Juno und Valentin im Februar

Bettina Zarneckow

Der 14. Februar naht. Valentinstag, der Tag der Liebe und der Verliebten. In vielen Ländern wird Valentin als Patron der Verliebten und Heiliger der Zärtlichkeit verehrt.

Zum Heiligen Valentin gibt es Vermutungen und unzählige Seiten im Internet. Mir war folgende Erklärung zum Bischof Valentin von Terni bekannt: Er lebte im dritten Jahrhundert und traute heimlich Soldaten, die auf Befehl des Kaisers unverheiratet bleiben sollten. Zur Segnung brachte er Blumen aus seinem Garten mit. Am 14. Februar 350, achtzig Jahre nach seinem Tod, wurde begonnen, das Valentinsfest zu feiern.

Dass man an diesem Tag Blumen schenkt, ist aber in erster Linie auf einen Brauch im alten Rom zurückzuführen: Am 14. Februar gab es das Fest der Beschützerin von Ehe und Familie, der Göttin Juno. Frauen der Familie bekamen Blumen, Altäre der Göttin wurden mit Blüten geschmückt (so die Seite der Erzdiözese Wien). Das Fallen beider Gedenktage auf dieses Datum ist heutzutage ein Segen für die Blumenindustrie.

Insel Mainau im März 2012

Der Brauch des Schenkens zum Valentinstag soll wohl im 15. Jahrhundert in England entstanden sein. Valentinspaare schickten sich kleine Geschenke und Gedichte. Englische Auswanderer nahmen diese Tradition mit nach Amerika und amerikanische Soldaten brachten sie nach dem zweiten Weltkrieg in den westlichen Teil Deutschlands.
Als im November 1989 die Mauer fiel, war der Weg zum Einzug des Valentinstages auch Richtung Osten frei. Bis dahin hatte ich noch nichts vom Tag der Verliebten gehört. Die Blumengeschäfte zu DDR-Zeiten wären auch gänzlich überfordert gewesen, einer gesteigerten Kauflaune nachzukommen. Die wenigen Blumen, die für den Verkauf bereitgestellt werden konnten, wurden für den Internationalen Frauentag aufgespart, dazu rote Nelken für den 1. Mai.

In Liebesdingen war ich eher unerfahren und so stellte sich mir die Frage des Schenkens in der Stimmung des Verliebtseins nicht. Erst später habe ich festgestellt, in diesem temporären Ausnahmezustand zu besonderer Kreativität fähig zu sein. Als ich Reinhart kennenlernte, schwebte mir vor, ihm einen Kalender mit von mir fotografierten Bildern samt passenden Sprüchen zu schenken. Nach skandinavischem Brauch anonym, das sollte das Besondere sein. Ihm direkt ein derartiges Geschenk zu machen, dazu war der Kontakt zu frisch.
Kurioserweise können wir uns beide nicht erinnern, ob es damals, vor nunmehr 34 glücklichen aber auch ernsten Jahren, zu dieser namenlosen Botschaft gekommen ist.

Vielleicht zum Glück nicht!
Im Nachsinnen und Grübeln darüber, von wem diese Gabe stammt, wäre Reinhart vermutlich bald der Geduldsfaden gerissen und er hätte sie zur Seite gelegt und vergessen. Vielleicht wäre er aber auch, seine weiblichen Bekanntschaften betrachtend, einem Irrtum erlegen und einer falschen Fährte gefolgt, die ihm womöglich einen anderen Lebensweg beschert hätte. Wer weiß das schon?!

Potsdam – Schloss Sanssouci April 2024 B.+R.

