Adenauer spielte Boccia, Merz spielt Vabanque

Es gibt neuerdings in politischen Kreisen Anerkennung für kreatives und mutiges Handeln des Bundeskanzlers. Er wird von Präsident Trump respektiert und von den europäischen Kollegen vorgeschickt.

Die Hintergründe für den Plan der Gewährung eines Reparationsdarlehens über 145 Milliarden Euro durch die EU-Staaten zugunsten der Ukraine – auszuzahlen in jährlichen Tranchen in Höhe von 45 Milliarden Euro – unterstreichen scheinbar die Tatkraft des 70jährigen Dealmakers. Im Interesse der um ihre Existenz ringende Ukraine betritt er juristisches und politisches Neuland .

Der von Merz angeregte und von von der Leyen dazu ausgearbeitete Plan ist, wie so viel anderes, umstritten. Seine inzwischen zahlreichen Anhänger begründen ihn moralisch damit, dass der Aggressor Russland für die Schäden des Krieges aufkommen muss. Die juristischen Überlegungen kommen etwas weiter unten.

Merz & Co verschweigen auch nicht das Problem, das sich für Europa derzeit wie ein gordischer Knoten darstellt: Einerseits die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme der Staaten (im Angesicht des kritischen Wählers) lösen, andererseits die Ukraine finanziell beim Kauf moderner Waffen in den USA und den Staatshaushalt großzügig unterstützen zu müssen. Ohne das Geld aus Europa ist die Ukraine angeblich im April bankrott, da die USA Zahlungen in Milliardenhöhe jüngst eingestellt haben.

Ein Interview in der FAZ vom 8.12.25 unterstreicht denkbare Folgen des Handelns des Bundeskanzlers, die nachdenklich machen müssen.
Von Madame Valerie Urbain, Chefin der Euroclear-Gruppe, wird darin behauptet, dass der Welt und somit auch Deutschland eine Kernschmelze im Finanzbereich durch Vollziehung des Merzschen Planes drohen könnte.

Der von Frau von der Leyen präzise ausgearbeitete Plan sieht vor, das bei Euroclear in Belgien eingelagerte russische Staatsguthaben im Werte von 182 Milliarden Euro nicht nur weiter einzufrieren, sondern in Höhe von 145 Milliarden Euro für die Ukraine zu verbrauchen.

Ich erspare dem Leser nicht die komplizierte juristische Begründung, könnte mich dabei auch verhaspeln, so komplex ist sie: Die EU greift nach dem bei Euroclear gelagerten staatlichen russischen Staatsguthaben, an dem der EU keinerlei Rechte zustehen. Sie benutzt diese Werte als Sicherheit für ein Darlehen, das an die Ukraine ausgezahlt wird. Die Tilgung des Darlehens erfolgt dann nach dem Krieg mittels der Reparationsforderungen der Ukraine an Russland.

Wenn das mit der Tilgung durch die Reparationsforderungen nicht klappt, stehen die EU-Staaten für das Darlehen gerade, der Anteil Deutschlands würde 25% betragen, mit mindestens 36 Milliarden Euro den Bundeshaushalt belasten. Ich übergehe dabei die jährlichen Sowiesozahlungen.
Laut der Beurteilung des Juristen Merz werden so die russischen Forderung an Euroclear nicht angerührt, da der russische Staatsschatz angeblich lediglich als Sicherheit dient. So der schlaue Plan.

Einige Bedenkenträger bezeichnen es als eine glückliche Fügung, dass dem Plan nicht nur das Wort „wenn“, sondern auch ein angeblicher Friedensplan des Präsidenten Trump entgegen steht
Wenn also die Politiker ungeachtet der Nörgeleien aus Budapest und Bratislava (Staatsimmunität heißt ihr Zauberwort) tatsächlich falsche Entscheidungen im Zusammenhang mit dem von der EU-Kommission vorgelegten Plan treffen. Wenn die Politik (derzeit bis zum 18.12.25) den Plan erfüllt. Nur dann droht eine Finanz- Kernschmelze. Das war im Jahr 2008 anders. Der Bankrott von Lehmann Brothers traf Deutschland unvorbereitet.

