Mittendrin

Begegnungen in Frankfurt

Zielgerichtet mit energischem Schritt kam ein Mann wuchtiger Statur auf mich zu. Sein Gesicht war grimmig. Sein Äußeres ein wenig ungepflegt. In mir breitete sich Unbehagen aus und die Ahnung, dass er eher keinen Flyer oder Kugelschreiber von der Partei wollte, für die ich im Zentrum Frankfurts hinter dem Wahlstand stand.
Und mein Mann, wo war er in diesem Moment als ich ihn wieder einmal dringend brauchte?
Er schlenderte gut gelaunt einem Smalltalk am entfernten Wahlstand der Linkspartei entgegen.

Nur noch der Tisch mit den Werbeutensilien trennte den Mann und mich, der nun seinen gesamten Ärger über mich und meinesgleichen, verquickt mit seinen politischen Überzeugungen, lautstark auf mich niederprasseln ließ.

Zur Erklärung:
Im Dezember 2023, am selben Tag, als Herr Scholz die bedingungslose Unterstützung der Ukraine auf seine Agenda setzte und Herr Pistorius die Versetzung Deutschlands in Kriegstüchtigkeit als sein Ziel benannte, schrieb Reinhart nach dreiunddreißig Jahren Zugehörigkeit zur SPD seine Austrittserklärung.

Im Januar lud er zusammen mit Christian Gehlsen, einem Theologen aus Frankfurt, zu einem Bürgerforum ein zum Thema: ‚Was muss geschehen, dass wieder eine bessere demokratische Kultur in unserem Land herrscht, wie gelingt es uns, miteinander zu sprechen?‘
Wer am weiteren Austausch interessiert war, meldete sich im Anschluss per Mail bei Reinhart. So entstand eine kleine Gruppe, deren vornehmliches Ziel es war und ist, die Friedenspolitik des BSW zu unterstützen.

Christian Gehlsen und unsere Moderatorin Katrin Stoll-Hellert
Reinhart beim Bürgerforum


Politische Partizipation ist die Grundlage unserer Demokratie, heißt es.
Mit dieser Intention standen wir nun auf der Straße, sammelten Unterschriften für die Wahlzulassung des BSW, verteilten Flyer, brachten Plakate an und halfen bei der Organisation eines Auftritts von Frau Wagenknecht in Frankfurt.

Eine politische Diskussion möchte ich hier gar nicht beginnen, sondern von meinen Erlebnissen berichten.

Während Reinhart in meinen Augen der geborene Politiker ist, seine Großmutter ihm gar eine Karriere als Außenminister ans Herz legte, liegt mein Interessengebiet doch eher woanders.
Aber in Zeiten der Digitalisierung und anderer Herausforderungen sah ich meine Aufgabe, meinen Mann zu unterstützen.
So war ich an fast allen Initiativen und Unternehmungen beteiligt. Schließlich geht es mir auch um Frieden und um eine Rückkehr Deutschlands nicht nur zu diplomatischer Außenpolitik.

Zurück zu dem Passanten, dessen Aggressivität mich nicht etwa einschüchterte, wie ich es von mir erwartet hätte. Nein, seine feindselige, lautstarke, wirre Argumentation, gespickt mit selbst mir bekannten Totschlagargumenten, ließ mich innerlich auf die Barrikaden steigen und verlieh mir den Mut und ein wenig die Möglichkeit, politisch zu argumentieren.

Bevor er auftauchte, hatte sich eine ältere Dame zu mir gesellt: „Über Politik möchte ich mich mit ihnen gar nicht unterhalten“, sagte sie, „ich möchte ihnen nur ein wenig Gesellschaft leisten und vor allem beistehen, wenn sie hier so ganz allein auf der Straße stehen.“ Sie erzählte mir aus ihrem Leben, hatte früher im Halbleiterwerk gearbeitet und berichtete von einer Kollegin, die ihr eines Tages eine auf ihren Arm tätowierte Häftlingsnummer aus dem KZ zeigte.
Den Tränen nah, hielt die etwa 1,50 Meter große, zarte Frau an meiner Seite dem Unbekannten und seinem Gebrüll stand, bis endlich Reinhart von seiner Stippvisite am benachbarten Wahlstand zurückkehrte und den wutschäumenden Frankfurter Bürger übernahm.

Im Gegensatz zu einigen anderen Besuchern, die sich zwar nicht „bekehren“ ließen, sich aber im Anschluss an eine Unterhaltung mit Reinhart bei ihm bedankten, sich zum Nachdenken angeregt fühlten und doch einen Flyer mitnahmen, war hier ein weiterer Austausch sinnlos und ihn abzubrechen aus gesundheitlichen Gründen mehr als geboten.
Genau wie ich, musste sich die ältere Dame kurz erholen nach diesem „Gewitter“, das über uns hereingebrochen war.
Wir verabschiedeten uns sehr herzlich voneinander.

