Der Bundesvorstand hat die Mitgliedschaft eines Herrn Kalbitz in der AfD für nichtig erklärt. Bei Herrn Kalbitz handelt es sich um den Fraktionsvorsitzenden der AfD im Brandenburgischen Landtag und nunmehr ehemaligen Vorsitzenden des Landesverbandes. Der Sprecher des Bundesvorstandes Meuthen ist also dabei, seine AfD zu säubern. Dann sollte aber auch ihre politische Quarantäne beendet werden. Dazu sinne ich jedermanns Zustimmung an. Auch die des Herrn Ministerpräsidenten Söder aus Bayern, der die AfD für die nahe Zukunft als Wrack ausgemacht und diese Erkenntnis in die Welt gepostet hat. Solche „bad news“ schwächen angeblich die AfD, weil kein vernünftiger Mensch auf einem Wrack bleiben wird.
Die Wiederaufnahme von Herrn Meuthen in den Kreis geschätzter Gesprächspartner würde zwar die Diskussionen in den mehrstimmigen Chören der Talkshows nicht spannender machen. Aber in der Partei könnte durch Säuberungsaktionen wie der a la Meuthen die Spreu vom Weizen getrennt werden. Mitglieder würden ihm die Aufhebung der Quarantäne sicherlich danken. Insbesondere die Beamten unter den Mitgliedern würden aufatmen, weil sie sich ihrer Verfassungstreue aufgrund der Ermittlungen des Verfassungsschutz nicht mehr sicher sein können. So wohl der Plan.
Es gibt zwei Punkte, die bedenklich stimmen. Es gibt Experten, die eine rechtsextremistisch getönte “Spreu” insbesondere bei den ostdeutschen Landesverbänden ansiedeln. Manche prognostizieren wegen der Säuberungsaktion des Herrn Meuthen eine Spaltung der AfD, weil die Ostdeutschen ihren Herrn Kalbitz aus Bayern, verheiratet mit einer Britin und Vater von zwei Kindern, behalten wollen. Herr Meuthen sieht das nicht so.
Es gibt einen weiteren Punkt der stört. Herr Meuthen beruft sich ohne Nennung der Quelle in der Sendung Maischberger auf Informationen von Mitte April 20, die zu den Untersuchungen des Bundesvorstandes mit dem Ergebnis des Ausschlusses von Herrn Kalbitz aus der AfD führten. Herr Kalbitz sei ein guter Mann, er habe aber seine Mitgliedschaft in der HDJ (Heimattreue Deutsche Jugend, rechtsextremistische Organisation, 2009 verboten) verschwiegen, wäre bei Kenntnis von ihr nie Mitglied geworden, seine Aufnahme sei deshalb nichtig, so der für Recht und Ordnung gerade stehende und die Angelegenheit angeblich keinesfalls politisch betrachtende Herr Professor Meuthen.
Tatsächlich liegen Indizien für eine wohl spätestens 2009 beendete Mitgliedschaft in dieser neonazistischen Jugendorganisationen vor. Eine solche Mitgliedschaft wird in dem Gutachten des Bundesverfassungsschutzes, Stand 15.1.2019 – geheime Verschlusssache, nur für den Dienstgebrauch, ins Netz gesetzt durch netzpolitik.org – noch nicht erwähnt. Dafür aber nach Presseberichten wohl in einem späteren Gutachten von März 2020. Jedenfalls hat Herr Kalbitz offenbar in Kenntnis der Berichte in einem 5 Seiten langen Brief an die Mitglieder des Bundesvorstandes der AfD eine solche Mitgliedschaft und wohl noch einiges andere bestritten, Herr Kolbe sollte seinen Brief veröffentlichen.
Es stört mich, dass der Verfassungsschutz anscheinend nicht nur Nachrichten sammelt und seinem Dienstherren zukommen lässt sondern darüber hinaus Einzelheiten aus Gutachten zur AfD öffentlich werden lässt und so bewusst Politik gestaltet. Oder ist der Verfassungsschutz genauso blind in dieser höchst politischen Angelegenheit wie der Mitarbeiter, der vor einigen Jahren den gerade durch deutsche Rechtsextremisten getöteten Leichnam eines türkischen Mitbürgers beim Verlassen eines Cafes übersah?
Offensive politische Mitgestaltung durch eine angeblich nicht beabsichtigte Beihilfe bei der Teilung der AfD in Ost und West, das ist hier die Frage. Mir erscheint eine extrem rechts verankerte Partei der Ostdeutschen, von den Herren Meuthen, Kalbitz und Höcke vielleicht sogar herbeigesehnt, nicht wünschenswert. Nach 30 Jahren der Überprüfung wegen des Verdachts der Stasikomplizenschaft bitte nunmehr nicht noch die Inszenierung moralischer Aufschreie wegen einer signifikanten Neigung der Ostdeutschen fürs Rechtsextreme in allen Talkshows und wo auch immer bis hin zu den Kirchen. Und der Verfassungsschutz hat mit allem nichts zu tun.
