Schluss mit der Debatte, der Mundschutz ist anzuordnen

Bangemachen gilt nicht. Mir wird aber beim Wort Triage so. Triage: In Zeiten des Krieges oder bei (regelmäßig nicht vorhersehbaren) Katastrophen muss von den Helfern entschieden werden, welche der vielen Verletzten zuerst medizinisch versorgt werden. Das können dann Entscheidungen über Tod oder Leben sein.

In ganz Europa, so auch in Deutschland, besteht ein Mangel an Beatmungsgeräten. In Italien entscheiden überforderte Ärzte nicht nur, wer von den vielen Patienten ein Beatmungsgerät erhält sondern auch darüber, wem das Beatmungsgerät wegzunehmen ist, um es für einen anderen Schwerstkranken mit besseren Aussichten freizumachen.

Die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seiffert, FAZ vom 31.3.20 weist zustimmend auf Richtlinien der Schweizer Ärzteschaft vom 24.3.20 hin, die eine Verlaufs-Triage anregen: Alle 48 Stunden sei auf der Grundlage detaillierter medizinischen Kriterien zu prüfen, ob ein Erfolg der Beatmung unwahrscheinlich sei und gegebenenfalls die Behandlung abzubrechen, um das Beatmungsgerät einem anderen Schwerstkranken mit besseren Aussichten zu überlassen.

Der Strafrechtler Reinhard Merkel wird konkret: Darf in Deutschland einem 80 Jahre alten Schwerstkranken mit einer Lebenserwartung von unter einem Jahr das Beatmungsgerät weggenommen werden, um es bei einer jungen Mutter einzusetzen? Und natürlich ist die Antwort so eindeutig wie unbefriedigend: Die Mutter wird Opfer eines bösen Schicksals, weil die Aussonderung des Achtzigjährigen zu ihren Gunsten Totschlag wäre, so die von Prof. Merkel “Recht und Ethik”, FAZ vom 4.4.20 überzeugend und viel gründlicher als von mir dargelegte Rechtslage.

Wie wäre wohl in dem Beispiel die Äußerung des behandelnden Arztes gegenüber den Eltern der jungen Mutter? – An einer Lungenembolie verstorben? Hintergründe werden verschwiegen? Oder beherzigte der Arzt bei der Zuteilung des Beatmungsgerätes die Überlegungen der Medizinethikerin Schöne-Seiffert? Und werden die Hinterbliebenen überhaupt noch fragen, vielmehr vertrauen, dass alles menschenmögliche geschehen ist? Gestehen wir es uns ein, es gibt nicht die eine Antwort. Mein Mitgefühl ist bei der Mutter. Und unsere Ärzte stehen im Hinblick auf den Mangel an Beatmungsgeräten unter der besonderen Beobachtung des Staatsanwaltes, weil der Rechtsstaat noch funktioniert? Oder sollte vor jeder Behandlung die Einstellung der behandelnden Ärzte genau ergründet werden?

Die Lösung kann in unserem spezifischen Fall nur eine konzertierte Aktion der Bundesregierung zur Produktion von Beatmungsgeräten sein. Die Politik steht in dieser schwierigen Lage in der Verantwortung. Und dabei muss zuerst den beteiligten Ärzten und Schwerstkranken in Deutschland geholfen werden Ich möchte nicht, dass der Arzt der Herr über Leben und Tod wird – wenn die Schweizer das anders sehen, bitte schön. Deutschland befindet sich nicht im Krieg, die Prozedur der Triage ist bei Covid 19 für ein Hochindustrieland, zumal da die Katastrophe nur im Raume steht, nicht angesagt, nicht zu antizipieren, nicht heraufzubeschwören sondern zu vermeiden.

Und damit lande ich beim Mundschutz. Der Virologe Schmidt-Chanasil wie auch Journalisten vom Fach lehnen ihn sehr beredt mit vielen Gründen ab. So bestünde die Gefahr bei seiner verbindlichen Anordnung, dass er dann in Kliniken, Pflegeheimen und anderen lebenserhaltenden Einrichtungen fehlt, die Menschen könnten sich zu sicher fühlen, das Abstandsgebot und die Quarantäne nicht einhalten. Im übrigen sollte zunächst auch der Bedarf in den anderen europäischen Staaten und deren Kliniken gestillt werden – ein besonders schöner Beitrag, angesichts der von vielen Seiten entfachten Angst vor Covid 19 und den damit verbundenen Streichungen von Grundrechten den europäischen Gedanken zu stärken.

Abgesehen davon, dass die Anordnung des (selbstgemachten) Mundschutzes dem gegenseitigen Schutz dient, weshalb er von der Leopoldina und seit Freitag sogar vom RKI befürwortet wird, verkennt der Virologe das Primat der Politik. Der Virologe hat so zu beraten, dass der Regierung die Freiheit der Entscheidung verbleibt.Verstößt der Berater dagegen, setzt sich in diverse Talkshows, könnte er mehr schaden als aufklären und verspielt Vertrauen. Zumindest sollte er sich dieser Problematik bewusst sein – Meinungsfreiheit hin oder her. Und die Politik? Wenn der Mundschutzes nur ein bisschen den Gegenüber schützt, wird sie ihn für alle anordnen müssen. Um eine Überlastung des Gesundheitssystems vielleicht mit einem von mir aus nur kleinen Mosaiksteinchen vermeiden zu versuchen. Gerade weil der Staatsanwalt gleichsam hinter jedem Arzt, der Entscheidungen über die Zuteilung eines Beatmungsgerätes trifft, steht. Oder weil nach der Pandemie nicht ein großes Wehgeschrei beginnen soll. Oder weil das Parlament nur Grundrechte stutzen darf, wenn vorher alles, aber auch wirklich alles getan wurde, um das zu vermeiden oder zeitlich zu begrenzen. Oder weil meine Bäckerin gerne einen Mundschutz tragen würde, sich wegen der Kundschaft aber nicht getraut – die Kundschaft könnte annehmen, sie sei krank.

Also nicht auf Ungarn zeigen, die Musik spielt ausnahmsweise in Deutschland.

Alles weit hergeholt? Zugestanden, dies aber nur aus Zeit – und Platzgründen. Das Problem ist Corona. Deshalb gilt mein solidarisches in ceterum censeo, der Mundschutz muss her.

R.Z.

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