jetzt ein Politiker der Grünen vollmundig erklärt, es gäbe keinen vernünftigen Grund gegen die Lieferung schwerer Waffen an Kiew – ich kann ihm gerne eine ganze Reihe vernünftiger Gründe nennen. Und wer jetzt nach der Absage des Steinmeier-Besuchs in Kiew aus offenkundigem parteipolitischem Kalkül dem Bundeskanzler vorwirft, einer Einladung dorthin nicht gleich zu folgen, der kann von mir als verantwortlicher Politiker nicht ernst genommen werden, leider.
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Nord Stream 2 ist fertig und bereit. Wenn jemand auf die schlaue Idee kommt, die Energie via Ukraine nicht durchzulassen. Im Prinzip vermute ich, dass einige Bundestagsreden aus der Zeit vor 1970 wiederverwertet werden. Interessant, dass die Journaille die Zurückhaltung des Bundeskanzlers als ein Zögern und nicht als politisches Handeln durch Unterlassen bewertet. Ich hoffe, dass sich Macron und Scholz nach der Wahl in Frankreich mit den Herren Putin und Selenskij zusammensetzen und nicht Biden und Johnson das Feld überlassen.
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