
„Es gibt keine beredtere Sprache als das Schweigen.“ So empfing mich vor kurzem ein Freund. Ein Spruch aus der Tageszeitung, der es ihm wahrlich angetan hatte und gleich in sein Büchlein notiert wurde. Aus seinen Augen sprühte Begeisterung. Offensichtlich fühlte er sich in der Annahme bestätigt, dass seine inzwischen eingeübte Taktik, Menschen aus seinem engeren Umfeld mit Standhaftigkeit zu beschweigen, richtig sei. Über den Sinn dieses Satzes wollte ich erst einmal nachdenken und zeigte mich mäßig mitgerissen. Schließlich zähle ich auch zu besagtem Umfeld.
Es gibt unzählige Sprüche zum Thema Schweigen:
„Ach, selbst das weiseste Sprichwort irrt: Nicht alles ist Gold, was geschwiegen wird!“ Oskar Blumenthal
„Man soll schweigen oder Dinge sagen, die noch besser sind als das Schweigen.“ Pythagoras
„Manchmal ist es besser zu schweigen und als Idiot verdächtigt zu werden, als zu reden und damit alle Zweifel zu beseitigen…“ Abraham Lincoln
Schweigen kann sowohl zum Positiven, als auch zum Negativen eingesetzt werden. Genauso wie es wohltuend zur Kenntnis genommen werden kann, aber auch manchmal zu erleiden ist.
Ich rede gern. Es ist doch angenehm, wenn man das Interesse des anderen spürt, befragt wird und von sich erzählen kann. Oder mit seinem Wissen und seinem Rat dienen kann. Außerdem ist die deutsche Sprache viel zu schön, um verschwiegen zu werden. Man kann sich so wunderbare Dinge sagen, spontan und spritzig aus der Situation heraus oder wohlüberlegte und charmant in Worte gehüllte Liebenswürdigkeiten.
Aber es gibt auch Zeiten, da möchte ich einfach schweigen – in mich hineinhören, ausruhen, Gedanken spinnen, keine Reden eines anderen verarbeiten müssen, genießen, ein Geschehen ungestört verfolgen, Zweisamkeit auskosten, ohne ein Wort was sie zerstört.

Wer hat nicht schon die Stille in Wäldern gesucht. Oder am Meer, wenn das Wasser ohne Regung ruht, dennoch sanfte Wellen gleichmäßig an Land spülen. Für mich ist die Stille in den Hochlagen der Gebirge überwältigend und unendlich friedlich. Sie hat eine entbergende Wirkung auf Empfindungen. Alle Sinne sind plötzlich offen für das Zwiegespräch mit der Natur im Bedenken des eigenen Daseins. Ein wohltuendes Ordnen der Gedanken und Gefühle setzt ein, wie es woanders wohl nicht gelingt. Und wie heilsam kann das sein!
Schweigen hinnehmen zu müssen, kann kränken und zermürben. Besonders, wenn man den Grund dafür nicht kennt oder nicht einsieht.
„Was hast du? Klage, solange du willst, nur das Schweigen ist mir unausstehlich.“ Johann Wolfgang von Goethe
Mein Vater konnte nach einem Streit wochenlang schweigen. Schweigen, um Macht auszuüben? Es gibt Schweigen aus Bequemlichkeit, vielleicht auch, um etwas Unangenehmes auszusitzen. Schweigen aus Unsicherheit, zum Beispiel bei Todesfällen – aus eigener Erfahrung weiß ich, wie sehr man auf Zuspruch angewiesen ist.
Wie ist es mit Freundschaften, in denen sich nichts tut, von beiden Seiten, meist unbedacht, Stille herrscht? Die Sprachlosigkeit in einer Familie oder zwischen zwei Menschen, die unbedingt beendet werden sollte, wenn Wert auf den Bestand der Beziehung gelegt wird. Zu langes Schweigen verursacht ungute Gedanken und baut völlig unnötig Mauern auf, die es immer schwerer wird zu überwinden.
„Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (Ps 39,5)
Irgendwann ist es zu spät, jemandem sagen zu wollen, was unbedingt hätte gesagt werden müssen oder man gern gesagt hätte. Wieso fallen Menschen wichtige Dinge oft erst am Grab ein? Ist man manchmal dann erst frei, etwas zu gestehen?
Schweigen zu überwinden, kostet Mut und Kraft. Wie reagiert der andere auf die Annäherung? Reagiert er überhaupt? Strapaziert man die Nerven seines Gegenübers, weil er wenig Interesse hat? Man setzt sich aus mit seinem Bemühen und wird entweder belohnt oder schmerzhaft belehrt.