Dabei fällt mir eine Predigt meines Freundes Christoph ein, in der er an ein Stück von Max Frisch erinnert, bei dem ein Mensch die Möglichkeit erhält, sein Leben neu zu beginnen, es aber in verschiedenen Lebensphasen nicht schafft, eine Korrektur vorzunehmen. Er verhält sich immer wieder wie beim ersten Mal. Das Stück heißt „Biografie: Ein Spiel“.
Christoph zur Gemeinde: „Denken Sie doch auch einmal darüber nach, es kann ganz aufregend werden. Und etwas bedrückend, wenn wir in unserem eigenen Verhalten entdecken, dass und warum sich die Geschichte gegen alle bessere Einsicht wiederholt.“
Daraufhin bin ich Christophs Aufforderung gefolgt und versuchte zu ergründen, ob ich irgendwann einen anderen Weg gegangen wäre. Gewiss nicht, trotz mancher Prüfung. Auch meine Geschichte würde sich wiederholen.

Zurück zum 14. Februar, der im Leben von Reinhart und mir keine besondere Bedeutung erlangt hat. Aber Moment, doch natürlich: unser Schwager Peter hat an diesem Tag Geburtstag.

Und wenn ich am kommenden Freitag den Wochenendeinkauf mache, vermehrt Männer mit Blumen an Supermarktkassen anstehen sehe, volle Blumenläden und polnische fliegende Blumenhändler, dann freue ich mich über eine inzwischen schöne Tradition, die so manchen Ärger vergehen lässt, vielleicht Tränen trocknet, als unverhoffte Aufmerksamkeit ein Herz erfreut oder eine entstehende Liebe begleitet.

Warum ich das hier schreibe? Es soll ein Versprechen auf ein nächstes Gedicht sein, das schon fast spruchreif in der Schublade liegt.
Was für eins? Natürlich ein Liebesgedicht!

Gott schütze Israel vor der Staatsraison Deutschlands

Der Terrorangriff der Hamas vom 7.10.23 auf Israel und die von Hamas begangenen Massaker und Geiselnahmen führten am 1.11.23 zu einer großen Ansprache des Wirtschaftsministers Robert Habeck an die Deutschen. Die Sicherheit Israels und seiner Bürger ist Staatsraison Deutschlands, „ sie ist ein historisches Fundament dieser Republik“. Der Gewalt kann nicht mit Friedfertigkeit begegnet werden. Das Recht Israels, sich zu verteidigen, darf nicht bestritten werden.

Vergleichbare Erklärungen zur deutsch-israelischen Staatsraison erfolgten später vom Bundeskanzler, dem Verteidigungsminister und dem Bundesjustizminister. Sie sind im Koalitionsvertrag der Ampel und einer Rede von Angela Merkel im Jahr 2008 vor der Knesset zu finden.

Den Vollzug der großmündigen Erklärungen erleben wir derzeit im Wochenrhytmus.

„Israel wird von Bundeskanzler Scholz gewarnt, die internationalen Friedensbemühungen im Gazakonflikt durch eine Offensive in Rafah zunichtezumachen“ (FAZ vom 18.3.24).
Vergleichbare Äußerungen einschließlich der öffentlichen Aufforderung an den Ministerpräsidenten Netanjahu zur sogenannten Zweistaatenlösung liegen auch von Außenministerin Baerbock und anderen vor. Der gemeinsame Nenner besteht, unter Hinweis auf die Zerstörungen, tausenden Verletzten und Toten im Gazastreifen, in der Forderung an Israel, das Völkerrecht einzuhalten.
Wie auch immer angesichts von todesmutigen Terroristen, die nicht aufgeben wollen?

An dieser Stelle schiebe ich ein, dass in Israel eine strikte Trennung zwischen der Regierung und der Armeeführung besteht. Das militärische Vorgehen, und somit die Einhaltung des Völkerrechts, bestimmt die Armee vor Ort, nicht die Regierung.

Handeln nach der Staatsraison bedeutet „im Konfliktfall“, wenn es um die Existenz eines Staates geht, „notfalls die Rechtsordnung und die allgemeinen Moralitätsregeln zu durchbrechen“ (bei Georg Fichtner, “Machiavelli und der Gedanke der Staatsraison“).
Staatsraison ist offenbar eine Lehre, so “mächtig gewaltig, Egon“, dass sie einem Verfassungsstaat wie Deutschland in keiner Weise entspricht, anders dagegen Israel, einem seit seiner Gründung um seine Existenz ringenden Staat.

