Die AfD – politischer Gegner oder Feind?

Weil der von der AfD gestellte Vizepräsident Galau die Debatte darüber verhindern wollte, hat das Brandenburger Verfassungsgericht durch eine von der CDU-Fraktion beantragte einstweilige Anordnung die Präsidentin des Landtages von Brandenburg verpflichtet, das Thema „Walter Lübcke, Halle, Hanau – wehrhafte Demokratie in der Pflicht“ in die Tagesordnung der Sitzung vom 27.2. 2020 aufzunehmen.

Ausweislich der Berichterstattung und nur die kenne ich, wurde heftig gestritten:

  • die AfD sorge für ein Klima des Hasses, provoziere einen „rassistischen Wahn“, Redmann von der CDU
  • Sie sei eine Gefahr für das friedliche Zusammenleben der Menschen, Stohn von der SPD
  • sei „Stichwortgeber“ der rechtsextremistischen Anschläge,Walter von den Linken
  • die anderen Fraktionen würden der AfD die Tat eines Wahnsinnigen mit einer „kruden rassistischen Einstellung“ unterschieben. Der AfD-Abgeordnete Kalbitz bezeichnete überdies den Abgeordneten Walter als Lügner und kassierte dafür einen Ordnungsruf der Präsidentin.

Es scheint, dass der AfD von den anderen Fraktionen eine Alibifunktion zum Nachweis ihrer Verantwortungslosigkeit an den ungeheuerlichen Verbrechen zuerkannt wird. Merke, die anderen Fraktionen scheinen auf die AfD angewiesen zu sein, wollen sie das? Genauso erweckt die Debatte den Anschein einer Benutzung des Rechtsterrorismus zum Kleinmachen der AfD durch die anderen Fraktionen. War das wirklich beabsichtigt?

Eine solche nach neuerer Kausalitätstheorie gar vom Verfassungsgericht zu verantwortende Debatte ist kein Beitrag zur Stärkung der Wehrhaftigkeit der Demokratie, das lehrt ein Blick in unsere Geschichte. Der Historiker Graf zitiert in der FAZ vom 6.2.2020 aus einer Reichstagsrede des Sozialdemokraten Wilhelm Sollmann im Februar 1930. Sollmann spricht von einem“hemmungslosen Stimmungsausbruch“ Goebbels, es bleibe „unklar, wo die Grenzen der Politik aufhören und die Grenzen der Psychiatrie beginnen“. Nach den Septemberwahlen von 1930 äußert der Publizist Theodor Wolff, man solle nicht glauben, die 6 Millionen Wähler hätten sich zum sogenannten Programm der „Hitlerei“ bekannt, an anderer Stelle bezeichnet Wolff die Nationalsozialisten als „Rummelplatzpartei“.

Das Ende von Weimar ist bekannt. Nichts wurde durch die so brillant geführten Auseinandersetzungen im Reichstag erreicht. Der Publizist Wolff starb in einem Konzentrationslager, Sollmann emigrierte. Beiden wurde die deutsche Staatsangehörigkeit von den Nazis aberkannt.

Der Rechtsterrorismus wie auch rechter und linker gewalttätiger Radikalismus geht alle an. Jede Partei ist in der Pflicht, keine sollte sich hinter der AfD wegducken.

Die AfD ist keine Nachfolgepartei der NSDAP, wenn sie sich auch zu einer Gefahr für die Demokratie entwickeln kann, was dann der kollektiven Verantwortung aller zugeordnet werden wird. Allzu viele scheinen das Vertrauen zu den so einmütig über die AfD herfallenden Fraktionen und den dahinter stehenden Parteien verloren zu haben. Graf spricht von einem Systemvertrauen, das verloren gehen kann und exemplifiziert dies am Klimawandel. Die politische Überzeugung über die Notwendigkeit von jedermann einschränkenden Maßnahmen gegen den Klimawandel beruhe nicht darauf, dass die komplexen Modellierungen dazu überschaut werden sondern auf das Vertrauen in die Institutionen, die die die Berechnungen durchgeführt haben. Wer das Systemvertrauen nicht teilt, gilt allzu schnell als bösartig, irrational oder zumindest dumm.

