Preußens Gloria

Immer, wenn jemand in meiner Nähe und öffentlich mit seinem Maule „…diese Saupreißen…“ schimpfiert, bin ich geneigt, umgehend eine Militärkapelle anzufordern, diese sofort in voller Besetzung aufziehen zu lassen, um anzuordnen: „…dass besagte Militärkapelle unverzüglich „Preußens Gloria“ hinaus zu schmettern habe…“.

Wussten Sie, dass „Preußens Gloria“ in Frankfurt an der Oder uraufgeführt wurde? Johann Gottfried Piefke war Musikdirektor des Leib-Grenadier-Regiment „König Friedrich Wilhelm III.“ (1. Brandenburgisches) Nr. 8 in Frankfurt an der Oder. Er komponierte „Preußens Gloria“ 1871 zu Ehren des Sieges über Frankreich. Solange in Deutschland Militärmärsche in Staatsangelegenheiten vor dem Volke gespielt werden, bin ich weiterhin ganz ruhig. Man kann Militärmärsche regelmäßig hören, wenn zum Beispiel das Ehrenbataillon mit dem Stabsmusikkorps unter der Leitung von Oberstleutnant Kiauka mit „Preußens Gloria“ zum Schloss Bellevue aufzieht, anlässlich von Antrittsbesuchen geschätzter Präsidenten anderer geschätzter Staaten.1 Von jeher höre ich gern Militärmärsche, habe ich doch deren Anfeuerung niemals in Verbindung mit Kriegserfahrungen machen müssen, daher fällt es mir leichter. Jetzt muss ich abschweifen – die Kavallerie zieht auf, Pferde schnauben, Rappen schreiten aus, dort der Schimmel, der aus der Parade tänzelt, Gleißende Hiebketten und Beschläge an den Offizierskandaren – das erinnert mich an meine Kindheit. Ich blickte jedem Pferdeschweif hinterher, kannte jedes Pferdefuhrwerk in unserem kleinen nordöstlichen Städtchen. Hörte ich beschlagene Hufe auf dem Asphalt, stürzte ich ans Fenster oder an das Tor, um einen Blick auf die geliebten Tiere zu werfen, die im scharfen Trabe in die Lange Straße einbogen oder auf den Schlosshof fuhren. Aus der Ferne erkannte ich oft, wess Fuhrwerk da durch die Straßen preschte. „Das ist der Fuchs zusammen mit dem schönen Rappen vom Fuhrunternehmer Schade.“ „Der Kutscher da, der seine Pferde manchmal prügelt und auch im Galopp die Schloßstraße hinaufprescht. Der rechte Fuchs hat ein eingedrücktes Auge!“ „Da kommt das Gespann mit dem Kutscher angefahren, der keine Stimme mehr hat, der flüstert immer.“ Ab und an rollte eine edle Hochzeitskutsche vom nahen Gestüt durch das Städtchen mit vier oder gar sechs Pferden in englischer Anspannung. Oder es kam der letzte Vorstadtbauer mit seinem Plattenwagen beladen mit feinstem Obst und Gemüse, der einmal in der Woche in die Stadt fuhr, um auf dem Pferdemarkt, geschützt unter einem Torbogen, seine Waren anzubieten. Dieser, auf seinen kleinen Gemüseäckern sehr hart mit der Hand arbeitende Mann, hatte das Pferd wohl billig ergattern können, eine lahmende Fuchsstute mit Senkrücken und von Arthrose durch zu harte Arbeit verbogenen geplagten Beinen, eigentlich zum Schlachten bestimmt, um dem Leid ein Ende zu bereiten. Das Pferd lernte ich etwas näher kennen, es wollte von den Menschen nichts mehr wissen. Es stand mit zusammengekniffenen Nüstern, auf seine Schmerzen innerlich horchend, geduldig wartend, bis der Bauer wieder die Stränge anlegte und nach Hause fuhr. Kam man ihm zu nahe, hob es den Kopf und legte flach die Ohren an, bleckte die Zähne, deutlich der Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden. Ab und an durfte ich auf den Kutschbock klettern und mitfahren. Der Kutscher, ein schweigsamer kleiner Mann, reichte mir dann die rotweiße Warnkelle, die ich nach links heraushalten musste, wenn er um die Pfarrkirche nach links im Schritt abbog, und ich fühlte mich nützlich in diesem Moment. Wussten Sie, dass Rossschlächtereien in früherer Zeit nicht nur in Notzeiten, sondern auch von Tierfreunden gegründet wurden? Tierfreunde dauerte das zu Todeschinden der alten Pferde, die im Geschirr auf dem Felde oder durch Unfälle auf den Pflastern der städtischen Straßen zusammenbrachen und starben. „Alt werden ist Scheiße!“ vertraute mir ein enger Freund der Familie vor einigen Jahren leise an. Nichts für Feiglinge, nur ein sicher zu verlierender Kampf, vielleicht in Würde. Frau Schulz aus dem Nachbardorf, ehrenamtliche Küsterin, vertraute uns an, dass sie fürchterliche Angst vor dem Altwerden habe, obschon zu dem Zeitpunkt weit über 85 Jahre alt. Manche Leute haben einfach Glück. Theodor Fontane ehrte den Komponisten Johann Gottfried Piefke in seinem Gedicht um die Düppeler Schanzen während des Deutsch-Dänischen Krieges. Er berichtete, dass Johann Gottfried Piefke zum Yorckschen Marsch vier Musikkorps vor Ort mit dem Säbel dirigierte, um die Schlacht anzufeuern. 2