Man erlebt viel, wenn man sich auf eine derartige „Mission“ begibt. Viele nette Gespräche, verzweifelte Menschen, unentschlossene Menschen, Menschen mit genauen Vorstellungen, fragende und belehrenwollende Menschen. Menschen, die man aus dem Auge verloren hatte, früher Kunden im Laden waren, in dem ich lange gearbeitet habe. Polnische Nachbarn, interessierte Schüler und Studenten und Gruppen männlicher, offenbar aufgabenloser Migranten, wie ich sie in dieser Menge in meiner Heimatstadt nicht vermutet hatte. Man hört die Klage ängstlicher älterer Damen, die sich nicht mehr trauen, einen Parkspaziergang zu machen oder dort zu verweilen, weil zu viele ausländische Bürger die Bänke und Plätze belagern. Ich habe aber auch einen Lehrausbilder erlebt, der vom Eifer einiger Migranten, deren Wissbegierde und ihrer Lebensplanung hier in Deutschland schwärmte.

Reinhart im Gespräch mit einer syrischen Gymnasiastin

Wir haben mit allen gesprochen, die an einem Austausch interessiert waren. Auch mit Anhängern der AfD und mit ihren Vertretern, die zeitweise ihren Wahlstand direkt neben uns hatten.
Was mich und mein politisches Engagement betrifft, so wurde ich einfach im Strudel mitgerissen. Ich habe mich zwangsläufig mit Themen beschäftigt, die weniger in meinem Blickfeld lagen und dabei gemerkt, dass ein Tag mit Gesprächen mit mir unbekannten Menschen zu einem ganz besonderen und schönen werden kann. So wie dieser Tag, an dem mir die zerbrechlich wirkende ältere Dame Beistand geleistet hat, was mich bis heute rührt.


Ein wenig betroffen war ich am Ende unseres Brandenburger Wahlkampfes anno 2024 von dem Verhalten eines Menschen, dem ich mich verbunden fühle. Seine Frau hatte offenbar beobachtet, wie ich ein Wahlplakat in seiner Wohngegend anbrachte, kam erst mit dem Auto näher und brauste plötzlich davon. Im Wegfahren erkannte ich den Wagen. Wenig später erhielt ich einen Zeitungsartikel von ihm per WhatsApp. Belehrend und über den Dingen schwebend äußerte sich Wolf Biermann darin zum BSW.
Er statuierte: „Die, die zu feige waren in der Diktatur, rebellieren jetzt ohne Risiko gegen die Demokratie. Den Bequemlichkeiten der Diktatur jammern sie nach, und die Mühen der Demokratie sind ihnen fremd.“
Und das mir! Ich knüpfte doch gerade voll Mühe, auf einer Leiter stehend, ein Plakat an einen Laternenpfahl!

Reinhart berührte Biermanns Denunziation angeblich nicht: „Nach der Vertreibung aus seinem besseren Staat ist er nun zum Waschlappen mutiert, den niemand braucht,“ kommentierte er. Ah ja, da hatte sich mein Mann dem Niveau des Liedermachers angepasst. Mir war der Wanderer zwischen den Welten sowieso fremd.
Die Würdigung der Ausführungen Biermanns durch den Absender des Artikels als „analytische Schärfe“, lässt mich staunend zurück.


Bettina Zarneckow

11 Gedanken zu “Mittendrin

  1. Wagenknecht kam lange für mich in Frage. Aber der Ukrainekrieg ist ebenso vermutlich auch ein Stellvertreterkrieg. Das wird nicht bei der Vereinigten Sowjetunion bleiben.
    Und die Polemik von Wagenknacht kann ich ebenso wenig verdauen wie Polemik von der anderen Seite. Die Lage macht hoffnungslos. Als würde sich Geschichte im Kreis drehen.
    Ich hatte den Zeitungsartikel übrigens auch überflogen und fand ihn zumindest überdenkenswert
    Die seit Jahren sich verstärkende Ostalgie verwundert mich. Ich kannte damals kaum Menschen die nicht über die DDR klagten. Jetzt will man alles zurück
    Seltsam

    Gefällt 1 Person

    1. Mit dem Wort Ostalgie kann ich nichts anfangen. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis waren fast alle mehr oder weniger aktiv am Umsturz damaliger Verhältnisse beteiligt und niemand von uns möchte die DDR zurück.
      Im Gegenteil, die Verhältnisse, die die derzeitige Bundesregierung geschaffen hat, erinnern doch sehr an die Vormundschaft des untergegangenen Staates DDR und da werden „gelernte DDR-Bürger“ schon mal hellhörig. Das hat aber nichts mit Ostalgie zu tun. Eher mit in Krisensituationen gemachten Erfahrungen.
      Es ist der Vorzug der Demokratie, dass Bürger in einem demokratischen Staat sich eine Partei auswählen können, die mit den eigenen Vorstellungen von Vernünftigkeit am meisten übereinstimmt.
      Und da gibt es eben Unterschiede.

      Die Erinnerungen eines DDR-Deutschen

      Gefällt 1 Person

  2. Liebe Bettina, dein berührendes Erlebnis mit der älteren Dame sollte zu denken geben. Du warst alleine diesem aufbrausenden Mann ausgesetzt, und sie hat sich beschützend zu Dir gestellt, obwohl oder weil sie während ihres KZ-Aufenthaltes genug Böses erfahren musste.