Der Grüne Boris Palmer in der FAZ vom 27.2.20 warnt im Hinblick auf die Verbrechen von Hanau vor einer Ausgrenzung und Stigmatisierung der Wähler der AfD, dies würde eher das Risiko einer weiteren Radikalisierung einzelner, auch wirrer Geister verschärfen und der AfD in die Hände spielen. Es spricht wenig dafür, dass diese Wähler eine moralische Abkanzelung „ihrer“ Abgeordneten gelassen hinnehmen.

Der Heidelberger Psychoanalytiker Rainer Matthias Holm-Hadulla weist in seinen Ausführungen in der FAZ vom 22.2.2020 zur Rolle des Hasses in der Gesellschaft darauf hin, dass dieser ein Mittel ist, Gemeinschaft herzustellen und „sich selbst gut zu fühlen“. Hass ist aber sehr wohl in seiner zerstörerischen Wirkung sowohl individuell als auch gemeinschaftlich zu bekämpfen. Dazu haben wir Werte, die Goethe als „verteufelt human“bezeichnet: Respekt vor der Würde eines jeden, auch der Gegner und die Bereitschaft zur eigenen Besinnung.

Fraglich scheint, ob wir in unserem demokratischem System noch Raum lassen wollen für die scharfe politische Auseinandersetzung bei gleichzeitigem Respekt vor der Würde des politischen Gegners. Für diesen Raum einzutreten, scheint notwendig. Den Linken in Brandenburg, die jetzt barmen, wurde so der Zugang zur Demokratie in den 90er Jahren bei viel Geschrei von allen Seiten ermöglicht.

Wenn der von der AfD gestellte Vizepräsident des Brandenburger Landtages mit einer unsäglichen Begründung versuchte, sie vor einer Debatte im Landtag wie dargestellt zu bewahren und deshalb abgewählt werden soll, stärkt das sicherlich das so vereinte Machtgefühl seiner Abwähler und das Selbstmitleid der AfD. Wie wäre es aber, souverän darauf zu verzichten und ihm in einer kritischen Nachbetrachtung der aktuellen Stunde den Versuch nachzusehen oder sogar zuzugestehen?

Anmerkung: Selbst mit einem Feind ist eine Verständigung nicht ausgeschlossen. Deshalb ist der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU nicht für die Ewigkeit, es sei denn, die AfD erhält den Status als Verbrecher oder wird nach guter alter Tradition der politischen Justiz neben einem Verbrecher auf die Anklagebank gesetzt. Dann hätten wir aber die Demokratie und den Rechtsstaat vielleicht schon hinter uns gelassen.

Reinhart Zarneckow

Anmerkung II, 31 Tage später:

In der MOZ vom 31.03.2020 heißt es kurz und knapp, Ermittler des BKA stufen den Anschlag von Hanau nicht als Tat eines Rechtsextremisten ein. Also bitte etwas langsamer mit den jungen Pferden, liebe Puristen der Moral.

Reinhart Zarneckow

Essay zum Klimawandel – Sloterdijk – in „Nach Gott“

Zu Jonathan Franzen „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ und Peter Sloterdijk „Absoluter und kategorischer Imperativ“, in „Nach Gott“, Suhrkamp 2018, S.300

Jonathan Franzen erklärt, dass der totale Krieg gegen den Klimawandel verloren sei und kommt zu einem Schluss, den man auch bei Sloterdijk aus einer anderen Richtung kommend finden kann. In seinem Essay „Absoluter und kategorischer Imperativ“ aus dem Jahre 2009, veröffentlicht bei Suhrkamp in „Nach Gott“ 2018, geht er von Kants kategorischem Imperativ aus: „Verhalte dich so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung dienen könnte.“ Die Erfordernisse des Gemeinwohls werden damit in den Blick genommen.