Ich sehe zudem Probleme. Ein Randstaat wie Deutschland dehnt seine illegitime Staatsraison einseitig und unaufgefordert auf Israel aus? Und er darf nunmehr, ungeachtet einer den Terror der Hamas weit in den Schatten stellenden deutschen Geschichte, Israel zur Einhaltung des Völkerrechts ermahnen?
Selbst wenn es um Israels Existenz geht? Gibt es irgend jemand mit Verstand, der den strategischen Sinn des Terrorangriffs der Hamas anders als auf die Vernichtung Israels ausgerichtet sieht?

Kulturforum Görlitzer Synagoge

Ich breche ab, mein Misstrauen gegenüber den Treueschwüren von Scholz, Habeck und Co ist hinlänglich beschrieben.

Dabei gab es eine Zeit, in der die Bundesrepublik (alt) kein Randstaat mit flotten Sprüchen, sondern der erste Helfer des um seine Existenz ringenden, im Jahr 1948 gegründeten Staates Israel war.
Dahinter verbarg sich eine „knallharte“ bundesdeutsche Interessenpolitik, die Ben Gurion und Konrad Adenauer mit dem Existenzrecht Israels auf einen Nenner brachten.
1952 verpflichtete sich die Bundesrepublik, 3,45 Milliarden DM an Israel zu zahlen, von den Deutschen als „Wiedergutmachungsabkommen“, von Ben Gurion mit “Schilumim“ (hebräisch, etwa Strafzahlung) unter heftigem Protest der israelischen Öffentlichkeit durchgedrückt. In Deutschland wurde dem Abkommen im Bundestag mit knapper Mehrheit und vielen Gegenstimmen der Union zugestimmt.

Der Bundesrepublik, mit Adenauer an der Spitze, ging es nach der Kapitulation von 1945 um die Wiederufnahme in den Kreis der „zivilisierten Nationen“, sie wollte Souveränität und Handlungsfreiheit erlangen, siehe “Von wegen Wunder der Versöhnung“, FAZ, 12.3.24.

Die Zahlung der Milliarden erfolgte in Form von Sachleistungen wie Maschinen und erwies sich deshalb als Konjunkturprogramm für die deutsche Wirtschaft. Der junge Staat Israel konnte wiederum seine eigene Industrie aufbauen.
Deutschland entwickelte sich zum wichtigsten Unterstützer Israels. Es ist die Rede davon, dass Israel auch militärisch von Deutschland unterstützt wurde, deshalb vielleicht sogar den Sechstagekrieg im Jahr 1967 gewann. Selbst das angebliche Atomprogramm der Israeliten soll im wesentlichen durch die Deutschen finanziert worden sein – dies alles unter größter Geheimhaltung.

Dabei standen für Deutschland die eigenen Interessen im Vordergrund.
Die diplomatische Anerkennung Israels erfolgte erst 1965, nicht weil Israel zögerlich war, sondern weil die Deutschen Nachteile bei den arabischen Staaten befürchteten. Eine lange und dumme Geschichte mit der Überschrift Hallstein-Doktrin, die ich mal eben weglasse.
Die Betonung liegt auf Interessen, deren nüchterne Behandlung beiden Staaten geholfen hat.
In der Folge, als belastete und sich dennoch keinesfalls schuldig fühlende Politiker wie Adenauer nicht mehr das Sagen hatten, wurden die Deutschen mit dem Anspruch der 68er auf ein Bekenntnis der Schuld ihrer Eltern, „nach Auschwitz“, und einem unsäglichen Selbstverständnis eigener Unschuld konfrontiert.

Das Bewusstsein, dies durchgestanden zu haben, veranlasste vielleicht die Bundeskanzlerin Angela Merkel, vor der Knesset im Jahre 2008 die Mär von der auf Israel erweiterten deutschen Staatsraison zu erzählen. Der derzeitige Bundeskanzler verband zuletzt ganz unbefangen seine Botschaft von der Solidarität mit Israel mit einem Hinweis auf das unbedingt einzuhaltende Völkerrecht. Zu wessen Nutzen erfolgen solche Sprüche?