Mir wird das alles etwas viel, zumal noch bis 2030 zehn Jahre der Überprüfung wegen Stasizugehörigkeit für Beamte, Abgeordnete und wichtige Amtsträger bevorstehen. Die Ostdeutschen sind mit Geschichte ausgelastet, sie haben überdies dank 40 Jahren DDR, nein dank auch der Inspiration einiger Bürgerrechtler, eine feine Stasiunterlagenbehörde. Da braucht der Inlandsgeheimdienst nicht draufpacken. Denn es gibt trotz allem noch eine Zukunft, die wir Ostdeutschen in einem demokratischen Rechtsstaat möglichst ohne Anwürfe, Gespenster der Vergangenheit und neue Feindbilder mitgestalten wollen.
Deutschland sollte auf einen politischen Verfassungsschutz verzichten. Ein Verfassungsschutz, der sich anbiedert, um Parteien auf ihre Verfassungstreue zu überwachen, der die notwendige politische Auseinandersetzung in den Parlamenten und anderswo nur behindert. Es ist die Bürgerschaft, die den Bestand des demokratischen Rechtsstaates garantiert. Geheimdienste sind mehr die geborenen Garanten eines Tohuwabohus in ihrer jeweiligen Gesellschaft, weil sie deren Bestimmer weder sein können noch sein sollten. Und die auf einem hohen moralischen Piedestal vegetierenden anderen Parteien sollten sich für ein starkes demokratisches Deutschland in einer gemeinsam mit anderen Staaten gestalteten EU einsetzen. Das wäre eines der Felder für den politischen Streit mit der AfD, nicht aber der erbärmliche Ruf nach ihrer Überwachung durch den Verfassungsschutz.
Und es geschieht ja auch einiges gerade in letzter Zeit durch die Bundesregierung mit dem Blick auf Europa. Aber bitte mit mehr Fanfare und weniger wie die Chamade eines von den anderen Staaten bedrängten Deutschlands, was nicht gut ankommt.
Frau Merkel und Herr Macron wollen im Hinblick auf die Corona Pandemie insbesondere für geschwächte Mitglieder der EU Zuschüsse in Höhe von 500 Milliarden Euro organisieren. 130 Milliarden Euro sind es, für die der deutsche Steuerzahler zwar nicht sofort aber auch nicht in allzu großer Zukunft in Jahresraten ab 2027 einstehen soll. Das wird teuer, ist aber notwendige europäische Zukunftspolitik. Das klingt wie eine Fanfare, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, bedarf aber einer parlamentarischen Auseinandersetzung, liebe Parteien. So wie der Förster den Wald pflegt, sind diese Zuschüsse Investitionen, die allen und nicht nur dem Exportland Deutschland helfen. Autos kaufen keine Autos, hat ein gewisser Herr Ford vor vielen Jahren gesagt. Aber die Europäer und die ganze Welt sollen deutsche Autos kaufen können. Und die Zuschüsse sollen überdies Vertrauen schaffen in die Institution EU, ihre starken Mitglieder Frankreich und Deutschland und alle Staaten, die diese Politik mitmachen. Eine solch weitsichtige und großzügige Politik ist mit Kleingeistern wie Herrn Meuthen, dessen Blick an der Elbe endet, nicht zu machen. Das alles gehört in die öffentliche politische Auseinandersetzung, darüber ist zu streiten.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 5.5.20 endlich seine Schuldigkeit getan. Dem Europäischen Gerichtshof wurden Grenzen aufgezeigt – nur wo der Bundestag Kompetenzen an Brüssel abgegeben hat, soll der EuGH urteilen dürfen.Und das BVerfG entscheidet, wenn Streit darüber besteht, ob Kompetenzen abgegeben wurden. Nichts ist mehr dran an Geschichten wie der von der Banane, wenn sich Brüssel freiwillig auf das Wesentliche konzentriert und seine Regulierungswut eindämmt.
Wer begriffen hat, dass wir Katastrophen wie der gegenwärtigen Pandemie nur mit einer starken EU und ihren in Solidarität verbundenen selbstbewussten Nationalstaaten begegnen können, sollte die AfD ablehnen, bitte aber mit Argumenten und nicht mit Moralgetue.
Eine gleichsam altruistische Politik ist ohne inner- und außenpolitische Auseinandersetzungen nicht durchzuhalten. Die Deutschen müssen der EU vertrauen. Das zu erreichen sollte im Mittelpunkt von Politik stehen – Vertrauen und Zuversicht schaffen.
Mit der AfD hat das alles durchaus zu tun, sie wird für die scharfe Auseinandersetzung in den Parlamenten, zu der die FDP nicht in der Lage scheint, geradezu benötigt. Beenden wir ihre Quarantäne, warten wir ab, wie sich die AfD dann häutet. Wir sollten kein ”schließt die Reihen” provozieren. Das Gerede vom Reden mit allen ihren Mitgliedern und Wählern auf Augenhöhe verhindert nicht ihre Abkapselung und ist nur allzu plump. Wir müssen schon die AfD selbst als politischen Gegner ernst nehmen, das ist die Erwartung vieler. Die Auseinandersetzung führt zum Gespräch mit dem Anhang der AfD.
Und im übrigen meine ich, mit der AfD müssen die anderen Parteien schon selbst mit den besseren Sachargumenten fertig werden, angesichts eher schlichter Ansagen der AfD bestehen dafür gewisse Chancen. Der Ruf der politischen Konkurrenz nach einer Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz wie zuletzt auf einer Sitzung des Landtages von Brandenburg ist ein Ausdruck von Schwäche.
R.Z.
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