Ein kleiner Beitrag zur Meinungsvielfalt im deutschen Protestantismus
Der Greifswalder Kirchenmusiker und Musiktherapeut Bernd Ebener hat in der hiesigen Kirchenzeitung einen Leserbrief veröffentlicht, den wir mit seinem Einverständnis gerne auch den Leserinnen und Lesern von Schreibundsprich zur Kenntnis geben wollen – als Anregung zur Diskussion, als Ergänzung zu manchen hier schon geäußerten Gedanken und Überlegungen und nicht zuletzt als Zeichen dafür, dass es in der evangelischen Kirche durchaus unterschiedliche Positionierungen zum Krieg in der Ukraine gibt.
Bernd Ebener hat seinen Brief übrigens zuerst der Autorin des Offenen Briefes zugeschickt und ihn erst, als er keine Antwort erhielt als Leserbrief eingereicht. Der Text, auf den er Bezug nimmt, ist in der Mecklenburgischen und Pommerschen Kirchenzeitung 15/ 23 nachzulesen und hier als Bild eingefügt.
Christoph Ehricht
zum Vergrößern bitte anklickenEinbettung 61 sowjetischer Soldaten durch den Volksbund, Kriegsgräberstätten Lebus, 12.Mai 2023 Foto: Reinhart Zarneckow
„Werte Frau Pastorin Fischer,
„russländische Propaganda“, „russländischer Terror“, „russländische Räuber“ lese ich in Ihrem in der Kirchenzeitung Nr. 15 gedruckten „offenen Brief“. Warum nicht einfach „russisch“, dem landläufigen Sprachgebrauch folgend? Wir sagen doch auch nicht „deutschländische Diplomatie“ oder „frankreichische Revolution“… – welche Intention steht hinter Ihrer Semantik?
Und: Sie erwecken (zumindest bei mir) den Eindruck, als würde es ukrainische, europäische, amerikanische und deutsche Propaganda, Räuber, Terror nicht geben. Ich gehe davon aus, dass Ihnen die Perikopen vom Splitter und Balken im Auge bei Matthäus, Lukas, auch Römer 2,1 bekannt sind. Warum also dieser Tunnelblick in Ihren Ausführungen? Warum diese Ignoranz der eigenen deutschen, amerikanischen, europäischen und NATO-völkerrechtswidrigen Kriegs-Geschichte gegenüber? Vietnam, Kambodscha, Afghanistan, Jugoslawien, Syrien, Libyen, Irak und, und, und … – natürlich die Vorgeschichte zur Ukraine-Rußland-Situation incl. der späten Bekenntnisse Merkels zu Minsk II. M.K.n. waren und sind US-Amerikaner die bislang ersten und einzigen geblieben, die Atombomben eingesetzt haben. „Little Boy“ hießen propagandistisch-verbrämend die Geschosse, die hunderttausenden Frauen, Männern und Kindern den sofortigen Tod oder ein schleichend-elendigliches Dahinsiechen brachten und bis heute und noch weit in die Zukunft die Erbanlagen künftiger Generationen schädigen. Und es war die NATO, die im Irak, in Bosnien, im Kosovo und in Afghanistan hochtoxische und radioaktive Uran-Munition verwendete, rücksichtslos gegen eigene Soldaten und die Zivilbevölkerung der betroffenen Länder, die ebenfalls noch über Generationen an deren strahlenden Folgen leiden werden. Statt die Verwendung dieser Munition als Kriegsverbrechen zu geißeln, soll sie nun auch in der Ukraine eingesetzt werden oder wird es schon, während zeitgleich in unseren Wertemedien ein dröhnendes propagandistisches Schweigen darüber herrscht.
Sie erwecken weiterhin den Eindruck, dass russische, amerikanische, europäische und deutsche Interessen und Handlungsweisen jeweils auf einer homogenen Bevölkerungsmeinung beruhen. Es widerspricht jedenfalls meiner Erfahrung und meinen Kenntnissen. Und selbst wenn Sie hier Mehrheitsmeinungen festgestellt haben wollen, wissen wir doch alle, dass diese nicht zwingend auch Wahrheiten verkörpern bzw. richtiges, ethisch verantwortbares Handeln bewirken. Wir berufen uns auf die Propheten, auf Jesus, Luther, Bonhoeffer … – Wahrheiten brauchen keine Mehrheiten. Und Mehrheiten allein sind kein Argument. Wir kennen aus der Bibel, aber natürlich auch sonst aus der Geschichte viele Geschehnisse, die davon berichten, dass sich Mehrheiten verlaufen und es später oft genug auch bereuen. Menschen sind überall leicht manipulierbar. Das „Hosianna“ der Volksmassen bei Jesu Einzug in Jerusalem geht fast nahtlos ins „Kreuzige ihn!“ über.
Schließlich: Was verstehen Sie unter „Faktenanalyse“ und „theologisch verantworteter Ethik“? Zur Wahrheit gehört immer der differenzierende Blick auf’s Ganze. Zumindest jedoch der spürbare Versuch dessen! Und mit Propaganda und Manipulation haben wir es immer dann zu tun, wenn wesentliche, für die ethisch-faire Beurteilung einer Situation notwendige Informationen verschwiegen werden.
Ich hätte noch weitere Fragen, doch will ich mich zunächst auf die benannten beschränken, da ich sie für die wesentlichsten halte.
Habe ich etwas nicht oder falsch verstanden?
Freundliche Grüße! Bernd Ebener“
Bernd Ebener Foto: berndebener.de
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Die Seele braucht Stille zum Atmen.
www.berndebener.de
Helmut Schmidt (1978!!!):
"Es gibt im Fernsehen Nachlässigkeiten gegenüber dem Gewaltproblem. Sie reichen von der Tagesschau bis tief
in die Unterhaltungssendungen. Die häufige Vorspiegelung, Konflikte seien besonders einfach mit Gewalt zu
lösen, muss eine verheerende Auswirkung auf die politische Struktur einer Demokratie haben. Demokratie muss
Konflikte mit den ihr eigenen Möglichkeiten und Methoden lösen können. Das Schwarz-Weiß-Schema von Gewaltlösungen darf nicht zu einem Vorbild für unsere Gesellschaft werden."
Bundeskanzler Helmut Schmidt in: "Plädoyer für einen fernsehfreien Tag - Ein Anstoß für mehr Miteinander
in unserer Gesellschaft". (Quelle: "Die Zeit" 22/1978 vom 26. Mai 1978)
Wer Waffen liefert, will Krieg - sonst würde er Diplomaten schicken. (Sahra Wagenknecht)
Die Kirchen der Welt sind immer in die Irre gegangen, wenn sie Gewalt legitimiert haben. (Margot Käßmann, 25. Februar 2023)
Ein Foto der Frankfurter Allgemeinen vom 18.4.23 zeigt die Übergabe des Großkreuzes “mit besonderer Ausfertigung” durch Theodor Heuss an den damaligen Bundeskanzler Adenauer im Januar 1954. Eine elegante Einwendung der Zeitung gegen die Verleihung des gleichen Ordens an die (Alt-) Bundeskanzlerin Angela Merkel am Vortag im Schloss Charlottenburg durch ihren ehemaligen Adlatus Steinmeier? Elegant oder doch nur in süffisanter Geschichtsvergessenheit vorgetragen? Mir fällt bei beiden Politikern einiges ein.
Zum Zeitpunkt seiner Ordensverleihung konnte Adenauer auf eine von ihm zu verantwortende, weit gediehene Westintegration der Bundesrepublik Deutschland zurückschauen. Deutschland hatte den Vertrag über die Montanunion (18.4.51) sowie den Deutschlandvertrag über die Beziehungen der Bundesrepublik zu den drei Westmächten (26./27.5.1952) unterzeichnet. Auf die Note Josef Stalins (10.3.52) über die Wiedervereinigung und Neutralisierung Deutschlands hatte er in keiner Weise reagiert (weil die Westmächte die deutsche Außenpolitik “noch” bestimmten, so Adenauer, der deshalb auch keinen Außenminister in sein erstes Kabinett berufen hatte). Für die damalige Bundesrepublik winkte schon am Tag der Übergabe des Großkreuzes an Adenauer eine weitgehende Souveränität, die mit den Pariser Verträgen am 5. Mai 1955 durch die drei Westmächte auch anerkannt wurde. Die Bundesrepublik bekam ihren ersten Außenminister von Brentano.
Mit der Eingliederung der Westdeutschen in eine Gemeinschaft mit den USA und den westeuropäischen Staaten wurden die ostdeutschen Befürworter einer Wiedervereinigung in den Augen ihrer DDR-Oberen zu einem “verlorenen Haufen” des Westens degradiert. Die Gefängnisse füllten sich weiterhin, zu viele flüchteten in den Westen, die Mehrheit der Bürger der DDR blieb aber im Osten. Um sich nach 1990 von einigen wenigen, besonders aufrechten opportunistischen Schlaumeiern dann als Mitläufer apostrophieren lassen zu müssen. Was in einem anderen Sinn stimmte, weil die Bürger mit “ihrem” Staat im Guten wie im Bösen bis zu seinem Ende am 3.10.1990 zu tun hatten.
Dabei haben Millionen Deutsche in der DDR am 17.6.1953 nicht nur für die Senkung der Arbeitsnormen, sondern auch mutig für die Einheit Deutschlands und freie Wahlen demonstriert.
Bildschirmfoto Youtube – Die Ära Adenauer – Mr. wissen2go Geschichte Terra X
Alles umsonst, peinlich, die offenbar nur geheuchelte, lautstarke moralische Empörung westlicher Politiker, die ansonsten Ruhe hielten? Der Mauerbau am 13.August 1961 das von Adenauer in Kauf genommene Schicksal der Deutschen im Osten? “Ich bin ein Berliner” eine bombastische Rede des amerikanischen Präsidenten Kennedy, bei der die dummen Deutschen in Ost und West erleichtert in einen großen Jubel ausbrechen? Der alljährliche Feiertag des 17.Juni das Rudiment eines einst mächtigen Landes?
Nicht nur die Besserwisserei eines Rückblicks verbietet mir, die Fragen mit einem verletzenden und gehässigen Ausrufezeichen zu versehen. Ich habe vielmehr die bohrende Vermutung, dass sich die drei Westmächte während des Kalten Krieges in der Ablehnung der Wiedervereinigung einig waren. Warum sonst hat die Premierministerin Frau Thatcher den französischen Präsident Mitterrand noch Anfang 1990 gebeten, “die Wiedervereinigung zu stoppen oder zu verlangsamen”. Es gibt eine ganze Latte von Geschichten.
Obwohl Adenauer mit der Westintegration den Osten Deutschlands scheinbar seinem Schicksal überlassen hatte, widersprach er in all seinen Neujahrsreden der Teilung Deutschlands, machte den Ostdeutschen Hoffnungen. Augenwischerei oder eine Vision mit dem Ziel der Verhinderung einer Spaltung der Gesellschaft, wie wir sie heute gerade erleben? Traf Adenauer damals nicht Entscheidungen, die wir heute fairerweise entgegen einem sich ausdehnenden und somit anbietenden Opferkultus, genannt Vergangenheitsbewältigung, akzeptieren sollten? Entscheidungen, die im Sinne des blöden Ausdrucks der Naturwissenschaftlerin Merkel „alternativlos“ waren?
Es gibt Argumente für meine mit den Fragen konstruierte Geschichte.
Adenauer und seine Nachfolger erkannten die Teilung Deutschlands nicht de jure an. So verdorrte die zarte Pflanze Wiedervereinigung nicht. Reden von der Wiedervereinigung gehörten im Westen zum Ritual politischer Veranstaltungen. Oder ganz kurz: mehr war nicht drin. Oder mit der friedvollen realistischen Pragmatik des Deutschen aus dem Westen gegenüber dem im Osten: weniger war mehr.
Ich möchte das nicht allein um des gesellschaftlichen Friedens willen glauben. Hilf dir selbst, dann wird dir geholfen, das soll die Botschaft der Geschichte der Ostdeutschen sein.