Und wie ist das deutsche Befinden heute?

In einem Bericht von Oliver Jungen (FAZ 16.3.24) über das Lesefestival “lit.Cologne“ wird Deborah Feldmann mit dem Spruch über die „perfide Verdrehung des Antirassismusvorwurfs“ im Sinne einer „Massenhysterie“, angeheizt durch die Medien, zitiert.
Im gleichen Bericht ist von den “mitunter neurotischen Philosemitismus“ die Rede, den die Autorin Dana von Suffrin mit „Stil, Witz und historischem Feingefühl“ in ihrem deutsch-israelischen Familienroman “Nochmal von vorne“ aufgreifen würde.

Wir haben in Deutschland offensichtlich einige Probleme.
Ich werfe einen ersten Stein ins Wasser. Sollten wir mit unserer Mission, wenn es denn sein muss, nicht ganz bescheiden an die Adenauerzeit anknüpfen? Mit der Analyse der Interessen der vielen Menschen aus fremden Ländern in unserem Land beginnen, einen Ausgleich oder auch Auswege suchen? Nein, das wäre nicht die Lösung – dafür aber ein Anfang.
Und dabei haben Menschen wie Deborah Feldmann mit einem Punkt, den ich ihr in den Mund lege, weil er auch meinem Denken entspricht, vielleicht recht: Wir sollten gegenwärtig nicht so sehr dem Staat Israel (oder auch anderen Staaten) vorgeblich uneigennützig helfen wollen. Israel verteidigt sich auf der Grundlage seiner Staatsraison besser alleine und ohne deutsche Ansprache von der Seitenlinie.
Wir haben aber das Interesse an der Verhinderung von neuen Flüchtlingskrisen aus dem Nahen Osten. Das muss unsere Politik gegenüber allen Staaten bestimmen.

Wir sollten im eigenen Interesse den Menschen in Gaza und im Westjordanland ohne viel Geschrei helfen. Vielleicht gelingt den Deutschen dann einiges Gute, nicht nur bei den Geiseln. Einige Deutsche sollten ja noch Erfahrung damit haben, mit der anderen Seite (aha, natürlich sind wir bei Israel) ohne moralischen Aufschlag zu reden, weil alles andere so eine Sache ist, von wegen unserer Geschichte und so weiter.

Und vielleicht hilft das Israel mehr als das Wedeln mit der Staatsraison, ein Instrument nach dem Motto “hilf dir selbst“, in deutschen Händen für Israel eher gefährlich.

Reinhart Zarneckow

Kulturforum Görlitzer Synagoge

Paradigmenwechsel – Oder: Die Geschichte wiederholt sich (leider) doch

Auf dringende Empfehlung eines Kollegen habe ich begonnen, Herfried Münklers Buch „Marx Wagner Nietzsche – Welt im Umbruch“ zu lesen. Etwas zögerlich, wie ich ehrlich bekennen muss, denn die medienwirksamen Auftritte des Historikers zu aktuellen politischen Fragen in den letzten Monaten haben mich wenig angesprochen. Und dermaßen dicke Bücher wie dieses – über 700 Seiten! – erfüllen mich im Alter eher mit Abstand gebietendem Respekt.

Bildquelle: Thalia

Aber wie auch immer, nun habe ich die Lektüre fast abgeschlossen. Angefangen habe ich damit vor einigen Wochen auf einer längeren Eisenbahnfahrt quer durch Deutschland. In einem Zugabteil saß ein junger Mann mir gegenüber, etwas gestresst durch seinen quengelnden Sohn. Nach einem Blick auf das Buch sagte er sehnsüchtig: „ Ach, wenn ich doch auch endlich wieder Muße zum Lesen hätte. Aber was haben die drei denn miteinander zu tun?“ „Ich bin auch gespannt“, antwortete ich. „Vielleicht vergleicht der Verfasser zwei Denker und einen Künstler, die entscheidend beigetragen haben zu manchen Irrwegen unserer Geschichte im vergangenen Jahrhundert?“

