Mein 1. Mai damals und heute

Der Ort ist immer noch der gleiche. Die Zeiten haben sich nur geändert.
Heute am 1. Mai 2025 habe ich selbst entschieden, hier, im Zentrum meiner Heimatstadt Frankfurt (Oder) zu stehen.

In den 70er und 80er Jahren bin ich dort gewesen, weil es Pflicht war.
Lästige Pflicht einerseits. Ein schul- und arbeitsfreier Tag andererseits, den man nach dem Passieren der Ehrentribüne am Ende der Karl-Marx-Straße nach Herzenslust verbringen konnte. Mit ein wenig List und Mut auch schon vorher.

Die Rede ist von den Maidemonstrationen zu Zeiten der DDR, am Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse.
Als ich noch Schülerin war, mussten wir uns auf dem Schulhof vor dem Schuppen unseres Mathematik- und Werkunterrichtslehrers einfinden, der für die Ausgabe von Transparenten, Fahnen und sonstigen Winkelementen verantwortlich war. Man versuchte zu vermeiden, sich mit derlei Dingen ausstatten zu lassen. Mit der Absicht, bei günstiger Gelegenheit die Demo vorzeitig zu beenden.



Meine 18. und die danebenliegende 4. POS starteten in der August-Bebel-Straße Richtung Stadtzentrum. Hin und wieder stoppte der Zug. Andere Gruppen oder Betriebe reihten sich ein, um in genau geplanter Reihenfolge die Ehrentribüne zu passieren. Sie war bestückt mit hochrangigen Persönlichkeiten der Stadt. An der Spitze der nicht unbeliebte Oberbürgermeister Fritz Krause, dem die Stadt unter anderem den Erhalt der Marienkirche zu verdanken hat.
Von der Tribüne aus verlas unsere Schulgarten- und Zeichenlehrerin, wer alles den dort stehenden Genossen gerade zuwinkte und welche herausragenden Leistungen die Vorbeiziehenden zum Wohle des Volkes und zur Stärkung des Sozialismus vollbracht hatten.

Ja, die Werktätigen haben wirklich einiges geleistet. Wie wir heute sehr genau wissen, gingen viele unserer Produkte in verplombten LKW in den Westen. Waschmaschinen, Schreibmaschinen, Füllfederhalter, Textilien, optische Geräte und mehr, die nicht nur über Versandhäuser wie Neckermann und Otto vertrieben wurden. Uns blieb ein geringer Teil dessen und die Waren mit Mängeln. Aber das soll heute nicht mein Thema sein.

Ich erinnere mich an eine Maidemonstration, es muss 1983 gewesen sein, bei der meine Freundin und ich beschlossen hatten, den Zug frühzeitig zu verlassen. Das war natürlich verboten. Es ging gut aus, wie fast immer. Unsere Lehrer waren diesbezüglich großzügig und übersahen oftmals diese kleinen Fluchten.


Als unser Demonstrationszug von der Sophienstraße in die Halbe Stadt einbog, liefen wir beide im angrenzenden Lennépark den Berg hinunter und verharrten eine Weile ungesehen. Ganz ohne Herzklopfen ging das natürlich nicht ab. Wir ersparten uns auch nur ein Drittel der gesamten Tour, aber es war ein leichter Ungehorsam gegen die herrschende Ordnung. Das zunächst etwas unsichere Gefühl wich schnell einem Hoch- und Freiheitsgefühl. Mit dem wir dann beschwingt durch die Stadt bummelten.

Ein weiteres nicht gestattetes Entfernen vom Demonstrationszug leistete ich mir während meiner Lehrzeit.
Ich war gerade unglaublich verliebt und verabredete mich mit dem Grund dafür am Karl-Ritter-Platz. Dort hatte ich am frühen Morgen mein Moped abgestellt. Das war in den 80ern ungefährlich. Die Grenze nach Polen war geschlossen – Fahrzeuge konnte man beruhigt unbeaufsichtigt abstellen. Dann ging ich zum Treffpunkt unserer Fotoabteilung. Die Route des Maimarsches war immer dieselbe. Wir reihten uns am „Weißen Rössel“ ein. Ja, das gibt es auch in Frankfurt (Oder), nur in anderer Schreibweise.
Eingangs der Karl-Marx-Straße ließ ich meine Arbeitskollegen allein weiter ziehen und verschwand Richtung Ritterplatz. Nur wenig später eilte mir meine „Verabredung“ entgegen. Er hatte sich auch vor Ende der Demo loseisen können, und wir fuhren auf meinem Moped Richtung Oderwiesen für einen ausgedehnten Spaziergang.