Hat Adenauer am 31.1.1954 das Verdienstkreuz mit den Worten von Heuss “in Anerkennung der um die Bundesrepublik Deutschland erworbenen außerordentlichen Verdienste“ ausgehändigt erhalten, weil er die innere Einheit der Deutschen bewahrte? Mit der Westintegration hat er ja nur bei seinen Besatzern offene Türen eingerannt. Ich kann das glauben, obwohl es sicherlich nicht nur mir angesichts der tragischen Folgen der Teilung schwerfällt.
Um die Frage der Legitimität der Politik Adenauers und seiner Nachfolger kommen wir aber mit diesen Überlegungen nicht herum. Die unterschiedliche Perspektive der Deutschen aus Ost und West, die die Experten heuchlerisch beklagen, darf nicht in der Urne einer treuherzigen Vergangenheitsbewältigung beerdigt werden. Sie muss respektiert und besprochen werden, sonst erleben wir eine Spaltung der Deutschen, die alle Bundeskanzler bisher verhindern konnten.
Die Westpolitik Adenauers mit all ihren Folgen ist aus heutiger Sicht legitim, wenn sie “noch gerade so” für den Ostdeutschen zumutbar war. Ich finde dafür nicht nur in der Realpolitik der Bundesregierungen, sondern auch im Wollen und Handeln der Deutschen aus dem Osten zahlreiche, wenn auch unterschiedliche Spuren.
Nur in aller Kürze, weil die Experten den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen:
Die seit jeher heiß umstrittene Ostpolitik der alten Bundesrepublik fand ihre Bestätigung im Ertrag des mühevollen Aufbaus von Vertrauen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion. Politiker wie Egon Bahr, Willy Brandt und Helmut Kohl standen für die Ostpolitik während des Kalten Krieges ein. Alle waren “besessen” von der Vorstellung, die schwierigen Verhältnisse der Menschen in Ost und West, gekennzeichnet durch den Eisernen Vorhang, zu entkrampfen. Vertrauen bei dem Politbüro der KPdSU mit dem Generalsekretär Gorbatschow an der Spitze ermöglichten den deutschen Herbst 1989 und die Wiedervereinigung. Genau so möchte ich es sehen.
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte diese Russlandpolitik beenden sollen? Nicht nur die heutigen Engpässe im Bereich Energiewirtschaft sagen uns, warum die damalige Bundeskanzlerin das nicht getan hat. Sie war auch um einen Ausgleich zwischen der Ukraine und Russland bemüht. Minsk 1 und 2 bewahrten Westeuropa einige Jahre vor der Beteiligung an dem europäischen Krieg, verhinderten im Jahre 2014 die totale Niederlage der Ukraine. Aber in der Ukraine darf sich Frau Merkel nicht mehr sehen lassen.
Das Verdienstkreuz mit besonderer Ausfertigung steht Angela Merkel nicht nur zu, weil sie 2014/2015 einen Krieg in Osteuropa verhindert hat. Sie hat auch 2008 den Plan des amerikanischen Präsidenten Bush zum Beitritt der Ukraine in die NATO zusammen mit dem französischen Präsidenten Sarkozy durchkreuzt. Sie handelte dabei in Übereinstimmung mit dem Willen der Ukrainer, die mehrheitlich einen Beitritt ablehnten. Der Nordatlantikvertrag sieht überdies die Aufnahme von Staaten, die sich in einem Konflikt mit einem anderen Staat befinden, nicht vor. Für Frau Merkel dürfte die Überlegung entscheidend gewesen sein, dass friedliche Lösungen von Konflikten von Militärs regelmäßig nicht zu erwarten sind. Durch die Ablehnung der Aufnahme der Ukraine schloss sie nach ihrem Verständnis von vornherein die Beteiligung Deutschlands an einem Krieg zwischen der Ukraine und Russland aus.
Um die Vergabe an die Ostdeutsche zu rechtfertigen, muss jedenfalls nicht so weit ausgeholt werden wie bei dem Rheinländer Konrad Adenauer mit seiner besonderen Vita.
Quelle: IMAGO/Political-Moments
Wie könnte es weitergehen?
Die Mehrheit der Ostdeutschen will keinen Krieg der NATO, ganz bestimmt aber keinen Krieg Deutschlands gegen Russland. Er stünde im Widerspruch zum Geist des am 12.4.1990 in Moskau abgeschlossenen 2 plus 4 Vertrags. Durch ihn hat Deutschland de jure die volle Souveränität erhalten. Das muss in Washington ankommen, nur darauf gründet eine dauerhafte Freundschaft .
Beginnen wir mit der Sprache. Wer Menschen, seien es auch “nur” Russen, als aus der Ukraine zu kehrenden Unrat bezeichnet, hätte keinen Friedenspreis des deutschen Buchhandels in der Paulskirche unter Standing Ovations der sogenannten deutschen Elite erhalten dürfen. Wer in einem Tweet als Stellvertretender Außenminister der Ukraine eine deutsche Bundestagsabgeordnete und ihren Ehemann als verbrecherische Komplizen Putins (ich sage schnell noch ”angeblich”, weil so unglaublich ) bezeichnet und ihnen eine baldige Bestrafung androht, degradiert Deutschland zu einer Bananenrepublik.
Wenn der ukrainische Präsident Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten sogar mit einer Selbstverpflichtung per Dekret weiterhin ablehnt, muss die Beendigung der Beteiligung der Deutschen am Krieg in der Ukraine eine Option deutscher Politik werden. Der Umstand, dass Russland völkerrechtswidrig die Ukraine überfallen hat, darf Deutschland nicht zu einer Geisel unter Verzicht auf eigene souveräne Entscheidungen werden lassen. Deutschland muss das baldige Ende seiner Beteiligung am Krieg in der Ukraine zwar nicht vorlaut, gegebenenfalls aber auf offener Bühne dem amerikanischen Präsidenten Biden souverän erläutern. So wie der deutsche Bundeskanzler Scholz von einer Strategie zum Ende von Nord Stream 1 und 2 auf einer Pressekonferenz in Washington erfuhr.
Nils Ole Oermann und Hans-Jürgen Wolff haben eine erweiterte und aktualisierte Neuausgabe ihrer Studie über Geschichte und Gegenwart von Wirtschaftskriegen veröffentlicht. Meine Erlebnisse bei der Lektüre der ersten Ausgabe aus dem Jahr 2019 habe ich hier im September 2021 geschildert. Nun will ich gerne auch Anteil geben an meinen Eindrücken beim Lesen des neuen Buches.
Die deutsche Fassung ist nach einer englischen vom Sommer 2022 offenbar zum Jahreswechsel 2022 / 2023 fertig gestellt und gewiss nicht zuletzt durch die aktuellen Ereignisse seit dem 24. Februar 2022 veranlasst worden. Das Buch hat über 100 Seiten dazu gewonnen, aus der Gliederung in 5 Kapitel sind jetzt 10 geworden. Die gute Lesbarkeit und die Zielstrebigkeit von Gedankenführung und Argumentation haben dadurch vielleicht ein wenig an Kraft verloren. An der Grundkonzeption haben die beiden Autoren jedoch nichts verändert. Meine frühere Würdigung wie auch meine Fragen behalten also ihre Gültigkeit, jedenfalls aus meiner Sicht.
Krieg, Handel und Piraterie, Dreieinig sind sie, nicht zu trennen.
Auch das schöne Zitat aus Goethes Faust wurde übernommen: „Krieg, Handel und Piraterie, Dreieinig sind sie, nicht zu trennen“ (S. 15). Allerdings muss ich ein wenig darüber grübeln, warum die sehr einleuchtende Anwendung dieses Leitmotivs aus der ersten Ausgabe nicht Eingang in die Überarbeitung gefunden hat: „Leider lässt sich tatsächlich ein großer Teil der Weltgeschichte als zeitlich und sachlich enger Zusammenhang von Krieg, Handel und Piraterie erzählen und erklären.“ (dort S. 10)
Vielleicht verbietet sich diese Sicht der Dinge für die Autoren, weil für sie seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine grundsätzlich veränderte Beurteilung der Wirklichkeit unumgänglich geworden ist: „Der unüberbrückbare Gegensatz zwischen Demokratien und Autokratien wird besser verstanden, die Zerbrechlichkeit vieler Produktions- und Lieferketten kommt zu Bewusstsein, und die Sensibilität für eigene Abhängigkeiten von nichtbefreundeten Mächten wächst. … Die westlichen Demokratien sehen ihre systemischen Rivalen und die Globalisierung mit anderen Augen. Ob sie aus dem so Erkannten auch die richtigen Schlüsse ziehen, bleibt abzuwarten.“ (S. 14) Ich will an dieser Stelle nicht verhehlen, dass nach meiner Überzeugung aus einem Welt- und Wirklichkeitsbild, das in „unüberbrückbaren“, also – wie es die zum Glück doch eigentlich überwundene Propagandasprache der marxistisch-leninistische Geschichtspolitik genannt hätte – „antagonistischen“ Gegensätzen denkt, selten die richtigen Schlüsse gezogen werden können. Immer gibt es neben Schwarz und Weiß die vielen Nuancen des Grau.
Meine Lektüre der Neuausgabe des Buches war geleitet von der Frage, ob es zu neuen Erkenntnissen helfen würde, die für eine Urteilsbildung über den Ukraine-Konflikt von Belang sein könnten. An verschiedenen Stellen wird der Werdegang des Konfliktes referiert, etwa im Abschnitt „Der Wirtschaftskrieg des Westens mit Russland“ (S. 56 ff.) Ich will das hier gar nicht kommentieren. Eine differenziertere Schilderung, die auch die russische Sicht und Wahrnehmung der Entwicklungen seit 2001 einbezieht, wäre aus meiner Sicht wünschenswert. Sie wird aber sicher erst mit größerem zeitlichem Abstand möglich sein. Einige Überlegungen dazu sind in meiner früheren Besprechung des Buches zu lesen.
Gegenwärtig stellt sich für die beiden Autoren vorrangig die Frage, ob die nach dem offensichtlichen Bruch des Völkerrechts durch den russischen Angriffskrieg seit dem 24.2.22 vom Westen eingeleiten Sanktionsmaßnahmen gerechtfertigt sind und Erfolg versprechen. Dazu lesen wir die eindeutige Antwort: „Die ergriffenen Wirtschaftssanktionen richten in Russland massiven Schaden an, sie sind für die Erreichung der westlichen Wirtschaftskriegsziele wirksam und steigern die Aussicht darauf, dass Moskau von seiner Aggression ablässt, und sie waren und sind trotz erheblicher Kosten die beste verfügbare Option.“ (S. 164)
Allerdings wird auch nicht verschwiegen: „Die westliche Koalition hat die Ziele ihres Wirtschaftskrieges gegen Russland nicht abschließend definiert. … Die ukrainischen Bedingungen könnten zum Beispiel der Rückzug der russischen Truppen weit hinter die eigene Staatsgrenze, Sicherheitsgarantien, Schadenersatz, Reparationen und die Bestrafung russischer Kriegsverbrecher einschließen. Bis zum Erreichen dieser Ziele könnten also westliche Wirtschaftskriegsmaßnahmen ganz oder teilweise fortgesetzt werden. Außerdem erscheint auf unabsehbare Zeit, die sich vermutlich eher nach Jahrzehnten bemisst, die strukturelle wirtschaftliche und technologische Schwächung Russlands geboten, solange sich dort kein durchgreifender Wandel vollzieht.“ (S. 154 f.)