Zusätzlich gibt es noch den vom Präsidenten Trump ersonnenen Friedensplan, u.a. über die Verwendung des russischen Staatsschatzes, den er zwar nicht im Einvernehmen mit Europa und der Ukraine, dafür aber gemeinsam mit Russland vollziehen will.
Ob Putin das will, sei dahin gestellt. An der EU lässt Trump vermutlich die Sache nicht scheitern.

Was erfahren wir aus dem Interview von Madame Valerie Urbain, 1964 in Dakar geboren, hinsichtlich der drohenden Finanzkatastrophe?
Euroclear ist sowohl ein Zentralverwalter von Wertpapieren als auch im Besitz einer Banklizenz.
Euroclear selbst würde durch das Reparationsdarlehen als privates Unternehmen in eine „nicht akzeptable Lage“ gelangen. Vielleicht übertreibt Madame Urbain, wenn sie auf einen möglichen Bankrott von Euroclear und so dezent auf Lehmann Brothers Bankrott anno 2008 hinweist?
Euroclear verwalte die Währungsreserven von etwa 100 Zentralbanken aus Europa und der übrigen Welt, wickele jeden Monat Wertpapiergeschäfte im Werte des Welt-Bruttoinlandproduktes ab und verwahre Wertpapiere mit einem Wert von 42 Billionen Euro.

Wenn globale Investoren den Eindruck bekommen ,,dass ihr Geld in Europa nicht mehr sicher ist, dann ist das … schädlich für den Investitionsstandort“, genauso für die Entscheidungen über „weitere(r) Einlagen durch andere Zentralbanken.“ „ Fragen nach ihrer Sicherheit kommen“ schon jetzt.
Aber auch die Einlagen anderer Europäischer Finanzhäuser, die mit Euroclear nichts zu tun haben, könnten bei einem Eingreifen der Politik betroffen sein, weil für sie das Gleiche wie bei Euroclear gelten würde. Kurz gesagt, der europäische Finanzstandort wäre mehr als nur gefährdet, nicht weil 145 Milliarden fehlen, sondern Einlagen bei Euroclear insgesamt nicht mehr sicher sind.

„Mit anderen Worten, wir sind systemrelevant.“, so Madame Urbain. Sie gesteht den Politikern ungeachtet ihrer Anspielung auf das Finanzfiasko Lehmann Brothers im Jahre 2008 dabei zu, dass sie keine „bösen Absichten haben“, weil sie wahrscheinlich nicht verstünden, wie Finanzmärkte funktionieren. „Risiken lassen sich nicht per Gesetz verbieten“, Finanzmärkte hängen von „Wahrnehmungen, Erwartungen und Vertrauen“ ab.

„Europa braucht stabile Finanzmärkte. Wir brauchen sie für den Wiederaufbau der Ukraine, für den Klimaschutz, die Digitalisierung und die Reindustrialisierung. Europa hat einen gigantischen Finanzbedarf.“

Stimmt das alles, was Madame Urbain so von sich gibt? Vielleicht, vielleicht auch nicht.
Entscheidend scheint mir, dass mit der Gewährung des Reparationsdarlehens nach Auffassung einer Finanzexpertin ein von ihr konkret begründetes Risiko einer Europa umfassenden Finanzkrise einhergeht, die über das hinaus gehen könnte, was im Jahre 2008 geschah. Und da der Merzsche Deal neu ist, werden wir erst zur Erkenntnis gelangen, wenn sein Plan vollzogen worden ist. Dürfen wir es darauf ankommen lassen?

Bundeskanzler Merz genießt nicht das gleiche Vertrauen wie Frau Merkel und ihr Finanzminister Steinbrück im Jahre 2008 mit dem Versprechen: „Ihre Ersparnisse sind sicher“.
Stellen wir uns dem gegenüber die Herren Merz und Klingbeil Seit‘ an Seit‘ vor.
Merz gilt als jemand, für den Wahlversprechen endlich sind, dazu steht er sogar.