In den Siebzigern des letzten Jahrhunderts, also mehr als 150 Jahre später, greift der Philosoph Hans Jonas naturpolitische Impulse auf und formuliert seinen kategorischen Imperativ so: „Handle jederzeit so, dass die Folgen deines Handelns mit dem Fortbestand authentisch menschlichen Lebens auf Erden verträglich bleiben.“

Sloterdijk meint nun, dass bei Kant, der den Menschen als ein geschichtliches Wesen begreift, das Richtige nur zeitweilig aufgeschoben sei, aber nie inaktuell werde. Durch eine weitere Chance sei gutzumachen, was versäumt wurde.

In den 1970igern bei Hans Jonas ist dessen Denken durch die in der Welt bestehende ökologische Sorge bestimmt. Es gibt keinen Aufschub. Das Versäumte ist nicht nachzuholen. Das ökologische Geschehen in der Welt ist irreversibel. Darauf setzt Sloterdijk seinen Begriff der systematischen Immunologie des Menschen: Das Leben sei die Erfolgsphase eines Immunsystems. Damit ist auch die historische Existenz von Kulturen, Völkern und Institutionen gemeint, der Schutz des Rechts, unter dem die Träger gemeinschaftsrelevanter Funktionen stehen. Er geht von der „Existenz dreier synchronisierter Ebenen von Immunsystemen“ aus: Die biologische Immunität schützt den Organismus, die soziale Immunität wird durch einfache Solidarsysteme (z.B Nachbarschaftshilfe) und das Rechtswesen garantiert. Als drittes führt Sloterdijk symbolische oder rituelle Immunsysteme (z.B. Religionen) an, die den Tod kompensieren und die Überlieferung der gemeinsamen Normen in der Generationenfolge sicherstellen. Nach Sloterdijk wird in allen immunitären Strukturen zwischen Eigenem und Fremden unterschieden. Jedoch werden private Vorteile dann zurückgestellt, um dem Vorteil der größeren Gruppe zu dienen, wenn der Einzelne als Akteur seiner Kultur handelt. „Kulturen und Völker können sich im Fluss der Zeit behaupten, wenn sie die Einzelnen dazu bringen, zu begreifen, dass ihre private Immunität nur im Rahmen einer wirkungsvollen Ko-Immunität zu gewinnen ist.“

So wird erklärt, warum auf einer niedrigen Ebene geopfert werden muss, um auf höherer Ebene zu gewinnen. Die Welt, unsere Erde ist einer ungeschützten Plünderung ausgesetzt, weil es für „die Mitglieder der ‚Weltgesellschaft‘ keine effiziente Ko-Immunität“ gibt. Es „herrscht der übliche Wettbewerb – oder der Krieg aller mit allen.“

Sloterdijk will eine „Solidaritätseinheit“ schaffen, die angesichts der globalen Katastrophe dem ungeschützten Ganzen als Immunsystem dienen könnte. Dazu treibt er den formellen kategorischen Imperativ von Hans Jonas weiter. Bei Sloterdijk heißt es: „Handle so, dass durch die Folgen deines Handelns die Entstehung eines globalen Solidarsystems gefördert oder zumindest nicht behindert wird. Handle so, dass die bisher übliche Praxis der Plünderung und Externalisierung durch ein Ethos der globalen Protektion ersetzt werden kann. Handle so, dass durch die Folgen deines Handelns keine weiteren Zeitverluste bei der im Interesse aller unumgänglichen Wende entstehen.“

In beiden Essays, bei Franzen und Soltterdijk, lesen wir, dass die Plünderung der Natur der Erde irreversibel geschieht. Jedoch wird eine Wende im Handeln der Akteure gefordert.

Christa Nagel

Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?

Unbedingt lesen! Jonathan Franzen, Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können, Rowohlt Taschenbuch Verlag 8 €, 59 S.