Nun, nachdem ich wie gesagt fast am Ende des Buches angekommen bin, werde ich eines Besseren belehrt. Münklers Darstellung ist keineswegs plakativ, denunziatorisch oder dem Zeitgeist entsprechend belehrend. Ob der Vergleich, die Zusammenschau der drei Titelfiguren seines Buches wirklich erkenntnisfördernd ist, mag dahin gestellt bleiben. Ich bin da eher unsicher. Münkler selbst war sich übrigens der Grenzen und Gefahren dieses Versuchs durchaus bewusst, wie er in einem kurzen Nachwort zur Entstehungsgeschichte seines Buches mitteilt. (Ein wenig wundert mich in dem Zusammenhang, dass er zumindest was Wagner und Nietzsche angeht, so wenig Bezug nimmt auf Thomas Manns einfühlsame Überlegungen aus den zwanziger und dreißiger Jahren, also lange vor den heute eher peinlich wirkenden grobschlächtigen Linien, die der Dichter später „von Luther zu Hitler“ meint ziehen zu müssen.)

Uneingeschränkt zu würdigen sind die beeindruckenden Einzeldarstellungen und Analysen der Werke der Drei in Münklers Buch. Die Entwicklungslinien im Denken von Marx werden gründlich bedacht und nachgezeichnet, der Zusammenhang zwischen Wagners Ringen um ein Gesamtkunstwerk und seinen vielen essayistischen Schriften – von denen mir viele bislang völlig unbekannt waren! – wird entfaltet und schließlich Nietzsche, immer wieder verschlägt der einem den Atem.

Bildquelle: Süddeutsche Zeitung

Münkler führt uns drei große Kapitalismuskritiker vor Augen, am scharfsinnigsten sicher bei Karl Marx formuliert, wirkungsmächtig in Richard Wagners Ring, radikal und hellsichtig bei Friedrich Nietzsche. Ich empfinde es als besonders wohltuend, dass ich beim Lesen nie durch Urteile gelenkt werde, die aus dem Wissen erwachsen sind, welche Spätfolgen die besprochenen Werke hatten. Die gedankliche Tiefe des Kommunistischen Manifests hat mich überrascht, wiewohl ich ja in meiner Jugend in der DDR zur Genüge mit diesem Text konfrontiert worden bin, damals aber oft bestimmt von dem Ärger darüber, was aus den Analysen und Visionen der Verfasser in der mich umgebenden Realität geworden war. Und die wunderbare Kraft der musikalischen Poesie Wagners erschließt sich mir noch auf anderen Wegen, wenn ich Münklers Wiedergabe der theoretischen Schriften des Komponisten und der Textbücher seiner Opern bedenke.

Und wieder Nietzsche, ich kann gar nicht recht in Worte fassen, was mich bei dem durch Münkler angeregten Nachdenken über ihn so atemlos macht. Die völlige Rücksichtslosigkeit in seinen Formulierungen? Sätze, geschrieben vor und nach seiner Erkrankung – wenn man die überhaupt als Zäsur festmachen kann –, die erträglich werden, wenn wir sie als überspitzte Ironie handhabbar machen, sie sind aber ernst gemeint. Mein Freund hat in einem Aufsatz Nietzsches Bemerkung zitiert, dass der Normalzustand der Welt das Chaos ist. Wie nahe kommt das unserem Lebensgefühl…

Immer wieder klingt das Problem des Antisemitismus in der Gedankenwelt der drei an. Ein Kapitel widmet sich ausführlich und gründlich diesem Thema, besonders wichtig für das Verständnis von Marx und Wagner, weniger für Nietzsche, dem auch hier radikalen Anti-Antisemiten. Marx hofft bekanntlich in seiner frühen Zeit auf eine Lösung der „Judenfrage“ im Zuge der Überwindung der Klassengesellschaft, seine späteren gelegentlich unflätigen Sätze über Juden tut Münkler als „Alltagsantisemitismus“ ab. Dafür mag manches sprechen, was die Entgleisungen aber nicht harmloser macht. Wagners schlimme Verirrungen schließlich werden erklärt durch die Verbitterung des Künstlers über den verlorenen Machtkampf mit Giacomo Meyerbeer in Paris und vielleicht auch durch die abstruse Gedankenwelt von Cosima. Wie auch immer, es bleibt erschreckend, welche Gedanken in Wagners Gehirn Raum fanden neben der großartigen Musik. Mein verstorbener Jerusalemer Freund, trotz allem ein großer Wagner-Verehrer, pflegte zu sagen: Der liebe Gott weiß schon was er tut, wenn er himmlische Wahrheiten in hässliche Gefäße verpackt.