Im abschließenden Teil des Buches unter der Frage „Was tun?“ wird dieser Gedanke aufgenommen und als eigene Empfehlung der beiden Autoren konkretisiert: „Russland muss nun zunächst und möglichst für immer beigebracht werden, dass es seine Lage durch militärische Gewaltanwendung nur verschlimmern kann. Danach mag es wieder zum Handelspartner und Rohstofflieferanten des Westens werden. Allerdings wird sich das geschwächte Russland in Zukunft wirtschaftlich wohl vor allem nach Asien orientieren, und man wird es dort vermutlich entsprechend einhegen, um den internationalen Frieden zu schützen. Es läge allerdings nicht im westlichen Interesse, sollte China in Russlands Fernem Osten unternehmerisch vordringen und darüber hinaus die gesamtrussische Infrastruktur instand halten und managen, denn das brächte Peking noch näher vor EU-Europas Tür. Russland soll sich China gegenüber behaupten können. Auch darum wird nach dem Ende des Ukrainekrieges ein gewisses Maß an westlicher Zusammenarbeit mit Russland nötig sein.“ (S. 281)
In diesen Sätzen wird ein dreifaches Problem deutlich. Zum einen verlassen die Autoren das Genus einer differenzierten wissenschaftlichen Analyse mit den Werkzeugen des Historikers und des Wirtschaftsethikers und öffnen sich einer politischen Programmatik. Wahrscheinlich ist dieser Wechsel in der bedrängenden aktuellen Situation unumgänglich. Wäre darauf verzichtet worden, hätte dies ebenso zu kritischen Nachfragen geführt. Aber klug beraten sind wir, wenn wir uns nüchtern den Vorbehalt vor Augen führen, dass für viele Überlegungen die Zeit noch nicht reif ist.
Zum anderen wird hier aber auch ein westliches Denken deutlich, das nun selbst nicht unwesentlich zum Konflikt beigetragen hat. Als ich die zitierten Sätze las, dachte ich: Um Himmels willen, hoffentlich liest das keiner in Moskau. Denn es ist auf russischer Seite ja genau dieses propagandistisch ausgenutzte, aber eben wie man sieht nicht völlig unbegründete Gefühl, das mit zu dem gegenwärtigen Desaster geführt hat: Der Westen will uns zähmen und schwächen und uns allenfalls gönnerhaft und widerwillig als Rohstofflieferanten akzeptieren. Und leider ist dieses Denken ja keineswegs erst seit dem 24.2.22 bestimmend.
Dafür gibt es viele, an anderen Stellen genügend aufgeführte Beispiele, ich komme später auf zwei von ihnen darauf zurück. Hier will ich nur noch einmal an die gelinde gesagt halbherzigen Bemühungen des Westens erinnern, zur Umsetzung der Minsker Friedensabkommen beizutragen, die ja keineswegs nur an Moskau gescheitert ist. Wohl eher im Gegenteil. Nebenbei: auch Minsk I und II waren geltendes Völkerrecht, das gebrochen worden ist. Und es hat in der ganzen Zeit bis zum Kriegsausbruch auch in Kiew andere politische Kräfte und Bewegungen gegeben, die einen Interessenausgleich mit dem russischen Nachbarn eher näher gerückt hätten als die Politik der Regierung, die von vornherein immer nur auf die Zusage der militärischen Unterstützung der NATO vertraut hat und auf die sich selbst erfüllenden Prophezeiungen der amerikanischen und britischen Geheimdienste. Mich hat immer irritiert, dass diese anderen Stimmen aus Kiew in unseren Medien nie zu hören waren.
Und drittens: Nachdenklich im Blick auf die Positionierung des Westens stimmt mich in der zitierten Passage die Sorge, entgegen dem westlichen Interesse käme am Ende eine ungewollte Stärkung Chinas heraus. Es wäre ja tatsächlich nicht das erste Mal, dass das Fehlen einer von wirklicher Staatskunst und von historischer Bildung getragenen Politik zu Ergebnissen führt, die schlimmer sind als der ursprünglich bekämpfte Zustand – genügend Beispiele dafür stehen uns beklemmend und ernüchternd vor Augen. Und – wieder nebenbei zu den Risiken und Nebenwirkungen: Ob Polen wirklich auf Dauer glücklich bei der Vorstellung ist, dass nach einer nachhaltigen Schwächung Russlands nun ausgerechnet die Ukraine die neue Supermacht im östlichen Mitteleuropa wird, erscheint mir doch eher fraglich. Oder gibt es womöglich ein Interesse daran, ähnlich wie in Versailles 1919 eine Nachkriegsordnung zu errichten, die den Keim neuer Kriege schon in sich trägt?
Aber noch einmal zurück zu unserem Buch. Mit geschärftem Blick und – ich will es gleich vorweg nehmen – mit dem größten Erkenntnisgewinn habe ich jetzt noch einmal den Abschnitt über „Die Zusammenhänge von Wirtschaftsbeziehungen und Kriegsursachen“ gelesen, der im wesentlichen, nur unter einer neuen Überschrift aus der ersten Ausgabe übernommen wurde. Geschärft war mein Blick durch die Frage, ob der russische Angriff auf die Ukraine auch durch eine verfehlte Handels- und Wirtschaftspolitik des Westens begünstigt worden ist, mit anderen Worten, ob das Programm „Wandel durch Handel“ gescheitert oder am Ende von vornherein verfehlt gewesen ist. Viele Anklagen und Schuldbekenntnisse vor allem deutscher Politiker weisen in diese Richtung, ich konnte sie bisher immer nur mit Schulterzucken zur Kenntnis nehmen. Aber wie steht es nun wirklich um Wirtschaftsbeziehungen und Kriegsursachen?
Ich will zur Antwort auf diese Frage einen längeren Abschnitt aus dem Buch zitieren, in dem die Autoren eine Studie über Großmachtkonflikte von Dale Copeland aus dem Jahr 2015 referieren, „die dem Zusammenhang von wirtschaftlicher Interdependenz und militärischen Auseinandersetzungen nachgeht“ (S. 165). Wiedergegeben werden die Ergebnisse der Untersuchungen von Copeland über Kriegsursachen in der Vergangenheit. Wir können beim Lesen aber immer wieder an Russland, die Ukraine und den Westen in der Gegenwart denken:
„Ausschlaggebend für den Entschluss zum Konflikt sei nicht der Einfluss wirtschaftlicher Interessengruppen gewesen, sondern die Sorge der politischen Führer um die nationale Sicherheit. Für das Verständnis dieser Sorge kommt es entscheidend darauf an zu verstehen, dass wirtschaftliche Interdependenz eben immer auch Dependenz bedeute, das heißt die Abhängigkeit von weiterhin günstigen Handels- und Investitionsbedingungen und dem Zugang zu Rohstoffen. … Der Friede bleibe solange erhalten, wie die jeweils schwächere Macht die Hoffnung darauf behalte, dass sich das Handels- und Investitionsklima verbessern werde. Bei diesbezüglichem Optimismus stünden die Opportunitätskosten eines Krieges im Vordergrund, die durch Friedfertigkeit vermieden werden können; bei Pessimismus hingegen setzten sich die Sorgen über die Anpassungskosten der verschlechterten Wirtschaftsbeziehungen durch und trieben zum Krieg. Auf das aktuelle Niveau des Handelsaustauschs komme es nicht entscheidend an. Zusätzlich gebe es ein Handel-Sicherheits-Dilemma. Es beruhe im Kern auf unvollständiger Information und der daraus folgenden Ungewissheit über den Charakter, die Verlässlichkeit und die Absichten anderer Staaten, vor allem anderer Großmächte. Demokratien seien imstande, sich genauso aggressiv zu verhalten wie autoritäre Staaten… Und wenn ein Konkurrent allzu aggressiv seinen Handelserfolg auch militärisch schütze und sichere, dann drohe sich rasch eine Abwärtsspirale zu entwickeln: Es werde ihm friedliche Eindämmung entgegengesetzt, die ihrerseits oft militärisch flankiert werde, was wiederum den Adressaten der Eindämmung in seiner Aggressivität bestätige und bestärke („Sie wollen uns niederhalten“), und die Prognosen wie auch die Lage würden immer düsterer. Darum seien militärische und wirtschaftliche Großmächte gut beraten, als eigene Charaktereigenschaften Vernünftigkeit und Mäßigkeit zu kommunizieren, und darum seien Institutionen nützlich, die positive Erwartungen zu stabilisieren helfen. Zu alledem komme schließlich die Gefahr hinzu, dass exogene Faktoren wie etwa die Kapriolen kleinerer Mächte oder ein allzu rasches Wachstum des Schwächeren ein durch das Handels-Sicherheits-Dilemma angespanntes Großmachtverhältnis destabilisieren können.“ (S. 156 f.)
Soweit die Wiedergabe der Copeland-Studie durch die beiden Autoren unseres Buches. Ich habe sie hier so ausführlich zitiert, weil sie aus meiner Sicht eine vorzügliche Beschreibung unserer aktuellen Lage bietet, ihrer Ursachen und möglichen Auswege. Sicher, die Parallelen zur Gegenwart müssen eine wechselnde Rollenverteilung zwischen Stärkeren und Schwächeren berücksichtigen. Im Verhältnis zu den Nachbarn ist Russland der Stärkere, im Verhältnis zum Westen ist es oder fühlt sich zumindest als der Schwächere.
Vor allem aber lernen wir: es gibt keinen Grund dafür, das Bemühen um eine enge wirtschaftliche Verflechtung des Westens mit Russland zu verdächtigen. Die Ursache für das Scheitern dieser Politik ist vielmehr das tatenlose Zusehen – wenn nicht die bewusste Forcierung – einer sich beschleunigenden Abwärtspirale durch eine Eindämmungsstrategie des Westens gegenüber Russland und deren zunehmende militärische Flankierung. Wir erinnern uns an den Aufbau eines Abwehrschirms in Polen zur Abwehr iranischer Raketen (!), dessen Planung frühzeitig begann. Alle Warnungen besonnener Politiker sind leider in den Wind geschlagen worden. Und auch die traurige Geschichte um die Pipeline Nord Stream 2 ist ein Beispiel dafür. Man muss sich ja nur ein wenig vor Augen führen, wie das Hin und Her auf der russischen Seite angekommen ist, von vielen Vorgeschichten schon bei Nord Stream 1 und den Dauerkonflikten um den Gas- und Öltransit aus Russland nach Westeuropa, vom ökonomischen und geopolitischen Interesse der USA und von manchen „Kapriolen kleinerer Mächte“ gar nicht zu reden. Copelands Beschreibungen finden hier eine treffende Illustration.
Umso dringlicher wird der Rat an alle Beteiligten und eben auch an den Westen, Vernünftigkeit und Mäßigkeit zur bestimmenden Maxime politischer Entscheidungen werden zu lassen, auch und gerade jetzt wenn es darum geht, wie wir aus dem Desaster herausfinden! Denn, so schließen Oermann und Wolff ihre Wiedergabe der Copeland-Studie: „Angesichts dieses Befundes drängt sich die Frage auf: Was haben wir zu erwarten? Wirtschaftskriege auch mit anderen Staaten als Russland, oder noch Schlimmeres?“ (S. 167)
Je länger ich beim Lesen des Buches über den Krieg des Westens gegen Russland nachdenke, um so mehr festigt sich auch für mich die Überzeugung, dass der Ukrainekrieg nur Verlierer haben wird und weder militärisch noch durch eine exzessive Sanktionspolitik zu gewinnen ist. Sehr zu Recht wird wohl aus diesem Grund von deutscher Seite das Kriegsziel nur negativ beschrieben: Russland darf nicht gewinnen, die Ukraine darf nicht verlieren. Positiv formulierte Aussagen verbieten sich offenbar.
Dem Bruch des Völkerrechts muss widerstanden werden wo immer (!) er geschieht, gewiss auch militärisch und mit Sanktionen – gewiss aber nicht mit einer Ausmerzung der ganzen russischen Kultur aus der europäischen Landschaft und einer dauerhaften Herabstufung dieses reichen Landes als gehorsamen Rohstofflieferanten. Alle Energie und alle Staatskunst müssen vielmehr stets auch und vor allem darauf gerichtet sein, die wirklichen Kriegsursachen differenziert, nüchtern und selbstkritisch zu analysieren. Im Ergebnis kann endlich ein verlässliches gesamteuropäisches Sicherheitsmodell entstehen und mit Leben erfüllt werden – Gorbatschows Gemeinsames Haus Europa! -, in dem wieder Wandel durch Handel stattfinden kann, in dem in gleicher Weise imperialistische Verirrungen wie auch nationalistische „Kapriolen“ eingedämmt werden durch „Vernünftigkeit und Mäßigkeit“ (alle drei Stichworte gefallen mir immer besser!), in dem außereuropäische Mächte und Interessen zum gegenseitigen Vorteil einbezogen werden unter der Bedingung ihres Verzichts auf alle hegemonialen Ambitionen oder durch deren beherzte Abwehr. Mit einem Wort ein Zustand, in dem der uns in West und Ost anvertraute ökonomische und kulturelle Reichtum aus der Geschichte und der Gegenwart unseres Kontinents auch seine Zukunft prägen kann.