Natürlich bin ich bei jeder Maidemonstration mitgelaufen. Mit meinen Klassenkameraden war es unterhaltsam und bei meinen Arbeitskollegen habe ich mich sogar wohlgefühlt.



Die Idee, die Coronaimpfung mit einer Bockwurst zu belohnen, war übrigens nicht neu. In der DDR gab es nach absolvierter Maidemo einen Gutschein für eine Bockwurst, den man auf dem sich anschließenden Volksfest einlösen konnte. Außerdem wurden am folgenden Tag am Arbeitsplatz 5 Mark Zielprämie ausgezahlt. Ob ich diese Prämie auch bekam, obwohl ich die Ziellinie nicht überschritten hatte, den Oderspaziergang vorzog, das weiß ich nicht mehr. Jedenfalls war mir der Spaziergang wesentlich mehr wert!



36 Jahre später nehme ich wieder aktiv am Maifeiertag teil. Diesmal unterstütze ich meinen Mann am Stand der Partei, in die er vor einem Jahr eingetreten ist. Von ihm ist seine politische Meinung gefragt. Mir erzählen die Menschen aus ihrem Leben, auch wie es damals für sie war, vor mehr als 36 Jahren.

Bettina Zarneckow

Es war einmal das „Haus am Berg“

Tanzen in Frankfurt (Oder) in der Tanzschule Golz-Glogener

Vorwort: 
Aurelius Augustinus setzte sich intensiv mit dem Tanz auseinander, den er zu den Künsten zählte. Wann immer die Zählbarkeit in der Bewegung, also der Rhythmus beachtet wird, bietet sich diese Kunst als Genuss dar und weist in die Innerlichkeit sowohl des Tänzers, als auch des Zuschauers. 

„Ich lobe den Tanz, 
denn er befreit den Menschen 
von der Schwere der Dinge, 
bindet den Vereinzelten 
zu Gemeinschaft. 

Ich lobe den Tanz, 
der alles fordert und fördert,
Gesundheit und klaren Geist 
und eine beschwingte Seele.“ 

Oft hört man von Unternehmenspleiten und Betriebsschließungen. Selten spürt man unmittelbar die Folgen. Bei der letzten Zumbastunde hat Frau Golz-Glogener bekannt gegeben, dass sie und ihr Mann für ihre Tanzschule Insolvenz anmelden mussten. Der Zumbakurs, den ich seit 2015 besuche, wird nur noch bis Ende Februar stattfinden. Wir alle sind sehr betroffen.

Wir, das sind die Mitglieder einer fröhlichen, gut aufeinander eingestimmten Zumba-Fitness-Truppe, die so manches mal an ihrer strengen Lehrerin und ihren anspruchsvollen Anforderungen beinahe verzweifelt wären. Und doch waren wir immer dankbar, so hilfreiche, präzise und gut verständliche Hinweise zur Ausführung der Tänze und zu ihren charakteristischen Bewegungen zu erhalten.

Als studierte Tanzlehrerin weiß Frau Golz-Glogener auch um Verletzungsrisiken und kann mitunter nur mit einem Fingerzeig vorbeugen. „Tanzen lernt man beim Profi“ ist das Motto ihrer Tanzschule. So ist es!
Letztendlich war sie auf unsere körperliche und geistige Fitness bedacht, auf unseren Spaß an Bewegung und Tanz, auf unsere Körperhaltung und die damit verbundene Ausstrahlung. Das alles bei schwungvollen lateinamerikanischen Rhythmen. Samba, Cha-Cha-Cha, Rumba – wunderbar!

Ich habe Frau Golz-Glogener immer mit Jutta Müller verglichen, der strengen Trainerin von Katharina Witt. Ein Lob für geglückte Tanzschritte und exakte Bewegungen aus berufenem Munde zählt mindestens doppelt, tut unsagbar gut und spornt an!

Schon 1984 lernte ich die engagierte Tanzlehrerin kennen. In der DDR war es üblich, dass Schüler der 8. Klasse zur Tanzstunde gehen. So auch meine Klasse, die Klasse 8a der 18. POS Franz-Mehring. Wir waren 14 und 15 Jahre alt. Ein bisschen geniert, die ganze Sache ein wenig ins Lächerliche ziehend, absolvierten wir die Tanzstunden bei Frau Golz im Kulturhaus „Haus am Berg“ in der Gubener Straße, bis hin zum Abschlussball im Kulturhaus „Völkerfreundschaft“.