Jonathan Franzen ist kein Untergangsprophet! Obwohl er nüchtern bilanziert, dass das Pariser Abkommen, das Zwei-Grad-Ziel, „Fridays for Future“, die Bepreisung von Kohlendioxid viel zu spät kommen, ist das kein Grund für ihn, die Dinge fatalistisch laufen zu lassen und schon gar nicht das Ende von allem. „Wenn unser Planet uns am Herzen liegt“, schreibt Franzen, „und mit ihm Menschen und Tiere, die darauf leben, können wir zwei Haltungen dazu einnehmen. Entweder wir hoffen weiter, dass sich die Katastrophe verhindern lässt, und werden angesichts der Trägheit der Welt nur immer frustrierter oder wütender. Oder wir akzeptieren, dass das Unheil eintreten wird, und denken neu darüber nach, was es heißt, Hoffnung zu haben.“

Ein solches Nachdenken setzt erst einmal voraus, dass wir den zeitlich sich hinziehenden chaotischen Verlauf des Klimageschehens weitwinkliger in den Blick nehmen. Da wir nicht damit rechnen können, dass die Menschen in Trump-Amerika, in China, Indien, Nigeria und den anderen wesentlichen umweltverschmutzenden Ländern, die wöchentlich ein Kohlekraftwerk nach dem andern in Betrieb nehmen, ihre Wirtschaft und Infrastruktur in den nächsten zehn Jahren komplett umrüsten, um den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf 1,5 Grad zu begrenzen, sollten wir damit rechnen, dass zunehmend schlimmere Krisen auf wüste Weise kumulieren, bis die Zivilisation ins Wanken gerät. Vermutlich wird es schrecklich werden, aber vielleicht nicht so bald und wahrscheinlich nicht für jeden. Wie Deutschland dabei abschneidet, wird sich zeigen. Die Dürre 2018, die extreme Hitze 2019 mit ihren Waldbränden und der derzeit ausbleibende Winter beweisen jedenfalls, dass wir nicht ungeschoren davon kommen werden.

Wie verhält man sich in dieser Lage? Als Deutsche sollten wir vor allem nicht so tun, als seien unsere materiellen Mittel und technischen Fähigkeiten unbegrenzt. Jede Milliarde Euro, die wir investieren, um den Kohlendioxidausstoß zu reduzieren, steht anderwärts, wo sie dringender gebraucht wird, sei es für die Katastrophenvorsorge, als Soforthilfe an überschwemmte Inseln oder unbewohnbare Regionen, nicht mehr zur Verfügung! So gesehen ist Jonathan Franzens Argumentation überzeugend, wenn er schreibt: „Jedes Megaprojekt im Bereich erneuerbarer Energien, für das ein intaktes Ökosystem zerstört wird – die ‚grüne‘ Energieentwicklung, die gegenwärtig in den Nationalparks Kenias stattfindet, die gigantischen hydroelektrischen Projekte in Brasilien, die Errichtung von Solarfarmen auf offenen Landflächen statt in besiedelten Gebieten -, untergräbt die Widerstandsfähigkeit einer Natur die ohnehin schon um ihr Überleben kämpft. Bodenverarmung und Wassermangel, der übermäßige Einsatz von Pestiziden, die Ausfischung der weltweiten Fanggebiete – auch für diese Probleme bedarf es einer kollektiven Willensanstrengung, und anders als beim Problem des Kohlendioxids liegen die Lösungen in unserer Macht. Noch dazu können viele technisch einfachere Naturschutzmaßnahmen (Wälder wieder aufforsten, Grasland und Wiesenflächen erhalten, weniger Fleisch essen) unsere Kohlendioxidbilanz wirksamer verbessern als massive Maßnahmen der Industrie.Dem Klimawandel den totalen Krieg zu erklären war nur sinnvoll, solange er sich noch gewinnen ließ. Sobald wir akzeptieren, dass er bereits verloren ist, gewinnen andersgeartete Maßnahmen an Bedeutung.“

Man muss Jonathan Franzens Sicht nicht bevorzugen. Auffallend ist aber, dass sein als Vogelschützer geschulter Blick auf die Natur in Deutschland kaum Anhänger hat. Warum eigentlich?

Rolf Henrich