Nun muss ich abschließend aber erklären, warum ich den Bericht über meine Lesererfahrungen bei Herfried Münklers Buch unter die Überschrift „Paradigmenwechsel“ stelle. Wer das Buch liest, wird viele Gründe dafür finden, wie ja schon der Untertitel „Welt im Umbruch“ signalisiert. Mir ist ehrlich gesagt dieses Wort eingefallen – und hat mich nun doch zum Grübeln über unsere Zeitläufte angeregt -, als ich in dem Buch die Wiedergabe einer sehr bissigen Formulierung aus dem Aufsatz von Karl Marx „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ von 1852 fand, einer Analyse des Staatsstreichs des späteren Napoleon III. Marx stellt bitter fest, „dass nur noch eins fehle, um die wahre Gestalt dieser Republik zu vollenden: Des Parlaments Ferien permanent machen und ihre Aufschrift: Liberté, egalité, fraternité zu ersetzen durch die unzweideutigen Worte: Infanterie, Cavallerie, Artillerie!“

So werde ich eben das Gefühl nicht los, dass Geschichte sich leider doch wiederholt. Aber weil ich nicht in die Falle tappen will, die Münkler erfolgreich umgeht, breche ich hier ab, durchaus mit einer Empfehlung zur eigenen Lektüre – und vor allem zum eigenen Nachdenken!

Christoph Ehricht

Der sächsische Ministerpräsident Kretschmer verdient unser aller Aufmerksamkeit – der Ukrainekrieg muss „eingefroren“ werden

Oder – warum die Grünen Bellizisten geworden sein könnten

Die Präsidentin von der Leyen hatte in der Sendung Anne Will vom 20.2.22 vor dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine angekündigt, dass sie seit Wochen Pakete mit Sanktionen gegen Russland vorbereitet. Die Sanktionen würden gewaltig in ihrer Wirkung sein, selbst die Mitgliedsstaaten der EU würden unter ihnen leiden, siehe dazu im Blog 21.2.2022.

Dabei muss der sich selbstbewusst gerierenden Präsidentin zugestanden werden, dass das Embargo für Öl (in Höhe von ca. 90 %) von der Präsidentin und ihrer Bürokratie zusammen mit den EU-Staaten erst zum 31.05. 2022 in das Paket Nr. 6 eingetütet wurde. Es soll im kommenden Jahr wirksam werden, sofern Russland nicht schon vorher die Gas- und Ölhähne für Deutschland zudreht – worauf einige grüne Politiker gerne hinweisen, wofür aber wenig spricht.

Warum soll Herr Putin nach dem „Schwarzen Peter“ gieren, wenn das grüne Deutschland demnächst sowieso das Embargo bei Öl unter dem Beifall der frierenden und um ihre Arbeitsplätze bangenden Bevölkerung vollziehen und so die Einigkeit und Stärke der EU für alle fühlbar manifestieren wird? Oder anders, warum soll Russland die zuverlässigen Kunden aus Deutschland vergrämen?

Putin hat begriffen, dass die Grünen in der Bundesregierung Frau Baerbock und Herr Habeck nicht Gas und ÖL für die deutsche Wirtschaft, sondern die Energiewende ohne Öl und Gas mit seiner Beihilfe anstreben. Er hat wohl auch deshalb gestern und für Herrn Habeck vermutlich etwas bedrohlich angekündigt, die Lieferung von Öl und Gas auszuweiten. Wenn denn endlich von Siemens (aus Kanada) die für den Betrieb von Nord Stream 1 erforderliche Turbine angekommen ist. Im übrigen sei ja auch Nord Stream 2 bereit. Gas in Hülle und Fülle also, sofern die Grünen und nicht nur die mitmachen.