    Missionieren ist immer der falsche Weg. Menschen müssen von innen her überzeugt sein, das Richtige zu tun. Ansonsten entsteht ein Muss und nicht ein Ich-Will. Man sollte nicht sagen: Du musst jetzt das und das glauben. Genauso wenig darf man sagen: Du musst Pazifist werden.
    Das funktioniert nicht. Ein ‚normal‘ denkender Mensch wird aus dem eigenen Selbsterhaltungswillen heraus Waffen ablehnen.

    Aber sollten Menschen nicht so handeln, wie die ältere Dame in Deinem Erlebnis?
    Ich übertrage diese berührende Anteilnahme und den Beistand auf ein Nachbarland, dass um Hilfe bittet, weil es von einem anderen Machthaber überfallen wird.

    Ich habe es gottseidank nicht selbst erlebt, aber ich bin dankbar dafür, dass Amerika unser Land von der wahnsinnigen Hitler-Diktatur befreit hat. Wo wären wir heute, wenn das nicht geschehen wäre? Nur wurde der Ost-Sektor leider einer ähnlichen Diktatur überlassen, was bis heute spürbar ist.

    Einen Vorwurf mache ich heutzutage niemandem und missionieren werde ich auch nicht. Nur gebe ich zu denken, dass Sahra Wagenkrecht ein Bild von Erich Honnecker im Wohnzimmer hängen hatte, den sie, nach eigenen Aussagen, für einen der größten Politiker des 20. Jahrhunderts hält. Auf jeden Fall schalte ich um, wenn diese Selbstdarstellerin im TV zu sehen und zu hören ist.

    Ihre Aussage sollte Dich zum Nachdenken bringen. Eine Politikerin, die für Lenin und Honnecker schwärmt und Putin Türe und Tore öffnet, braucht Deutschland nicht.

    Alles Gute und liebe Grüße, Gisela

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe Gisela, danke für Deinen ausführlichen Kommentar. In persönlichen Gesprächen habe ich Frau Wagenknecht kennengelernt und mir ein eigenes Bild von ihr gemacht. Ich weiß es nicht und würde auch dem wenig Bedeutung zumessen, sollte sie ein Bild von Erich Honecker in ihrem Zimmer gehabt haben. Sie hat auch Goethes Faust auswendig gelernt. Eigentlich sehe ich im Fernsehprogramm fast nur Selbstdarsteller, besonders, was die Politik betrifft. Wenn ich nur an Herrn Merz und die Moderatorin Miosga denke. Ich sehe auch nicht, dass Frau Wagenknecht Herrn Putin Tür und Tor öffnet. Aber jeder hat eben eine andere Wahrnehmung. Sie ist eine Persönlichkeit, die polarisiert. Ich höre hin, wenn sie redet und schalte eher bei Politikern ab, die im Moment Regierungsverantwortung tragen, weil mich ihre ideologischen Worthülsen sehr an die DDR erinnern. Aber die Erfahrung, was eine Politik einer solchen Regierung bedeutet, muss wohl jeder selbst einmal machen.
      So wie ich Erfahrungen im Wahlkampf gemacht habe, so geht es wohl vielen, die derartige Aufgaben übernommen haben. Interessant und lehrreich war für mich das Gespräch mit vielen verschiedenen Menschen. Und da waren Sympathisanten und Gegner aller Parteien dabei. So unterschiedlich sind eben die Menschen. Manche wünscht man sich wieder zu treffen und manche eher nicht.
      Dir auch alles Gute und liebe Grüße zurück, Bettina

      Gefällt 3 Personen

      1. Alle Medien haben Sahra Wagenknecht eine breite Bühne geboten. Ich habe eine sehr gute Menschenkenntnis. Für mich ist diese Person die absolute Null-Nummer, die, mit ihrem Oskar im Hintergrund durchaus polarisiert. Viele Parteien, keine Politiker, die ich wählen würde. Worthülsen strömen aus allen! Ich kann unserem Land nur eine gute Wahl wünschen, und dass daraus keine Qual wird. Alles Liebe auch Dir. LG Gisela

        Gefällt 1 Person

      2. Da mein Mann und ich Frau Wagenknecht persönlich kennengelernt haben, ich zwar meine Menschenkenntnis nicht beurteilen möchte, mich aber schon immer auf die meines Mannes verlassen konnte, sehe ich die Sache anders. Auch stehe ich voll hinter meinem Mann, der in Frankfurt erstes Mitglied des BSW wurde. Ich finde das außerordentlich mutig von ihm, schließe mich Dir aber an und wünsche unserem Land ebenso eine gute Wahl.
        Nochmals liebe Grüße, Bettina

        Gefällt 1 Person

  3. Das BSW ist die einzige für mich noch wählbare Partei, derweil sich alle anderen entweder in Nibelungentreue verlieren oder aufgrund ihrer faschistoiden Grundhaltung nicht wählbar sind.

    Ein weites Feld, ich schreibe selten was dazu.
    Der dann folgende Ärger ist vorprogrammiert.

    Gefällt 2 Personen

Hinterlasse eine Antwort zu schreibundsprich Antwort abbrechen