Zum Schluss aber: ein herzlicher Dank an Nils Oermann und Hans-Jürgen Wolff für ihr lehr- und hilfreiches, an vielen Stellen klärendes Buch! Ich hoffe, dass ich hier Lust auf eine eigene Lektüre machen konnte.
Ermitage in St. Petersburg (Aufnahme von 1987 B.Z.)
Ende Januar bin ich für eine Woche nach St. Petersburg gereist, die Stadt, in der ich um die Jahrtausendwende einige Jahre gelebt und gearbeitet habe und die ich seit Oktober 2019 nicht mehr besuchen konnte. Ich war aufgeregt und gespannt, was mich erwarten würde. Eine Freundin, der ich meinen Besuch angekündigt hatte, schrieb mir: Schön, dass Du kommst. Aber hast Du keine Angst, dass die Stadt Dir mit Attacken begegnen wird? Nein, die Angst hatte ich nicht oder wenn, dann war sie überlagert von der Gewissheit, dass Besuche und Zeichen der Verbundenheit nie so wichtig waren wie gegenwärtig. In dieser Gewissheit, um dies gleich vorweg zu sagen, bin ich mehr als bestätigt worden. Es hat außerdem keine einzige bedrohliche oder unangenehme Situation während meiner Reise gegeben.
Die Anreise ist kompliziert geworden. Was früher in zwei Stunden Flug von Berlin oder Hamburg zu schaffen war, braucht heute mindestens einen Tag. Ein Hamburger Reisebüro regelt alles schnell und unkompliziert, die Visabeschaffung und die Buchung des Fluges nach Helsinki und von dort die siebenstündige Busfahrt an die Newa. Die Grenzkontrolle war etwas umständlich und nicht immer nachvollziehbar, aber freundlich und locker. Da hatte ich schon anderes erlebt. Um bei den aktuellen Komplikationen zu bleiben: Man ist gut beraten, genügend Bargeld mitzunehmen, denn die westlichen Karten funktionieren nicht mehr. Wechselstuben sind aber geöffnet und tauschen Rubel etwa zu dem Kurs ein, der vor Kriegsbeginn üblich war.
Auf dem Petersburger Busbahnhof gegen 22 Uhr angekommen bin ich mit einem Taxi ins Hotel gefahren. Mein Versuch, mit dem Fahrer ins Gespräch zu kommen, war etwas holprig. Auf meine Frage, wie denn sein Leben jetzt wäre, antwortete er unwirsch: Was soll die Frage, alles ist normal. Ob dahinter seine Gefühlslage stand: Diese scheinheiligen Westler, brocken uns die Misere ein und fragen dann, wie es uns geht. Aber vielleicht liege ich mit dieser Deutung ganz falsch, ich weiß es nicht. Das krampfhafte Bemühen um Normalität im Alltag in Verbindung mit einer deutlichen Reserviertheit habe ich allerdings in der ganzen Woche immer mal wieder wahrgenommen.
Am ersten Tag meines Aufenthaltes in Petersburg war Gedenktag an das Ende der Blockade im Januar 1944. Putin war aus diesem Anlass in die Stadt gekommen. Im Fernsehen wurde die offizielle Gedenkveranstaltung übertragen, sie war wie früher auch geprägt von tiefer Trauer, die Reden, soweit ich sie verfolgen konnte, nicht scharfmacherisch oder kriegerisch. Stärker als früher dominierte allenfalls das Motiv „Bolshe nikogda“, nie wieder. Wenn damit die Sorge zum Ausdruck gebracht werden soll, einer Einschnürungsstrategie des Westens ausgesetzt zu sein, dann kann die derzeitige politische Elite Russlands einer großen Zustimmung in der Bevölkerung gewiss sein. Die Meinungen gehen allerdings weit auseinander in der Frage, wie damit umzugehen ist und vor allem, ob dadurch der Angriff auf die Ukraine gerechtfertigt werden kann. Putin nutzte übrigens das Datum des 27. Januar zu einem Besuch in der Großen Synagoge und zu einer Begegnung mit dem Vorstand der jüdischen Gemeinde. Auch darüber und über den Holocaustgedenktag berichtete das Fernsehen ausführlich, sicher mit der unausgesprochenen Botschaft: Vergesst nie, was geschehen kann, wenn man sich nicht rechtzeitig wehrt.
Das Stadtbild hat sich in den drei Jahren seit meinem letzten Besuch verändert, weil die vielen Werbebanner, die quer über die breiten Prospekte gespannt waren, erheblich dezimiert worden sind. Das ist ein deutlicher Gewinn für den Betrachter der schönen Stadtlandschaft, auch wenn die Ursache möglicherweise das Fehlen von Auftritten internationaler Showgrößen ist, für die früher so aufdringlich geworben wurde. Im Marinski-Theater dirigiert Valeri Gergiew jeden Abend – meine Petersburger Freunde sind mit einer Art von Galgenhumor dankbar für diese Folge deutscher Kulturpolitik. Überhaupt kein Verständnis haben sie dafür, dass in Nachbarländern die russische Kultur insgesamt ausgemerzt werden soll. Ich nebenbei gesagt auch nicht.
Das Angebot in Geschäften und Supermärkten ist unverändert, soweit ich das sehen konnte, auch die Preise für Lebensmittel sind nach wie vor moderat, wenn auch teurer als früher. Kostenexplosionen hat es wohl auf anderen Gebieten gegeben. Die Deshurnaja in meinem Hotel erzählte mir, dass sie mit der Renovierung ihrer Wohnung begonnen hatte, sie aber wegen der Teuerung nicht vollenden konnte – mit dem Ergebnis, dass sie ihre Wohnung verkaufen und in einen Vorort ziehen musste. Sicher kein Einzelschicksal. Sie stammt übrigens aus Kiew. Als ich vor vielen Jahren das erste Mal mit ihr zusammentraf fragte ich sie, ob sie lieber ukrainisch oder russisch spräche. Völlig egal, das ist doch alles eins – so antwortete sie damals. Ob sie das heute auch noch sagen würde?
Viele meiner Freunde arbeiten seit Corona im Home-Office. Insgesamt, so mein Eindruck, ist die Digitalisierung des Alltags weiter voran geschritten als bei uns. Als ich mit einer Freundin in ihre neue Wohnung gegangen bin, sah ich in der Nachbarschaft einen Supermarkt. „Das ist ja praktisch, hier kannst du gleich einkaufen“ – sie sah mich erstaunt an: Geht ihr in Deutschland noch einkaufen? Ich bestelle alles, was ich brauche und es wird umgehend geliefert. Als am Abend die Zeit heran war, bat ich sie, mir ein Taxi zu bestellen. Sie tippte etwas in ihr Handy und sagte: Unten wird in fünf Minuten ein weißer Mazda stehen mit der Wagennummer 5699. Normalität des Alltags. In vielem sicher eher typisch für die Weltstadt, und nicht für Mütterchen Russland. Aber immerhin.
In fast allen Gesprächen kamen wir über kurz oder lang doch immer wieder auf die Ukraine zu sprechen. Standpunkte und Positionen wurden mehr oder weniger offen geäußert, ich will dies hier im einzelnen gar nicht wiedergeben. Letztlich habe ich wenig Überraschendes gehört, vielleicht mit einer Ausnahme. Über die muss ich aber nachdenken, sicher weil sie mir so sympathisch war und ist.
Isaakskathedrale – St. Petersburg (Foto 1987 B.Z.)
Es war in einem Gespräch in einer Stolowaja mit Zufallsbekannten, offenbar einer Gruppe von Studenten. Nach anfänglicher kaum verhohlener Wut mir gegenüber sagte einer, ein Geschichtsstudent, wie sich später herausstellte, wie enttäuscht auch er wäre, dass Deutschland Waffen und nun auch noch Panzer an die Ukraine liefere. Hättet ihr nicht eure Erfahrungen beim Überwinden von Feindschaften, bei Vertrauensbildung zwischen ehemaligen Gegnern, bei Versöhnung und Friedensstiftung in die Wagschale werfen können, die gerade ihr Deutschen gewonnen habt? Statt dessen habt ihr einseitig nur die unterstützt, die von vornherein ausschließlich auf die Waffenversprechungen des Westens vertraut und ihre Politik danach ausgerichtet haben. Es hat doch auch in Kiew durchaus andere Stimmen gegeben, die möglicherweise eine friedliche Beilegung der vielen Konflikte eröffnet hätten. Wenn man die unterstützt hätte, wäre den Kriegstreibern auf beiden Seiten vielleicht ein wenig Boden unter den Füssen entzogen worden. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät.
Ich denke oft an diesen jungen Mann, an seine Enttäuschung, die Ratlosigkeit und die tiefe Trauer, die aus seinen Worten sprach und an die leise Hoffnung. Diese komplexe Gemengelage im Lebensgefühl hat meine Wahrnehmung der Realität in Petersburg bestimmt, sie beherrscht mich bis heute.
Als Reiselektüre vor allem für die vielen Stunden im Bus hatte ich mitgenommen eine pdf-Datei der erweiterten und aktualisierten Neuausgabe des Buches „Wirtschaftskriege“ von Nils Ole Oermann und Hans-Jürgen Wolff sowie den 2. Band von Heinrich August Winklers Geschichte Deutschlands unter dem Titel „Der lange Weg nach Westen“. Zum Lesen bin ich aber nicht wirklich gekommen. Zu neugierig war ich auf der Hinfahrt auf Gespräche mit Mitreisenden, auf der Rückfahrt hielten mich Erinnerungen und die Verarbeitung von Eindrücken vom Lesen ab. Über das Wirtschaftskrieg – Buch werde ich an anderer Stelle in diesem Blog berichten, in Ergänzung zu meiner früheren Rezension. Bei Winklers Buch regt mich vor allem der Titel immer wieder zum Nachdenken an. Ein langer Weg nach Westen, ohne Frage. Zum Segen für die deutsche Geschichte? War der Preis am Ende doch zu hoch? Hätten die europäische Mittellage Deutschlands und eine gebildetere Verantwortung vor unserer Geschichte doch andere Perspektiven eröffnen können? Mehr Bescheidenheit, weniger verlogene Selbstgerechtigkeit? Eine Außenpolitik, die ihre wahren Interessen oder Abhängigkeiten offen benennt und nicht hinter einer vermeintlichen Werteorientierung verschleiert? Mehr Bismarck, weniger Baerbock?
Während ich diese letzten Sätze schrieb, machte mich ein Freund auf Antje Vollmers Gedanken zum Jahrestag des Kriegsausbruchs aufmerksam (siehe Link am Ende). Denen kann ich eigentlich nichts hinzufügen. Allenfalls noch meine Bitterkeit darüber, dass ich meine Reise als Reise in ein Feindesland bezeichnen muss, wo ich doch eine ganz andere Wirklichkeit erlebt habe. Die bekümmerte Traurigkeit der schon erwähnten Deshurnaja ging und geht mir nahe, als sie mich beim Abschied fragte: Wird nun nur negativ über uns berichtet in euern Medien? Ja, musste ich wohl oder übel antworten.
Hinabsteigen will ich in die flimmernde See,
den Hauch eines Schleiers auf meiner Haut.
Ich spüre deinen Blick, wie er mir folgt,
mich fesselnd erhebt und trägt.
Sehnsucht umgibt mich,
gleich Ranken des Weinstocks - Hoffnung und Elegie.