Es gibt einige Wenige – unsere deutschen Extremisten von links und rechts – , die im Hinblick auf die sich schon jetzt in steigenden Preisen bei Benzin, Gas und Strom zeigende Energie-und Wirtschaftskrise Sorgen haben. Ihr Lösungsvorschlag : das Embargo beu Öl wird von Deutschland abgesagt.

Die Extremisten, die sich auch für einen Waffenstillstand im Ukrainekrieg einsetzen, verkennen die Komplexität der Lage. Und unterscheiden sich, wenn auch mit anderer und naiverer Begründung, nicht von Frau von der Leyen. Einer aufgebrachten und nur im Sinne des ukrainischen Präsidenten Selenskyj einfühlsamen Strategin des Wirtschaftskrieges gegen Russland.

Von der Leyen hat bei ihrer Strategie übersehen, dass ein Embargo bei Öl Russland nur bremst, wenn weltweit die thermische Nutzung dieser Energieformen wirksam untersagt werden kann. Können Gas und Öl nicht genutzt werden, führt das zur Wertlosigkeit der Vorräte bei Öl und Gas, weil kein Markt für sie besteht, siehe dazu FAZ 11.7.22, „die andere Energiewende“. Eine Katastrophe für alle Ölländer.

Umgekehrt führt die Verknappung bei Öl und Gas durch ein Embargo oder Sanktionen beliebiger Art auf den dann gleichsam süchtigen Markt zu einer Erhöhung der Energiepreise.

Nicht zuletzt: Russland erreicht im ersten Halbjahr des Jahres 2022 bei Öl und Gas Spitzengewinne, das ist inzwischen Allgemeinwissen.

Saudi Arabien erhält von Russland erhebliche Mengen Öl etwa 30 Dollar unter dem Preis auf dem Weltmarkt, erzeugt damit seinen Strom und liefert so eingespartes Öl an europäische Staaten. Ähnlich verhält es sich bei Indien. Das sind durch die Sanktionen geschaffene, völkerrechtlich legale Win-win Geschichten, bisher haben die USA noch nicht reingegrätscht.

Deutsche Firmen kaufen zu überhöhten Preisen russisches Uralöl bei Saudi Arabien und Indien ein – je teuerer desto besser für die Preise bei erneuerbarer Energie.

Gewinner soll nach gemeinsamer Überzeugung der Bestimmer unter den Grünen die erneuerbare Energie sein, deshalb die ganze Übung. Was nicht rentabel für Unternehmer war, ist es aufgrund der hohen Preise für Gas und Öl geworden. Die Stunde der erneuerbaren Energie ist durch den Ukrainekrieg angebrochen.

Diese Chance darf der Philosoph und grüne Wirtschaftsminister Habeck nicht verspielen, selbst wenn der treuherzige Politiker dies alles weder vorausgesehen noch angestrebt hat. Manche nennen derartiges die Kraft des Bezüglichen. Ich bin misstrauisch. Wie ist es zu verstehen, dass die Grünen wider besseren Wissens die Lieferung von Gas und Öl durch Russland immer wieder infrage stellen? Um mit Frackingöl und Wiederinbetriebnahme von Kohlebergwerken „vorsorgen“ zu können, so tatsächlich die Verteuerung der Energie verstetigen? Warum beschimpft die Außenministerin Baerbock bei jeder sich bietenden Gelegenheit öffentlich ihren russischen Kollegen Lawrow und den Präsidenten Putin – um Verhandlungen vorzubereiten? Oder ist sie einfach naiv und ahnungslos? Russen lieben die Beschimpfung ihrer Politiker durch die deutschen Kollegen? Schön wäre es, wenn auch solche anzüglichen Fragen von Kleingeistern in den selbstbewussten Medien wie Fernsehen und Zeitungen wenigsten en passant beantwortet werden würden.