Anfangs fuhr ich mit der Straßenbahn. Mit 15 Jahren hatte ich meinen Mopedführerschein und fuhr mit meiner hellgrünen Simson S 51 B, die ich über alles liebte, in einer Clique zur Tanzstunde. Einige Jungs unserer Klasse hatten eine silberfarbene S 51 Enduro mit ihrem charakteristischen schrägen Auspuff. Mit Hosen kamen wir mopedfahrenden Mädchen an und wechselten dann vor der Stunde zum Rock.

Mein Tanzpartner war Hardy, ein kleiner, blonder Lockenkopf. Ihm gelang übrigens nach seinem Abitur die Flucht aus der DDR über das damalige Jugoslawien, wo er zunächst eine geraume Zeit im Gefängnis saß. Hardy und ich waren etwa zwei Jahre zuvor übereingekommen, dass wir „miteinander gehen“. Für uns beide, zwei schüchterne Zeitgenossen, war diese Übereinkunft eine äußerst hemmende und die Dinge und unseren Umgang miteinander komplizierende Angelegenheit. Aber ich hatte einen Tanzpartner sicher, was nicht jedes Mädchen behaupten konnte, denn auf sechs Jungen kamen elf Mädchen. Neben dem Erlernen der Standarttänze wurde auf Körperhaltung und die Regeln des guten Benehmens sowie Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit der Herren gegenüber den Damen geachtet.

Im Jahr 2014, dreißig Jahre später, schlugen unsere Freunde Heidi und Rolf Henrich mir und Reinhart vor, zusammen einen Tanzkurs zu besuchen. Ich staunte nicht schlecht, als ich nach so langer Zeit Frau Golz-Glogener gegenüberstand.

Ihr Mann Renė Glogener und sie hatten sich 1993 den Traum einer eigenen Tanzschule erfüllt. Wir haben damals den Grundkurs belegt, denn keiner von uns meinte, auf die erworbenen Tanzfähigkeiten aus Jugendzeiten zurückgreifen zu können. Der Kurs wurde zu einer Herausforderung. Er war anstrengend, vor allem aber machte er Spaß. Disziplin wurde erwartet. Es gab Regeln, deren Einhaltung Frau Golz-Glogener mit Bestimmtheit einforderte. Genauso aber hatten beide Tanzlehrer Verständnis und Geduld bei Schülern wie Reinhart zum Beispiel, dem der Rhythmus eher nicht in die Wiege gelegt wurde – was er bis heute heftig bestreitet.
Wir lernten neue Tanzschritte und trainierten so Körper und Geist. Besonders gern sahen alle die Präsentation des als nächstes zu erlernenden Tanzes vom Profipaar. Es war eine Augenweide, sie voller Leichtigkeit und Eleganz über die Tanzfläche gleiten zu sehen. Diese Ausstrahlung des sich harmonisch und rhythmisch bewegenden Paares war einfach hinreißend. Ich hätte stundenlang zusehen können und träumte dabei, eines Tages eine ähnlich gute Figur auf dem Parkett abzugeben.

Rolf „kniff“ nach dem Grundkurs zum Bedauern von Heidi. Reinhart und ich meldeten uns noch für den Aufbaukurs an. Als der vorbei war, wollte ich unbedingt weiter tanzen und Frau Golz-Glogener schlug mir ihren Zumbakurs vor. Seitdem bin ich nicht ohne Ehrgeiz dabei. Ich tanze einfach gern!

Die Coronakrise hatte der Tanzschule schon ordentlich zugesetzt. Wie viele Betriebe musste auch sie zeitweilig geschlossen werden.
Nicht wenige Menschen wurden durch die Ausgangsbeschränkungen in der Pandemie in eine gewisse Lethargie versetzt.
Zudem halten die meisten wegen der Ukrainekrise und der unglückseligen Politik der Bundesregierung ihr Geld zusammen. Sie geben es nur für wirklich notwendige Dinge aus, statt für Sport, Gesundheit und Freude. Energie und Lebensmittel sind einfach zu teuer geworden. Das hat dem kleinen Unternehmen den Todesstoß versetzt. Waren vor der Corona-, Ukraine- und Energiekrise die Kurse gut besucht bis ausgebucht, so brachen mit den Krisen die Anmeldungen ein.

Voller Hoffnung möchte ich aber auch unseren beiden Tanzlehrern sagen: In jeder Krise steckt ein Neubeginn.

In diesem Jahr wollten Charlotte Golz-Glogener und René Glogener das dreißigjährige Bestehen ihrer Tanzschule feiern.

Bettina Zarneckow