Jedes Blatt dieser Reben ein zartes Wort,
verzaubernder Klang unserer Liebe.
Schönste Gefühle, tiefes Verlangen
hängen in vollen Trauben schwer und verheißend herab.
Doch nichts, nichts als das Ahnen ihrer Süße ist's,
was uns bleibt.
Genießen - wie könnt ich das?
Dem Tode nahe fühlt sich's an, ferne von dir zu sein.
Nicht deine Zartheit, nicht deine Lippen -
nicht warm deine Stimme zu fühlen.
Nie mehr meine Sinne im Gleichklang mit deinen
in unserer Welt zu bewegen.
Doch was sich ähnlich ist, das fand sich
und bleibt einander ewiglich.
Tanzen in Frankfurt (Oder) in der Tanzschule Golz-Glogener
Vorwort:
Aurelius Augustinus setzte sich intensiv mit dem Tanz auseinander, den er zu den Künsten zählte. Wann immer die Zählbarkeit in der Bewegung, also der Rhythmus beachtet wird, bietet sich diese Kunst als Genuss dar und weist in die Innerlichkeit sowohl des Tänzers, als auch des Zuschauers.
„Ich lobe den Tanz,
denn er befreit den Menschen
von der Schwere der Dinge,
bindet den Vereinzelten
zu Gemeinschaft.
Ich lobe den Tanz,
der alles fordert und fördert,
Gesundheit und klaren Geist
und eine beschwingte Seele.“
Oft hört man von Unternehmenspleiten und Betriebsschließungen. Selten spürt man unmittelbar die Folgen. Bei der letzten Zumbastunde hat Frau Golz-Glogener bekannt gegeben, dass sie und ihr Mann für ihre Tanzschule Insolvenz anmelden mussten. Der Zumbakurs, den ich seit 2015 besuche, wird nur noch bis Ende Februar stattfinden. Wir alle sind sehr betroffen.
Wir, das sind die Mitglieder einer fröhlichen, gut aufeinander eingestimmten Zumba-Fitness-Truppe, die so manches mal an ihrer strengen Lehrerin und ihren anspruchsvollen Anforderungen beinahe verzweifelt wären. Und doch waren wir immer dankbar, so hilfreiche, präzise und gut verständliche Hinweise zur Ausführung der Tänze und zu ihren charakteristischen Bewegungen zu erhalten.
Als studierte Tanzlehrerin weiß Frau Golz-Glogener auch um Verletzungsrisiken und kann mitunter nur mit einem Fingerzeig vorbeugen. „Tanzen lernt man beim Profi“ ist das Motto ihrer Tanzschule. So ist es! Letztendlich war sie auf unsere körperliche und geistige Fitness bedacht, auf unseren Spaß an Bewegung und Tanz, auf unsere Körperhaltung und die damit verbundene Ausstrahlung. Das alles bei schwungvollen lateinamerikanischen Rhythmen. Samba, Cha-Cha-Cha, Rumba – wunderbar!
Ich habe Frau Golz-Glogener immer mit Jutta Müller verglichen, der strengen Trainerin von Katharina Witt. Ein Lob für geglückte Tanzschritte und exakte Bewegungen aus berufenem Munde zählt mindestens doppelt, tut unsagbar gut und spornt an!
Schon 1984 lernte ich die engagierte Tanzlehrerin kennen. In der DDR war es üblich, dass Schüler der 8. Klasse zur Tanzstunde gehen. So auch meine Klasse, die Klasse 8a der 18. POS Franz-Mehring. Wir waren 14 und 15 Jahre alt. Ein bisschen geniert, die ganze Sache ein wenig ins Lächerliche ziehend, absolvierten wir die Tanzstunden bei Frau Golz im Kulturhaus „Haus am Berg“ in der Gubener Straße, bis hin zum Abschlussball im Kulturhaus „Völkerfreundschaft“.
Anfangs fuhr ich mit der Straßenbahn. Mit 15 Jahren hatte ich meinen Mopedführerschein und fuhr mit meiner hellgrünen Simson S 51 B, die ich über alles liebte, in einer Clique zur Tanzstunde. Einige Jungs unserer Klasse hatten eine silberfarbene S 51 Enduro mit ihrem charakteristischen schrägen Auspuff. Mit Hosen kamen wir mopedfahrenden Mädchen an und wechselten dann vor der Stunde zum Rock.
Mein Tanzpartner war Hardy, ein kleiner, blonder Lockenkopf. Ihm gelang übrigens nach seinem Abitur die Flucht aus der DDR über das damalige Jugoslawien, wo er zunächst eine geraume Zeit im Gefängnis saß. Hardy und ich waren etwa zwei Jahre zuvor übereingekommen, dass wir „miteinander gehen“. Für uns beide, zwei schüchterne Zeitgenossen, war diese Übereinkunft eine äußerst hemmende und die Dinge und unseren Umgang miteinander komplizierende Angelegenheit. Aber ich hatte einen Tanzpartner sicher, was nicht jedes Mädchen behaupten konnte, denn auf sechs Jungen kamen elf Mädchen. Neben dem Erlernen der Standarttänze wurde auf Körperhaltung und die Regeln des guten Benehmens sowie Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit der Herren gegenüber den Damen geachtet.
Im Jahr 2014, dreißig Jahre später, schlugen unsere Freunde Heidi und Rolf Henrich mir und Reinhart vor, zusammen einen Tanzkurs zu besuchen. Ich staunte nicht schlecht, als ich nach so langer Zeit Frau Golz-Glogener gegenüberstand.
Ihr Mann Renė Glogener und sie hatten sich 1993 den Traum einer eigenen Tanzschule erfüllt. Wir haben damals den Grundkurs belegt, denn keiner von uns meinte, auf die erworbenen Tanzfähigkeiten aus Jugendzeiten zurückzugreifen zu können. Der Kurs wurde zu einer Herausforderung. Er war anstrengend, vor allem aber machte er Spaß. Disziplin wurde erwartet. Es gab Regeln, deren Einhaltung Frau Golz-Glogener mit Bestimmtheit einforderte. Genauso aber hatten beide Tanzlehrer Verständnis und Geduld bei Schülern wie Reinhart zum Beispiel, dem der Rhythmus eher nicht in die Wiege gelegt wurde – was er bis heute heftig bestreitet. Wir lernten neue Tanzschritte und trainierten so Körper und Geist. Besonders gern sahen alle die Präsentation des als nächstes zu erlernenden Tanzes vom Profipaar. Es war eine Augenweide, sie voller Leichtigkeit und Eleganz über die Tanzfläche gleiten zu sehen. Diese Ausstrahlung des sich harmonisch und rhythmisch bewegenden Paares war einfach hinreißend. Ich hätte stundenlang zusehen können und träumte dabei, eines Tages eine ähnlich gute Figur auf dem Parkett abzugeben.
Rolf „kniff“ nach dem Grundkurs zum Bedauern von Heidi. Reinhart und ich meldeten uns noch für den Aufbaukurs an. Als der vorbei war, wollte ich unbedingt weiter tanzen und Frau Golz-Glogener schlug mir ihren Zumbakurs vor. Seitdem bin ich nicht ohne Ehrgeiz dabei. Ich tanze einfach gern!
Die Coronakrise hatte der Tanzschule schon ordentlich zugesetzt. Wie viele Betriebe musste auch sie zeitweilig geschlossen werden. Nicht wenige Menschen wurden durch die Ausgangsbeschränkungen in der Pandemie in eine gewisse Lethargie versetzt. Zudem halten die meisten wegen der Ukrainekrise und der unglückseligen Politik der Bundesregierung ihr Geld zusammen. Sie geben es nur für wirklich notwendige Dinge aus, statt für Sport, Gesundheit und Freude. Energie und Lebensmittel sind einfach zu teuer geworden. Das hat dem kleinen Unternehmen den Todesstoß versetzt. Waren vor der Corona-, Ukraine- und Energiekrise die Kurse gut besucht bis ausgebucht, so brachen mit den Krisen die Anmeldungen ein.
Voller Hoffnung möchte ich aber auch unseren beiden Tanzlehrern sagen: In jeder Krise steckt ein Neubeginn.
In diesem Jahr wollten Charlotte Golz-Glogener und René Glogener das dreißigjährige Bestehen ihrer Tanzschule feiern.
„Tränen der Zärtlichkeit“ – ein unbedingt empfehlenswerter Film nach einem Romanentwurf des Schriftstellers
Neben einer zauberhaften Liebesgeschichte zwischen der Österreicherin Clarissa und dem Franzosen Leonard steht im Blickpunkt dieses Films der Erste Weltkrieg. Erleben wir ein Déjà-vu?
Eure Bettina
Clarissa liest aus der Zeitung vor: Österreich mobilisiert.
Leonard auch aus der Zeitung: Frankreich stellt sich auf die Seite Serbiens, ebenso Russland. Die Österreicher sind Unterdrücker, die Serbien mit aller Gewalt auslöschen wollen. Sie wollen den Krieg.
Clarissa: Aber wer will Krieg? Glaubst du, dass wir den Krieg wollen?
Leonard liest weiter: In Paris demonstriert die Menge und schreit dabei ‚Tod den Deutschen‘.
Clarissa: Meinst du, Frankreich wird in den Krieg eintreten?
Leonard: Nein, das bezweifle ich. Die Sozialisten werden es verhindern. Sie stellen sich dem Massaker entgegen, dem Irrsinn.
Ein Frosch, der in heißes Wasser gesetzt wird, hüpft aus dem Topf. Dagegen genießt er den Prozess, wenn er auf kleiner Flamme gegart wird.
Wenn ich Zeitungen wie der FAZ vom 18.1.23 oder der Berliner Zeitung glauben soll, ist diese unwahrscheinliche und Tierliebhaber empörende Geschichte angeblich der Ausgangspunkt für realpolitische Überlegungen von Strategen in westlichen Hauptstädten. Wie kann die Ukraine bei ihrem Verteidigungskrieg massiv mit Waffen und Geld unterstützt und dennoch die direkte militärische Auseinandersetzung zwischen den NATO-Staaten und Russland ausgeschlossen werden?
Die Überlegungen der Strategen gehen laut der Frankfurter Allgemeinen angeblich dahin, bei jeder Entscheidung zu Waffenlieferungen abzuwägen, ob der russische Präsident den Zuwachs der ukrainischen Schlagkraft als so bedrohlich ansieht, dass die direkte militärische Auseinandersetzung Russlands mit NATO-Staaten wahrscheinlich wird. Bei Betrachtung des Weges, der zur am 25.1. getroffenen Entscheidung über die Lieferung des Leopard 2 führte, erweist sich Deutschland im Rückblick als konsequent. Deutschland begann den „Garvorgang“ zurückhaltend, statt der geforderten 100.000 wurden 5000 Militärhelme geliefert. Eine illustre Runde von Militärexperten mit ihrer Entourage an Politikern und Journalisten versprühte Hohn und Spott. Es folgten Steigerungen, sehr diplomatisch. Die Stimmung der um den Frieden bangenden Bürger wie auch der bedingungslosen Unterstützer wurde berücksichtigt: Schützenpanzer, Mehrfachraketenwerfer und jetzt der Leopard 2. Laut Oberst Reiser vom österreichischen Heer eine Angriffswaffe.
Im Einklang mit der Strategie steht scheinbar das insbesondere vom Bundeskanzler beharrlich geforderte geschlossene Auftreten der NATO-Staaten. Die von der Ukraine eingeforderten Waffenlieferungen der Staaten erfolgen zwar nicht gleichzeitig, aber fast immer abgestimmt. Es soll verhindert werden, dass sich Russland einen einzelnen Staat vornimmt. So verzögerte der Bundeskanzler die Lieferung der Leopard 2 Panzer solange, bis auch die USA die Lieferung von 31 „Abrams“ Kampfpanzern an die Ukraine zugesagt hatte. Überdies wird das Vorprellen einzelner Staaten wie Polen eingedämmt.
Mir kommt die Strategie nicht nur naiv, sondern höchst verdächtig vor.