Der Tag von Düppel

Still!
Vom achtzehnten April
Ein Lied ich singen will.
Vom achtzehnten – alle Wetter ja,
Das gab mal wieder ein Gloria!
Ein „achtzehnter“ war es, voll und ganz,
Wie bei Fehrbellin und Belle-Alliance,
April oder Juni ist all einerlei,
Ein Sieg fällt immer in Monat Mai.

Um vier Uhr morgens der Donner begann!
In den Gräben standen sechstausend Mann,
Und über sie hin sechs Stunden lang
Nahmen die Kugeln ihren Gang.
Da war es zehn Uhr. Nun alles still,
Durch die Reihen ging es: „Wie Gott will!“
Und vorgebeugt zu Sturm und Stoß
Brach das preußische Wetter los.

Sechs Kolonnen. Ist das ein Tritt!
Der Sturmmarsch flügelt ihren Schritt;
Der Sturmmarsch, – ja tief in den Trancheen
Dreihundert Spielleut‘ im Schlamme stehn.
Eine Kugel schlägt ein, der Schlamm spritzt um,
Alle dreihundert werden stumm –
„Vorwärts!“ donnert der Dirigent,
Kapellmeister Piefke vom Leibregiment.

Und „vorwärts“ spielt die Musika,
Und „vorwärts“ klingt der Preußen Hurra;
Sie fliegen über die Ebene hin,
Wer sich besänne, hätt’s nicht Gewinn;
Sie springen, sie klettern, ihr Schritt wird Lauf –
Feldwebel Probst, er ist hinauf!

Er steht, der erst‘ auf dem Schanzenrück,
Eine Kugel bricht ihm den Arm in Stück:
Er nimmt die Fahn‘ in die linke Hand
Und stößt sie fest in Kies und Sand.
Da trifft’s ihn zum zweiten; er wankt, er fällt:
„Leb wohl, o Braut! leb wohl, o Welt!“

Rache! – Sie haben sich festgesetzt,
Der Däne wehrt sich bis zuletzt.
Das macht, hier ficht ein junger Leu,
Herr Leutnant Anker von Schanze zwei.
Da donnert’s: „Ergib dich, tapfres Blut,
Ich heiße Schneider, und damit gut!“ –
Der preußische Schneider, meiner Treu,
Brach den dänischen Anker entzwei.

Und weiter, – die Schanze hinein, hinaus
Weht der Sturm mit Saus und Braus,
Die Stürmer von andern Schanzen her
Schließen sich an, immer mehr, immer mehr,
Sie fallen tot, sie fallen wund, –
Ein Häuflein steht am Alsen-Sund.

Palisaden starren die Stürmenden an,
Sie stutzen; wer ist der rechte Mann?
Da springt von achten einer vor:
„Ich heiße Klinke, ich öffne das Tor!“ –
Und er reißt von der Schulter den Pulversack,
Schwamm drauf, als wär’s eine Pfeif‘ Tabak.
Ein Blitz, ein Krach – der Weg ist frei –
Gott seiner Seele gnädig sei!
Solchen Klinken für und für
Öffnet Gott selber die Himmelstür.

