Der Vorsitzende der AFD-Fraktion im Landtag von Brandenburg Herr Kalbitz hat vom Bundesschiedsgericht seiner Partei am letzten Sonnabend eine Mitteilung erhalten. Es bleibt bei seiner vom Bundesvorstand der AfD mehrheitlich beschlossenen Annullierung der Parteimitgliedschaft. Herrn Kalbitz stört das nicht sonderlich. Er wird den Vorsitz seiner Fraktion nicht niederlegen.
Das Vorgehen der Kämpfer Prof. Meuthen einerseits und Herr Kalbitz andererseits verwirrt. Die Zivilkammer 63 des Landgerichts Berlin hatte durch Entscheidung vom 19.6.20 mit unmissverständlicher Eindeutigkeit unter Hinweis auf § 10 Parteien G erklärt, dass nur ein Parteischiedsgericht und keinesfalls der Bundesvorstand der AfD in eine bestehende Parteimitgliedschaft des Herrn Kalbitz eingreifen kann. Und es spricht nichts dafür, dass das Landgericht seine Rechtsansicht in einem weiteren Hauptverfahren ändern wird. Es ist also derzeit völlig piepe, ob Herr Kalbitz eine Mitgliedschaft in einer rechtsextremistischen Organisation bei seinem Beitritt verschwiegen und sich so die Mitgliedschaft in der AfD erschlichen hat. Oder ob er im Sinne von § 10 Abs. 4 Part G der AfD durch erhebliche Verstöße einen schweren Schaden zugefügt hat. Dazu werden wir nichts erfahren, sollen es wohl angesichts einer sehr merkwürdigen Quellenlage auch gar nicht.
Das Management der Herren Meuthen und Kalbitz begrenzt die Auseinandersetzung auf Zuständigkeitsfragen. Fällt die Zuständigkeit des Bundesvorstandes, fällt die Annullierung der Mitgliedschaft des Herrn Kalbitz in der AfD.
Nochmal. Der Bundesvorstand der AfD war nicht berechtigt, die Mitgliedschaft von Herrn Kalbitz zu annullieren, das durfte nur ein Schiedsgericht der AfD.
Herr Prof. Meuthen hätte sich also für seinen Bundesvorstand an das Landesschiedsgericht der AfD in Brandenburg wenden müssen, wenn er wirklich ernsthaft gegen Herrn Kalbitz hätte vorgehen wollen. Das wissen natürlich alle Beteiligten. In der AfD wimmelt es geradezu von Juristen, die sich vor ihrer politischen Karriere ihr Brot als Justitiare, Staatsanwälte und Rechtsanwälte verdient haben. Es erstaunt mich nicht, mit welcher Ruhe und anscheinender Souveränität sich beide Seiten im Laufe der Verfahren äußern und verhalten, ein interessantes Sommertheater mitten hinein in die nach künstlerischen Ereignissen dürstende Zeit der Corona gestalten.
Ich behaupte, dass Herr Prof. Meuthen und Herr Kalbitz eine sogenannte Winwin-Strategie verfolgen. Der Professor will im Hinblick auf die Wahlen 2021 durch eine energische Haltung gegen Extreme – rechts Bündnispartner gewinnen. Wenn das Landgericht Berlin oder gar in letzter Instanz das Bundesverfassungsgericht den Bestrebungen für die Reinheit der Partei vom Rechtsextremismus ein juristisches und somit schwer verständliches Nein entgegensetzen, kann sich Herr Prof. Meuthen die Hände in Unschuld waschen – Win. Und Herr Kalbitz wird mit seiner Unerschütterlichkeit und bayerischen Konzilianz nicht nur gerne den Beifall seines Anhangs entgegennehmen. Der Familienvater erhält vielleicht sogar seine (politische) Unschuld zurück – Win-win. Dagegen erscheint die Gefahr einer Spaltung der Partei, weil einige die Sache ernst nehmen könnten, beherrschbar.
Haben die beiden Herren das wirklich so genau durchdekliniert? Ich traue es ihnen in jeder Hinsicht nicht zu. Aber sie haben das Szenarium in ihrer Pupille und sind optimistisch.
Ein bisschen bin ich beunruhigt. Ist das wirklich alles so bescheuert verlogen und gelten wir Ostdeutsche als etwas naiv, gutgläubig, naja auch sehr lieb, mit denen kann man es machen? Oder bin ich falsch? Das habe ich in einem anderen Zusammenhang, siehe in diesem Blog meinen Beitrag vom 21.3.20 “Demokratie, Coronaviren, Mundschutz – es könnte so einfach sein” schon einmal befürchtet.
Fazit: Herr Kalbitz bleibt Mitglied der AFD. Der Herr Professor schmunzelt. Und viele Mitglieder der AfD grübeln und sind verstimmt.
Reinhart Zarneckow