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat die Lieferung des Leopard 2 begrüßt. Sein Außenminister Kuleba fordert nunmehr die Lieferung westlicher Kampfjets und Langstreckenraketen. Das ist nicht frech, sondern nur konsequent. Wenn die Ukraine die Russen von ihrem Territorium einschließlich der Krim für immer vertreiben und die Zerstörung ihrer Infrastruktur verhindern will, benötigt sie Waffen, die den Feind auf seinem ureigenen russischen Territorium erreichen. Damit die Russen nicht „von sicherer Warte“ die Kampfjets der Ukraine vom Himmel holen können.
Russland mit seinem angeblich so gerissenen Präsidenten lässt sich „garen“? Oder geht es nicht in Wirklichkeit um die Einstimmung der Deutschen auf Waffenlieferungen jeglicher Art. Unter Inkaufnahme einer ja nur eventuellen direkten Teilnahme der NATO mit Deutschland am Krieg in der Ukraine? Sind wir Frosch?
Nein, die Mehrheit der Ostdeutschen und nicht nur sie sind nach 40 Jahren DDR unter den Bedingungen des Kalten Krieges zwar nicht friedensbewegt wie die Grünen, aber dafür „propagandafest“. Es geht ihnen um die Verhinderung eines Krieges, der ganz Europa erfassen könnte. Waffenlieferungen, wenn überhaupt nur in einem gesellschaftlichen Klima, welches die öffentliche Diskussion über Pläne für eine Beendigung des Krieges als wünschenswert, nein erstrebenswert zulässt. Und es ist von den westlichen Politikern mit Herrn Putin über die Beendigung des Krieges zu verhandeln, weil er der Präsident von Russland ist.
Weil nur wenige konkrete Forderungen aufstellen: Die von Deutschland und Frankreich mit zu verantwortenden Minsker Abkommen haben der Ausgangspunkt für Verhandlungen zu sein, nicht die Vorbedingungen der Präsidenten der Kriegsparteien. Die Menschen in den besetzten Gebieten sollen bei Wahlen unter Aufsicht der UNO über ihre Zukunft entscheiden können. Wenn die Ukraine auf ihre Souveränität besteht und eine auf die Beendigung des Krieges zielende Mitwirkung der Deutschen bei Verhandlungen ablehnt, muss Deutschland seine Unterstützung im militärischen Bereich beenden.
Mit den Minsker Abkommen 1 und 2 ist Deutschland auch bei den Menschen der ehemaligen Sowjetunion im Wort. Nur das und nicht eine wie immer propagierte und die Menschen verdummende Froschperspektive darf die Strategie der Bundesregierung sein.
Im übrigen gilt: Klimawandel, Wohnungsmangel, Wohlstandsgefälle und die Spaltung der Gesellschaft in Gute und Böse – alles komplexere Probleme, die bei der Fortführung des Krieges kaum lösbar sind.
Nachdenken – Schlüsse ziehen Schweizer Zeitung für mehr soziale Verbundenheit, Frieden und direkte Demokratie/ Nr. 1, 18. Januar 2023
Ukrainekonflikt: «Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, die abgebrochenen Verhandlungen wieder aufzunehmen» «Waffenlieferungen bedeuten, dass der Krieg sinnlos verlängert wird» Interview mit General a.D. Harald Kujat*
General a.D. Harald Kujat Bild: imago stock&people/Deutschlandfunk
Zeitgeschehen im Fokus – Welchen Wert geben Sie der Berichterstattung über die Ukraine in unseren Mainstream-Medien?
General a. D. Harald Kujat Der Ukrainekrieg ist nicht nur eine militärische Auseinandersetzung; er ist auch ein Wirtschafts- und ein Informationskrieg. In diesem Informationskrieg kann man zu einem Kriegsteilnehmer werden, wenn man sich Informationen und Argumente zu eigen macht, die man weder verifizieren noch aufgrund eigener Kompetenz beurteilen kann. Zum Teil spielen auch als moralisch verstandene oder ideologische Motive eine Rolle. Das ist in Deutschland besonders problematisch, weil in den Medien überwiegend «Experten» zu Wort kommen, die über keine sicherheitspolitischen und strategischen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen und deshalb Meinungen äußern, die sie aus Veröffentlichungen anderer «Experten» mit vergleichbarer Sachkenntnis beziehen. Offensichtlich wird damit auch politischer Druck auf die Bundesregierung aufgebaut. Die Debatte über die Lieferung bestimmter Waffensysteme zeigt überdeutlich die Absicht vieler Medien, selbst Politik zu machen. Es mag sein, dass mein Unbehagen über diese Entwicklung eine Folge meines langjährigen Dienstes in der Nato ist, unter anderem als Vorsitzender des Nato-Russland-Rats und der Nato-Ukraine-Kommission der Generalstabschefs. Besonders ärgerlich finde ich, dass die deutschen Sicherheitsinteressen und die Gefahren für unser Land durch eine Ausweitung und Eskalation des Krieges so wenig beachtet werden. Das zeugt von einem Mangel an Verantwortungsbewusstsein oder, um einen altmodischen Begriff zu verwenden, von einer höchst unpatriotischen Haltung. In den Vereinigten Staaten, einem der beiden Hauptakteure in diesem Konflikt, ist der Umgang mit dem Ukrainekrieg wesentlich differenzierter und kontroverser, gleichwohl aber immer von nationalen Interessen geleitet.
Sie haben sich Anfang 2022, als die Lage an der Grenze zur Ukraine immer zugespitzter wurde, zum damaligen Inspekteur der Marine, Vizegeneral Kai-Achim Schönbach, geäußert und sich im gewissen Sinne hinter ihn gestellt. Er warnte eindringlich vor einer Eskalation mit Russland und machte dem Westen den Vorwurf, er hätte Putin gedemütigt, und man müsse auf gleicher Augenhöhe mit ihm verhandeln.
Ich habe mich nicht in der Sache geäußert, sondern um ihn vor unqualifizierten Angriffen in Schutz zu nehmen. Ich war allerdings immer der Ansicht, dass man diesen Krieg verhindern muss und dass man ihn auch hätte verhindern können. Dazu habe ich mich im Dezember 2021 auch öffentlich geäußert. Und Anfang Januar 2022 habe ich Vorschläge veröffentlicht, wie in Verhandlungen ein für alle Seiten akzeptables Ergebnis erzielt werden könnte, mit dem ein Krieg doch noch vermieden wird. Leider ist es anders gekommen. Vielleicht wird einmal die Frage gestellt, wer diesen Krieg wollte, wer ihn nicht verhindern wollte und wer ihn nicht verhindern konnte.
Wie schätzen Sie die momentane Entwicklung in der Ukraine ein?
Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird es, einen Verhandlungsfrieden zu erzielen. Die russische Annexion von vier ukrainischen Gebieten am 30.September 2022 ist ein Beispiel für eine Entwicklung, die nur schwer rückgängig gemacht werden kann. Deshalb fand ich es so bedauerlich, dass die Verhandlungen, die im März in Istanbul geführt wurden, nach großen Fortschritten und einem durchaus positiven Ergebnis für die Ukraine abgebrochen wurden. Russland hatte sich in den Istanbul-Verhandlungen offensichtlich dazu bereit erklärt, seine Streitkräfte auf den Stand vom 23.Februar zurückzuziehen, also vor Beginn des Angriffs auf die Ukraine. Jetzt wird immer wieder der vollständige Abzug als Voraussetzung für Verhandlungen gefordert.
Was hat denn die Ukraine als Gegenleistung angeboten?
Die Ukraine hatte sich verpflichtet, auf eine Nato-Mitgliedschaft zu verzichten und keine Stationierung ausländischer Truppen oder militärischer Einrichtungen zuzulassen. Dafür sollte sie Sicherheitsgarantien von Staaten ihrer Wahl erhalten. Die Zukunft der besetzten Gebiete sollte innerhalb von 15 Jahren diplomatisch, unter ausdrücklichem Verzicht auf militärische Gewalt gelöst werden.
Warum kam der Vertrag nicht zustande, der Zehntausenden das Leben gerettet und den Ukrainern die Zerstörung ihres Landes erspart hätte?
Nach zuverlässigen Informationen hat der damalige britische Premierminister Boris Johnson am 9. April in Kiew interveniert und eine Unterzeichnung verhindert. Seine Begründung war, der Westen sei für ein Kriegsende nicht bereit. Es ist ungeheuerlich, was da gespielt wird, von dem der gutgläubige Bürger keine Ahnung hat. Die Verhandlungen in Istanbul waren bekannt, auch dass man kurz vor einer Einigung stand, aber von einem Tag auf den anderen hat man nichts mehr gehört. Mitte März hatte beispielsweise die britische «Financial Times» über Fortschritte berichtet. Auch in einigen deutschen Zeitungen erschienen entsprechende Meldungen. Weshalb die Verhandlungen scheiterten, ist allerdings nicht berichtet worden. Als Putin am 21.September die Teilmobilmachung verkündete, erwähnte er zum ersten Mal öffentlich, dass die Ukraine in den Istanbul-Verhandlungen im März 2022 positiv auf russische Vorschläge reagiert habe. «Aber», sagte er wörtlich, «eine friedliche Lösung passte dem Westen nicht, deshalb hat er Kiew tatsächlich befohlen, alle Vereinbarungen zunichte zu machen.» Darüber schweigt tatsächlich unsere Presse. Anders als beispielsweise die amerikanischen Medien. «Foreign Affairs» und «Responsible Statecraft», zwei renommierte Zeitschriften, veröffentlichten dazu sehr informative Berichte. Der Artikel in «Foreign Affairs» war von Fiona Hill, einer ehemals hochrangigen Mitarbeiterin im nationalen Sicherheitsrat des Weissen Hauses. Sie ist sehr kompetent und absolut zuverlässig. Sehr detaillierte Informationen wurden bereits am 2. Mai auch in der regierungsnahen «Ukrainska Pravda» veröffentlicht.
Haben Sie noch weitere Angaben zu dieser Ungeheuerlichkeit?
Es ist bekannt, dass die wesentlichen Inhalte des Vertragsentwurfs auf einem Vorschlag der ukrainischen Regierung vom 29. März beruhen. Darüber berichten inzwischen auch viele US-amerikanische Medien. Ich habe jedoch erfahren müssen, dass deutsche Medien selbst dann nicht bereit sind, das Thema aufzugreifen, wenn sie Zugang zu den Quellen haben.
Sie äußern sich in einem Artikel folgendermaßen: «Der Mangel an sicherheitspolitischem Weitblick und strategischem Urteilsvermögen in unserem Lande ist beschämend.» Was meinen Sie damit konkret?
Nehmen wir als Beispiel den Zustand der Bundeswehr. 2011 wurde eine Bundeswehrreform durchgeführt, die sogenannte Neuausrichtung der Bundeswehr. Neuausrichtung bedeutete weg vom Verfassungsauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung und hin zu Auslandseinsätzen. Zur Begründung hieß es, dass es kein Risiko eines konventionellen Angriffs auf Deutschland und die Nato-Verbündeten gebe. Personalumfang und Struktur der Streitkräfte, Ausrüstung, Bewaffnung und Ausbildung wurden auf Auslandseinsätze ausgerichtet. Streitkräfte, die über die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung verfügen, können auch Stabilisierungseinsätze durchführen, zumal die Bundesregierung und das Parlament darüber im Einzelfall selbst entscheiden können. Umgekehrt ist das nicht der Fall, denn ob der Fall der Landes- und Bündnisverteidigung eintritt, entscheidet der Aggressor. Die damalige Lagebeurteilung war ohnehin falsch. Denn durch die einseitige Kündigung des ABM-Vertrages durch die USA war bereits 2002 ein strategischer Wendepunkt im Verhältnis zu Russland entstanden. Politischer Wendepunkt war der Nato-Gipfel in Bukarest 2008, als US Präsident George W. Bush versuchte, eine Einladung der Ukraine und Georgiens zum Nato-Beitritt durchzusetzen. Als er damit scheiterte, wurde, wie in solchen Fällen üblich, eine vage Beitrittsperspektive für diese Länder in das Communiqué aufgenommen.