Sieg donnert’s. Weinend die Sieger stehn.
Da steigt es herauf aus dem Schlamm der Trancheen,
Dreihundert sind es, dreihundert Mann,
Wer anders als Piefke führet sie an?
Sie spielen und blasen, das ist eine Lust,
Mit jubeln die nächsten aus voller Brust,
Und das ganze Heer, es stimmt mit ein,
Und darüber Lerchen und Sonnenschein.

Von Schanze eins bis Schanze sechs
Ist alles deine, Wilhelmus Rex;
Von Schanze eins bis Schanze zehn,
König Wilhelm, deine Banner wehn.
Grüß euch, ihr Schanzen am Alsener Sund,
Ihr machtet das Herz uns wieder gesund! –
Und durch die Lande, drauß und daheim,
Fliegt wieder hin ein süßer Reim:
„Die Preußen sind die alten noch,
Du Tag von Düppel lebe hoch!“

Mona Modus 02/April/2020

2 Vergleiche J. Nowosadtgo, M. Rogg „Mars und die Musen“: das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit – Militär und Musik – Funktionsbestimmende Elemente der Militärmusik von der frühen Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert von Michael Schramm, Lit Verlag Dr. W. Hopf Berlin, 2008

2 Gedanken zu “Preußens Gloria

  1. reinhart43

    Der Feldprediger Friedrich Wölbling schreibt am 30.4.1864 an seine Ehefrau in Radensleben bei Neuruppin: „Es kann mir bei den Kranken nützen, dass ich die Stätten gesehen, wo sie ihre Wunden empfangen haben.“ Zum Schlachtfeld Düppel, also etwa ein Woche nach dem Ende der Erstürmung der Schanzen von Düppel, heißt es :“ Überall Menschen, welche die Zerstörungen sehen wollten und Gruppen, denen die Soldaten vom Sturm auf die Schanzen erzählten. Dazu spielte die Regimentsmusik.“ Auf der Rückfahrt besucht Wölbling den Friedhof in Broacker: “ An 300 lagen da in 2 langen Reihen. Der Schlund 2 stand noch offen, und wird noch mancher hineinfallen.“
    Aus seinen Besuchen von Lazaretten berichtet er, dass dort Dänen und Deutsche gemeinsam lagen.“ Dänen, die deutsch verstehen, dieselben drücken mir die Hände mit Tränen in den Augen.“
    Wölbling berichtet dann auch von einer ökumenisch gestalteten Beerdigung von 25 „MIlitärleichen“ durch ihn, einen dänischen Pastor und einen katholischen Geistlichen:“ Dann kam der Däne, von dem ich nichts verstand als Jesus und Amen. Der katholische schmetterte seine Liturgie und hielt auch eine Ansprache: „Sie sind nicht persönliche Feinde gewesen, sie haben einander zugetrunken, Zigarren gegeben usw. Tod fürs Vaterland! Mit reinem Herzen bekommt man himmlischen Lohn“. „Zuletzt beging er noch die Ketzerei, dass er uns Ketzer Alle mit in den Himmel versetzte.“
    Wölbling war unser direkter Vorfahre, liebe Katharina, der viele Jahre Gemeindepfarrer in Radensleben war und die einzige Tochter des Pfarrers und Pädagogen Wilhelm Harnisch geheiratet hatte. Harnisch war übrigens ein guter Freund von Ernst Moritz Arndt, Friedrich Friesen und Friedrich Ludwig Jahn. Mit beiden letzteren gründete er den Deutschen Bund, der schon im Rahmen der Demagogenverfolgung sehr bald nach 1813 verfolgt und in seiner nationalen Ausrichtung auch nach heutigen Maßstäben mancher eine üble Angelegenheit darstellen dürfte.
    R.Z.

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    1. Katharina Schumann

      Lieber Reinhart, danke für Deine Anmerkungen.
      Der Name Wölbling und Harnisch ist natürlich immer wieder bei uns gefallen und daher auch nicht vergessen.
      K.

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