Wenn es nicht das kleine Wort „aber“ geben würde. Was geschieht, wenn das Embargo bei Öl und über dies auch bei Gas (vorerst nur von Litauen gefordert) zum 1.1.2023 von Deutschland durchgezogen wird? Öl wird es für die deutsche Wirtschaft dann nur noch und wenn überhaupt zu überhöhten Weltmarktpreisen und nicht zu den vor Jahren mit Gazprom langfristig ausgehandelten niedrigeren Preisen geben. Im Juni kostete das Gas in den USA 6,50 Dollar, in Europa aber 39 Dollar je Million britischer Wärmeeinheiten (Maßeinheit), FAZ 13.7.22. Weil Deutschland „sein“ preisgünstiges Gas und Öl bei Gasprom reduziert und dafür teureres auf dem Weltmarkt bei Ölstaaten wie Saudi Arabien geordert hatte.

Deutschland droht im kommenden Jahr noch mehr Ungemach. Dies in einem Umfang, wie es sich vielleicht nur ehemalige DDR-Bürger vorstellen können – die Herrschaft einer nunmehr grünen Bürokratie, die vieles plant, der aber wenig gelingt. Schon weil sich nicht nur die Energie verteuern, sondern auch das Geld verknappen wird. Im übrigen ist die Bürokratie ahnungslos, was eine staatliche Planwirtschaft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen betrifft – bei den Chinesen werden die Grünen wohl zumindest nicht öffentlich um Amtshilfe bitten.

Nicht alle Löcher können in kommenden Jahren gestopft werden und dann welche. Das Geschrei der Leute, die den Krieg in der Ukraine aus Gerechtigkeitsgründen nicht vor einer Kapitulation Russlands beendet sehen wollen und sich in ihrem wieder aufgeflammten Russenhass derzeit nicht mehr einkriegen, wird ungeheuer sein.

Die Beschwörungen des sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer an die Bundesregierung, Frankreich und die USA, den Ukrainekrieg „einzufrieren“, verdienen keinesfalls die ihr in der gleichen Zeitung erwiesene süffisante Kommentierung sondern unser aller Aufmerksamkeit. Und keine säuerliche Belehrung nach dem Motto: Deutschland habe doch kaum etwas für die Ukraine getan, warum das Geschrei aus dem Osten?, FAZ vom 20. Juli 2022.

Deutschland wird diese Krise überwinden.

Die Politik der Grünen hat nicht die Unterstützung der Ukraine im Auge. Deshalb hat die ehemalige Friedenspartei auch keine Fragen danach, ob die deutsche Unterstützung den Ukrainern in ihrer Not hilft und wie der Verteidigungskrieg umgehend beendet werden kann. Mit dem Bellizisten Hofreiter an der Spitze wollen die Grünen eine forcierte Unterstützung der Ukraine mit Sanktionen, Geld und Waffen.

Sie nutzen den früher von ihr so verpönten altdeutschen Opfermut und Gerechtigkeitssinn der Deutschen für die grüne Ideologie einer Energiewende – ein solches strategische Vorgehen, genannt Kuppelungsgeschäft, hat Deutschland in seiner Geschichte nicht nur einmal erlebt.

Und richtig, wir müssen uns und vieles verändern, in erneuerbare Energien investieren, in unseren Ansprüchen kürzer treten, den Menschen in Afrika und Asien, wenn sie es denn wollen, helfen. Um den vielen Herausforderungen – Hunger, Dürre, Klima sind meine Stichpunkte – zu entsprechen.

Übernehmen wir doch die so deutsche Strategie der Grünen. Kuppeln wir die Antwort auf die vielen Herausforderungen mit der Forderung des Ostdeutschen Kretzschmer an die angeblich so Mächtigen in Berlin, Paris und Washington. Sie sollen den Krieg in der Ukraine einfrieren. Und wenn sie das bisschen nicht wollen oder können, dann sollen sie abtreten.

Für Deutschland heißt das Zauberwort: Neuwahlen – am Frauentag 2023 –

Reinhart Zarneckow