Sehen Sie aufgrund dieser Entwicklung zwischen Russland und den USA einen Zusammenhang mit der aktuellen Krise?
Obwohl durch den Ukrainekrieg das Risiko einer Konfrontation Russlands und der Nato für jedermann offensichtlich ist, wird die Bundeswehr weiter entwaffnet, ja, geradezu kannibalisiert, um Waffen und militärisches Gerät für die Ukraine freizusetzen. Einige Politiker rechtfertigen dies sogar mit dem unsinnigen Argument, dass unsere Freiheit in der Ukraine verteidigt würde.
Warum ist das für Sie ein unsinniges Argument? Alle argumentieren so, selbst der Vorsteher des Schweizer Aussendepartements, Ignazio Cassis.
Die Ukraine kämpft um ihre Freiheit, um ihre Souveränität und um die territoriale Integrität des Landes. Aber die beiden Hauptakteure in diesem Krieg sind Russland und die USA. Die Ukraine kämpft auch für die geopolitischen Interessen der USA. Denn deren erklärtes Ziel ist es, Russland politisch, wirtschaftlich und militärisch so weit zu schwächen, dass sie sich dem geopolitischen Rivalen zuwenden können, der als einziger in der Lage ist, ihre Vormachtstellung als Weltmacht zu gefährden: China. Zudem wäre es doch höchst unmoralisch, die Ukraine in ihrem Kampf für unsere Freiheit allein zu lassen und lediglich Waffen zu liefern, die das Blutvergießen verlängern und die Zerstörung des Landes vergrößern. Nein, in diesem Krieg geht es nicht um unsere Freiheit. Die Kernprobleme, weshalb der Krieg entstanden ist und immer noch fortgesetzt wird, obwohl er längst beendet sein könnte, sind ganz andere.
Was ist Ihrer Meinung nach das Kernproblem?
Russland will verhindern, dass der geopolitische Rivale USA eine strategische Überlegenheit gewinnt, die Russlands Sicherheit gefährdet. Sei es durch Mitgliedschaft der Ukraine in der von den USA geführten Nato, sei es durch die Stationierung amerikanischer Truppen, die Verlagerung militärischer Infrastruktur oder gemeinsamer Nato-Manöver. Auch die Dislozierung amerikanischer Systeme des ballistischen Raketenabwehrsystems der Nato in Polen und Rumänien ist Russland ein Dorn im Auge, denn Russland ist überzeugt, dass die USA von diesen Abschussanlagen auch russische interkontinental-strategische Systeme ausschalten und damit das nuklearstrategische Gleichgewicht gefährden könnten. Eine wichtige Rolle spielt auch das Minsk II-Abkommen, in dem die Ukraine sich verpflichtet hat, der russischsprachigen Bevölkerung im Donbas bis Ende 2015 durch eine Verfassungsänderung mit einer größeren Autonomie der Region Minderheitenrechte zu gewähren, wie sie in der Europäischen Union Standard sind. Es gibt inzwischen Zweifel, ob die USA und die Nato bereit waren, vor dem russischen Angriff auf die Ukraine ernsthaft über diese Fragen zu verhandeln. Wilfried Scharnagl zeigt in seinem Buch «Am Abgrund» bereits 2015 ganz deutlich auf, dass die Politik des Westens eine unglaubliche Provokation ist, und wenn EU und Nato ihren Kurs nicht ändern, es zu einer Katastrophe kommen könnte. – Ja, damit muss man rechnen. Je länger der Krieg dauert, desto größer wird das Risiko einer Ausweitung oder Eskalation. Das haben wir bereits in der Kubakrise gehabt. Das war eine vergleichbare Situation.
Wie beurteilen Sie die beschlossene Lieferung von Marder-Panzern an die Ukraine?
Waffensysteme haben Stärken und Schwächen aufgrund technischer Merkmale und damit – abhängig vom Ausbildungsstand der Soldaten sowie den jeweiligen operativen Rahmenbedingungen – einen bestimmten Einsatzwert. Im Gefecht der verbundenen Waffen wirken verschiedene Waffensysteme in einem gemeinsamen Führungs- bzw. Informationssystem zusammen, wodurch die Schwächen des einen Systems durch die Stärken anderer Systeme ausgeglichen werden. Bei einem niedrigen Ausbildungsstand des Bedienungspersonals oder wenn ein Waffensystem nicht gemeinsam mit anderen Systemen in einem funktionalen Zusammenhang eingesetzt wird und möglicherweise die Einsatzbedingungen schwierig sind, ist der Einsatzwert gering. Damit besteht die Gefahr der frühzeitigen Ausschaltung oder sogar das Risiko, dass die Waffe in die Hand des Gegners fällt. Das ist die gegenwärtige Lage, in der moderne westliche Waffensysteme im Ukrainekrieg zum Einsatz kommen. Russland hat im Dezember ein umfangreiches Programm zur Auswertung der technischen und operativ-taktischen Parameter eroberter westlicher Waffen begonnen, was die Effektivität der eigenen Operationsführung und Waffenwirkung erhöhen soll. Darüber hinaus stellt sich grundsätzlich die Frage der Mittel-Zweck-Relation. Welchem Zweck sollen die westlichen Waffen dienen? Selenskij hat die strategischen Ziele der ukrainischen Kriegsführung immer wieder geändert. Gegenwärtig verfolgt die Ukraine das Ziel, alle von Russland besetzten Gebiete einschließlich der Krim zurückzuerobern. Der deutsche Bundeskanzler sagt, wir unterstützen die Ukraine, solange das nötig ist, also auch bei der Verfolgung dieses Ziels, obwohl die USA mittlerweile betonen, es ginge darum, lediglich «das Territorium zurückzuerobern, das seit dem 24. Februar 2022 von Russland eingenommen wurde.» Es gilt somit die Frage zu beantworten, ob das Mittel westlicher Waffenlieferungen geeignet ist, den von der Ukraine beabsichtigten Zweck zu erfüllen. Diese Frage hat eine qualitative und eine quantitative Dimension. Die USA liefern keine Waffen außer solche zur Selbstverteidigung, keine Waffen, die das Gefecht der verbundenen Waffen ermöglichen und vor allem keine, die eine nukleare Eskalation auslösen könnten. Das sind Präsident Bidens drei Neins.
Wie will die Ukraine ihre militärischen Ziele erreichen?
Der ukrainische Generalstabschef, General Saluschnij, sagte kürzlich: «Ich brauche 300 Kampfpanzer, 600 bis 700 Schützenpanzer und 500 Haubitzen, um die russischen Truppen auf die Positionen vor dem Angriff vom 24.Februar zurückzudrängen. Jedoch mit dem, was er erhalte, seien «größere Operationen nicht möglich». Ob die ukrainischen Streitkräfte angesichts der großen Verluste der letzten Monate überhaupt noch über eine ausreichende Zahl geeigneter Soldaten verfügen, um diese Waffensysteme einsetzen zu können, ist allerdings fraglich. Jedenfalls erklärt auch die Aussage General Saluschnijs, weshalb die westlichen Waffenlieferungen die Ukraine nicht in die Lage versetzen, ihre militärischen Ziele zu erreichen, sondern lediglich den Krieg verlängern. Hinzu kommt, dass Russland die westliche Eskalation jederzeit durch eine eigene übertreffen könnte. In der deutschen Diskussion werden diese Zusammenhänge nicht verstanden oder ignoriert. Dabei spielt auch die Art und Weise eine Rolle, wie einige Verbündete versuchen, die Bundesregierung öffentlich nun auch zur Lieferung von Leopard 2- Kampfpanzern zu drängen. Das hat es in der Nato bisher nicht gegeben. Es zeigt, wie sehr Deutschlands Ansehen im Bündnis durch die Schwächung der Bundeswehr gelitten hat und mit welchem Engagement einige Verbündete das Ziel verfolgen, Deutschland gegenüber Russland besonders zu exponieren.
Was nährt Selsenkijs Auffassung, man könne die Russen aus der Ukraine vertreiben?
Möglicherweise werden die ukrainischen Streitkräfte mit den Waffensystemen, die ihnen auf der nächsten Geberkonferenz am 20. Januar zugesagt werden, etwas effektiver in der Lage sein, sich gegen die in den nächsten Wochen stattfindenden russischen Offensiven zu verteidigen. Sie können dadurch aber nicht die besetzten Gebiete zurückerobern. Nach Ansicht des US-amerikanischen Generalstabschefs, General Mark Milley, hat die Ukraine das, was sie militärisch erreichen konnte, erreicht. Mehr ist nicht möglich. Deshalb sollten jetzt diplomatische Bemühungen aufgenommen werden, um einen Verhandlungsfrieden zu erreichen. Ich teile diese Auffassung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die russischen Streitkräfte offenbar die Absicht haben, das eroberte Gebiet zu verteidigen und den Rest des Donbas zu erobern, um die von ihnen annektierten Gebiete zu konsolidieren. Sie haben ihre Verteidigungsstellungen gut dem Gelände angepasst und stark befestigt. Angriffe auf diese Stellungen erfordern einen hohen Kräfteaufwand und die Bereitschaft, erhebliche Verluste hinzunehmen. Durch den Abzug aus der Region Cherson wurden ungefähr 22 000 kampfkräftige Truppen für Offensiven freigesetzt. Zudem werden weitere Kampfverbände als Verstärkung in die Region verlegt.
Aber was sollen dann die Waffenlieferungen, die das Erreichen von Selenskijs Ziel nicht ermöglichen?
Die derzeitigen Bemühungen der USA, die Europäer zu weiteren Waffenlieferungen zu veranlassen, haben möglicherweise mit dieser Lageentwicklung zu tun. Man muss zwischen den öffentlich geäußerten Gründen und den konkreten Entscheidungen der Bundesregierung unterscheiden. Es würde zu weit führen, auf das ganze Spektrum dieser Diskussion einzugehen. Ich würde mir allerdings wünschen, dass die Bundesregierung in dieser Frage wirklich kompetent beraten wird und – was vielleicht noch wichtiger ist – der Bedeutung dieser Frage entsprechend aufnahmebereit und urteilsfähig wäre. Die Bundesregierung ist mit der Unterstützung der Ukraine schon sehr weit gegangen. Zwar machen Waffenlieferungen Deutschland noch nicht zur Konfliktpartei. Aber in Verbindung mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten an diesen Waffen unterstützen wir die Ukraine dabei, ihre militärischen Ziele zu erreichen. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags hat deshalb in seinem Gutachten vom 16. März 2022 erklärt, dass damit der gesicherte Bereich der Nicht-Kriegsführung verlassen wird. Auch die USA werden ukrainische Soldaten in Deutschland ausbilden. Das Grundgesetz enthält in seiner Präambel ein striktes Friedensgebot für unser Land. Das Grundgesetz toleriert die Unterstützung einer Kriegspartei also nur dann, wenn diese geeignet ist, eine friedliche Lösung zu ermöglichen. Die Bundesregierung ist deshalb in der Pflicht, der deutschen Bevölkerung zu erklären, innerhalb welcher Grenzen und mit welchem Ziel die Unterstützung der Ukraine erfolgt. Schließlich müssten auch der ukrainischen Regierung die Grenzen der Unterstützung aufgezeigt werden. Selbst Präsident Biden hat vor einiger Zeit in einem Namensartikel erklärt, dass die USA die Ukraine zwar weiter militärisch unterstützen werden, aber eben auch ihre Bemühungen, in diesem Konflikt einen Verhandlungsfrieden zu erreichen.
Seit Wochen rennt die ukrainische Armee gegen die Russen an – ohne Erfolg. Dennoch spricht Selenskij von Rückeroberung. Ist das Propaganda oder besteht diese Möglichkeit tatsächlich?