Wenn ich auch ein vorsichtiger Mensch bin, will ich doch vom Positiven ausgehen und in allem Schweigen kein Verletzenwollen sehen. Es gibt eben auch das Schweigen, um zu schonen, um Zustimmung auszudrücken, um jemandem Ausruhen und Durchatmen zu ermöglichen. Oder um ihn im wohlverdienten Schlaf, sein Herz heilen und seine Seele zur Ruhe bringen zu lassen.
Weil ein Irren im Anwenden auch möglich ist, sollte man den richtigen Einsatz des Schweigens im Laufe des Lebens üben. Zum Schluss noch diese Gedanken: Im Schweigen kann man sich sammeln, im Reden sich zuweilen zerstreuen.
Wann habe ich das letzte Mal geschwiegen? Ah ja, ich erinnere mich. Es war hinreißend. Aber darüber möchte ich lieber schweigen.
Bettina Zarneckow
Das war ein sehr schöner Beitrag, liebe Bettina. Schweigen als Machtausübung. Ja, mein Vater war darin sehr gut… und als Strafe. Doch dann kamen zusätzlich böse Worte hinzu. Ob das eine Übung für später war`? Immerzu alleine sein, bedeutet schweigen. So geht es mir seit Jahren. Also habe ich das Sprechen durch meine Gedanken ‚aufs Papier‘ gelegt. Ich liebe die Stille.
Ich wünsche Dir viele unaussprechlich schöne Gedanken und Momente. Liebe Grüße, Gisela
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Danke, liebe Gisela. Schweigen kann etwas wirklich Friedliches verbreiten. Schweigen kann aber auch beängstigend und kränkend sein. Es bedarf Einfühlungsvermögen, wenn man nicht verletzen will.
Dein Sprechen erfreut viele Menschen, deshalb wünsche ich Dir weiterhin ebenfalls gute Gedanken aus der Stille heraus. Liebe Grüße und ein schönes Wochenende, Bettina
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Bettina, hab vielen Dank. Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag. LG Gisela
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Ein sehr schöner Artikel voller Anregungen, danke dir. Mir fällt auch ein Spruch ein, den ich neulich hier in Italienisch hörte, übersetzt vielleicht: „Fakten/Tatsachen sprechen, während Worte zusehen/beobachten.“ Ein Argument fürs Schweigen, manchmal.
Liebe Grüße und hab gute Gespräche am Wochenende, wenn dir danach ist! Anke
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Dankeschön! Tatsache ist, am Wochenende läuft Bundesliga. Die Spiele schaue ich mir zu gerne schweigend an. Auf die ständigen Kommentare und dann noch Fragen an mich meines Mannes, werde ich wie immer mit Fastschweigen, also mit hmm, antworten 😉😄
LG Bettina
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Kontemplation bei Bayern München gegen Dortmund, das gibt es also alles im Osten.
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Ich denke, der Zusammenhang, die Situation, ist sehr entscheidend. Wenn jemand ein Gespräch über etwas aufdrängen möchte, kann Schweigen höflich sein – wenn man sich aber in einem Gespräch bereits befindet, oder in einer Auseinandersetzung, in der man um Verständnis ringt, ist Schweigen grausam und verletzend. Ich denke, es gibt noch viele Situationen. Wie alles bekommt auch das Schweigen seine Bedeutung im Zusammenklang! Viele Grüße.
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Das sehe ich genauso. Vielen Dank! Man muss abwägen, aus der Situation heraus entscheiden und sollte Wohlwollen walten lassen. Vielleicht ist es auch besser, einmal deutlich zu werden. Denn besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Viele Grüße
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Sehr lesenswert! Ab er kennst Du auch „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“ von Heinrich Böll? Und dann: Es wäre ja schön, aus manchen Gesprächen einfach nur die vielen „ähm“s und Ähnliches herauszuschneiden!
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Dankeschön, Hans-Martin! Nein, Heinrich Bölls Werk kenne ich nicht, habe mir aber gerade einen Artikel bei Wikipedia dazu durchgelesen. Interessant und es passt so gut in die heutige Zeit. Ausser den „ähm“s müssten auch unbedingt die inflationären „tatsächlich“s gestrichen werden 😉.
Ich freue mich über Deinen Kommentar, dankeschön!
Herzliche Grüße, Bettina
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Und dann fehlt noch: „Genau“…
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Genau 😉
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