Nein, dazu sind die ukrainischen Streitkräfte sowohl nach Einschätzung des amerikanischen wie des ukrainischen Generalstabschefs nicht in der Lage. Beide Kriegsparteien befinden sich gegenwärtig wieder in einer Pattsituation, die durch die Einschränkungen aufgrund der Jahreszeit verstärkt wird. Jetzt wäre also der richtige Zeitpunkt, die abgebrochenen Verhandlungen wieder aufzunehmen. Die Waffenlieferungen bedeuten das Gegenteil, nämlich dass der Krieg sinnlos verlängert wird, mit noch mehr Toten auf beiden Seiten und der Fortsetzung der Zerstörung des Landes. Aber auch mit der Folge, dass wir noch tiefer in diesen Krieg hineingezogen werden. Selbst der Nato-Generalsekretär hat kürzlich vor einer Ausweitung der Kämpfe zu einem Krieg zwischen der Nato und Russland gewarnt.
Sie sagen, wir haben wieder eine «Pattsituation». Was meinen Sie damit?
Eine positive Ausgangslage für eine Verhandlungslösung hatte sich beispielsweise Ende März vergangenen Jahres ergeben, als die Russen entschieden, vor Kiew abzudrehen und sich auf den Osten und den Donbas zu konzentrieren. Das hat die Verhandlungen in Istanbul ermöglicht. Eine ähnliche Lage entstand im September, bevor Russland die Teilmobilisierung durchführte. Die damals entstandenen Möglichkeiten sind nicht genutzt worden. Jetzt wäre es wieder Zeit zu verhandeln, und wir nutzen auch diese Gelegenheit nicht, sondern tun das Gegenteil: Wir schicken Waffen und eskalieren. Auch dies ist ein Aspekt, der den Mangel an sicherheitspolitischem Weitblick und strategischem Urteilsvermögen offenlegt.
Sie haben in Ihrem Text noch erwähnt, dass der russische Verteidigungsminister Schoigu Bereitschaft für Verhandlungen signalisiert hat …
…das hat auch Putin gemacht. Putin hat am 30.September, als er zwei weitere Regionen zu russischem Territorium erklärte, ausdrücklich wieder Verhandlungen angeboten. Er hat das zwischenzeitlich mehrfach getan. Jetzt ist es allerdings so, dass Schoigu das nicht an Bedingungen geknüpft hat, aber Putin hat sozusagen die Latte höher gelegt, indem er sagte, wir sind zu Verhandlungen bereit, aber es setzt natürlich voraus, dass die andere Seite die Gebiete, die wir annektiert haben, anerkennt. Daran sieht man, dass sich die Positionen beider Seiten immer mehr verhärten, je länger der Krieg dauert. Denn Selenskij sagte, er verhandle erst, wenn sich die Russen vollständig aus der Ukraine zurückgezogen hätten. Damit wird eine Lösung immer schwieriger, aber sie ist noch nicht ausgeschlossen.
Ich möchte noch auf ein Ereignis zu sprechen kommen. Frau Merkel hat in einem Interview …
…ja, was sie sagt, ist eindeutig. Sie hätte das Minsk II-Abkommen nur ausgehandelt, um der Ukraine Zeit zu verschaffen. Und die Ukraine habe diese auch genutzt, um militärisch aufzurüsten. Das hat der ehemalige französische Präsident Hollande bestätigt. Petro Poroschenko, der ehemalige ukrainische Staatspräsident, hat das ebenfalls gesagt. Russland bezeichnet das verständlicherweise als Betrug. Und Merkel bestätigt, dass Russland ganz bewusst getäuscht wurde. Das kann man bewerten, wie man will, aber es ist ein eklatanter Vertrauensbruch und eine Frage der politischen Berechenbarkeit. Nicht wegdiskutieren kann man allerdings, dass die Weigerung der ukrainischen Regierung – in Kenntnis dieser beabsichtigten Täuschung – das Abkommen umzusetzen, noch wenige Tage vor Kriegsbeginn, einer der Auslöser für den Krieg war. Die Bundesregierung hatte sich in der Uno-Resolution dazu verpflichtet, das «gesamte Paket» der vereinbarten Maßnahmen umzusetzen. Darüber hinaus hat die Bundeskanzlerin mit den anderen Teilnehmern des Normandie-Formats eine Erklärung zur Resolution unterschrieben, in der sie sich noch einmal ausdrücklich zur Implementierung der Minsk-Vereinbarungen verpflichtete.
Das ist doch auch ein Völkerrechtsbruch?
Ja, das ist ein Völkerrechtsbruch, das ist eindeutig. Der Schaden ist immens. Man muss sich die heutige Situation einmal vorstellen. Die Leute, die von Anfang an Krieg führen wollten und immer noch wollen, haben den Standpunkt vertreten, mit Putin kann man nicht verhandeln. Der hält die Vereinbarungen so oder so nicht ein. Jetzt stellt sich heraus, wir sind diejenigen, die internationale Vereinbarungen nicht einhalten. Nach meinen Kenntnissen halten die Russen ihre Verträge ein, sogar während des aktuellen Krieges hat Russland weiterhin Gas geliefert. Aber Frau Baerbock hat vollmundig verkündet: «Wir wollen kein russisches Gas mehr!» Daraufhin hat Russland die Menge gedrosselt. So war es doch? Ja, wir haben gesagt, wir wollen kein russisches Gas mehr. Alle Folgewirkungen, die Energiekrise, die wirtschaftliche Rezession etc. sind das Resultat der Entscheidung der Bundesregierung und nicht einer Entscheidung der russischen Regierung. Aber wenn Sie die Nachrichten hören oder sehen – auch bei uns in der Schweiz – dann gibt es die Energiekrise aufgrund von Putins Entscheid, Krieg gegen die Ukraine zu führen. In der Vergangenheit gab es zweimal Schwierigkeiten bei der Lieferung von Gas, die von der Ukraine verursacht wurden. Da sollte man ehrlich sein. Russland würde weiter liefern, aber wir wollen von dort nichts mehr, weil es die Ukraine angegriffen hat. Dann kommt noch die Frage auf: Wer hat eigentlich North-Stream II in die Luft gesprengt?
Haben Sie eine Einschätzung zur Sprengung?
Nein, das wäre reine Spekulation. Es gibt Indizien wie so häufig, aber keine Beweise. Jedenfalls keine, die öffentlich bekannt geworden sind. Aber Sie können ganz sicher sein: Die Sonne bringt es an den Tag.
Welche Erfahrungen haben Sie in Verhandlungen mit Russland gemacht?
Ich habe viele Verhandlungen mit Russland geführt, z.B. über den russischen Beitrag zum Kosovo-Einsatz der Nato. Die USA hatten uns darum gebeten, weil sie mit Russland zu keinem Ergebnis kamen. Russland war schließlich bereit, seine Truppen einem deutschen Nato-Befehlshaber zu unterstellen. In den 90er Jahren entstand eine enge politische Abstimmung und militärische Zusammenarbeit zwischen der Nato und Russland, seit 1997 durch den Nato-Russland-Grundlagenvertrag geregelt. Die Russen sind harte Verhandlungspartner, aber wenn man zu einem gemeinsamen Ergebnis kommt, dann steht das und gilt auch.
Wie sah das Ergebnis aus?
Die Russen wollten in den Verhandlungen um den Grundlagenvertrag eine Art Mitentscheidungsrecht erhalten. Das war nicht möglich. Wir haben aber einen Weg gefunden, gemeinsame Lösungen in Fällen zu finden, in denen die Sicherheitsinteressen der einen oder anderen Seite betroffen sind. Nach dem Georgienkrieg hat die Nato die Zusammenarbeit leider weitgehend suspendiert. Es hat sich auch im Vorfeld des Ukrainekrieges gezeigt, dass Regelungen, die in Zeiten eines guten Verhältnisses für die Beilegung von Krisen und Konflikten geschaffen werden, dann ihren Wert haben, wenn es zu Spannungen kommt. Leider hat man das nicht verstanden.
Herr General Kujat, ich danke für das Gespräch. Interview Thomas Kaiser
General a.D. Harald Kujat, geboren am 1. März 1942, war u. a. Generalinspekteur der Bundeswehr und als Vorsitzender des Nato-Militärausschusses höchster Militär der Nato. Zugleich amtete er als Vorsitzender des Nato-Russland-Rates sowie des Euro-Atlantischen-Partnerschaftsrates der Generalstabschefs. Für seine Verdienste wurde Harald Kujat mit einer großen Zahl von Auszeichnungen geehrt, darunter mit dem Kommandeurskreuz der Ehrenlegion der Republik Frankreich, dem Kommandeurskreuz des Verdienstordens Lettlands, Estlands und Polens, der Legion of Merit der Vereinigten Staaten, dem Großen Band des Leopoldordens des Königreichs Belgien, dem Großen Bundesverdienstkreuz, sowie mit weiteren hohen Auszeichnungen, u.a. aus Malta, Ungarn und der Nato. Rot gekennzeichnete Textzeilen nicht im Originalinterview Original im Internethttps://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-1-vom-18-januar-2023.html
Wenn Sie der Meinung sind, dass das ein wichtiger Beitrag ist, dann bitte fleißig teilen. Der Redaktion geht es um eine faire Diskussion. Die andere Meinung ist deshalb erwünscht!
Bettina Zarneckow
ich will die immer stärker werdende Kriegspropaganda in den deutschen Medien zum Anlass nehmen, dieser Einseitigkeit in bescheidenem Rahmen, aber mit Sachlichkeit zu begegnen. Dazu habe ich ein paar seriöse Beiträge herausgesucht, die zumeist nur im Internet zu finden sind.
Zunächst ein MDR-Rundfunkkommentar, der einmalig ist in der sonst quasi gleichgeschalteten Medienlandschaft:
Dann – gerade erst erschienen – ein Interview mit General a.D. Harald Kujat in der Schweizer Zeitschrift Zeitgeschehen im Fokus (Nr. 1, 18. Januar 2023), darin enthalten die ganz wichtige Information, dass Boris Johnson am 9. April 2022 einen Friedensschluss zwischen der Ukraine und Russland verhindert hat – Russland hatte sich damals bereit erklärt, die Truppen auf die Linie vom 23. Februar 2022 zurückzuziehen und die Ukraine wollte darauf eingehen.
Hier ein Beitrag von einem Mann, der eigentlich ein Karriere-Coach ist (Manager/Journalist), der aber trotz der für Webinare eher typisch reißerischen Form die Fakten sauber aufgelistet hat.
Diesem Beitrag habe ich auch einen Buchtitel entnommen, der in Deutschland erhältlich ist:
Das Taschenbuch (10,70 €) ist nicht von Putin, sondern von einem US-Amerikaner, der sauber mit Quellen arbeitet. Der linksliberale Linguist und Philosoph Noam Chomsky hält es für „sehr gut gelungen“. – Das Buch vom November 2022 (US-Ausgabe August) ist bei Amazon erhältlich, aber ich wollte es unbedingt bei Hugendubel in Greifswald erwerben. Es liegt natürlich nicht da, sondern stattdessen auf dem Propagandatisch 6 Bücher über Putin, die man kurz unter einem Titel zusammenfassen kann: Putin der Teufel (Putin der Killer, Putin und die Macht usw.). Personalisierung statt Problembeschreibung. Ich habe das Buch (oben) von Benjamin Abelow dann bei Hugendubel bestellt, aber bis jetzt, nach 6 Tagen, noch keine Nachricht. Amazon würde es mir am Montag liefern, wenn ich es heute Abend bestellen würde. Es wird dort als Bestseller geführt, ein Bestseller, der bei Hugendubel nicht zu haben ist! Das kann dort auch nie ein Bestseller werden, weil es dort nicht ausliegt – und das ist sicher Absicht. So viel dann zur Meinungsvielfalt.
Zum Schluss noch ein hörens- und sehenswerter Vortrag von Gabriele Krone-Schmalz vor der Volkshochschule Reutlingen, auch rhetorisch exzellent:
Nun habe ich Ihnen ganz schön viel auf einmal zugemutet, es hat natürlich alles Zeit, Sie können ja ohnehin auswählen, was gut geeignet ist für einen Überblick oder was zu viel Zeit raubt.
Ich wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende und alles Gute im neuen Jahr