Spielt Merz in der Politik Vabanque? Oder ist das zu streng und voreingenommen?
Warum fliegt er nicht nach Moskau und tritt in Verhandlungen ein? Warum gefährdet er einen dauerhaften Frieden und Sicherheit mit Russland für die Zeit nach dem Krieg durch politische und juristische Kapriolen, obwohl Deutschland auf die russischen Rohstoffe wie Gas und Öl angewiesen ist?

Merz ist im Gegensatz zu Trump kein Dealmaker, er spielt Vabanque und weiß das als ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender von BlackRock und ehemaliges Mitglied diverser Vorstände sehr genau.

Reinhart Zarneckow

„Nie wieder Krieg“ – was bedeutet uns Immanuel Kants Schrift “Zum ewigen Frieden” (1795) heute?

Es handelt sich bei “Zum ewigen Frieden” von Immanuel Kant um eine angeblich satirische Überschrift, übernommen vom Schild eines holländischen Gasthofes. Darauf befanden sich die Überschrift und das Bild eines Kirchfriedhofs.

Frieden oder Friedhof, wohin geht die Reise der Menschheit? Eigentlich war es bis zum Ukrainekrieg kein Thema für das seit vielen Jahren friedliche Europa. Jetzt hat die Ostpolitik ausgedient, Deutschland und seine Verbündeten rüsten auf – die USA haben das schon seit langem gefordert.

Kants bleibendes Ziel ist Frieden anstelle der Kriege zwischen den Staaten. Es ist nur bei einem ewigen Frieden erreichbar – so eine simple Kurzfassung der Sicht des Königsberger Philosophen.

Der “Ewige Frieden” erscheint “alternativlos”, wenn der Kirchfriedhof als Synonym für das mögliche Ende der Menschheit verstanden wird. Wir leben im Zeitalter der Atombombe und haben darüber hinaus die Instrumente einer Sterbehilfe für die Menschheit auf den verschiedensten Gebieten – Krieg, Krieg unter Nutzung der Atombombe, einfältige Eindimensionalität des Umganges mit dem Klima – entwickelt.

Kant vergleicht die Konflikte der Menschen untereinander mit denen, die zwischen Staaten bestehen.

Den Menschen gelingt es, mit ”einer Regel-basierten Ordnung” innerhalb ihres jeweiligen Staates, gesittet miteinander umzugehen. Warum gelingt das nicht auch den Staaten, wo zu oft Sieg oder Niederlage nach einem Krieg die Antwort auf die Frage Recht oder Unrecht inhaltlich bestimmen?

Kant geht vom Worst Case aus. Für Kant ist der Mensch nicht edel und gut, sondern böse. Die Menschen sind aber zu ihrem Glück auch gleich. Wenn sie überleben wollen, dann nur bei gegenseitiger Akzeptanz und Verständigung. Da Streitigkeiten zwischen den bösen Menschen unvermeidbar sind, entwickelten sie gemeinsam ein Instrumentarium in Gestalt der Polizei, der Gerichte, des Staates. Von “Oben” werden innerhalb der Staaten Entscheidungen getroffen, denen sich die Staatsbürger recht und schlecht unterordnen (müssen). So werden Mord und Totschlag, der individuelle Terror vermieden. Der Staat besitzt ein Gewaltmonopol, wenn das nicht funktioniert, ist er dahin.

Staaten dagegen bestehen unabhängig voneinander, erkennen eine “Gewalt” über sich, die bei Streitigkeiten entscheiden und Gewalt ausschließen könnte, nicht an. “Jeder Staat [sieht] seine Majestät […] gerade darin, gar keinem äußeren Zwang unterworfen zu sein” (Kant, Zum ewigen Frieden, in: Reclam, S. 22, 25, 26, 40). Bei der “Zusammenschmelzung” aller Staaten in eine “Universalmonarchie” würde ein “seelenloser Despotism”(S.41) entstehen, die „Keime des Guten” werden ausgelöscht und zuletzt könnte “Anarchie” eintreten, weil das Gewaltmonopol nicht funktioniert.

Bei einem Krieg der Staaten könne “keiner von beiden Seiten für einen ungerechten Feind erklärt werden (weil das schon einen Richterausspruch voraussetzt), sondern der Ausschlag [Ausgang] desselben (gleich als vor einem sogenannten Gottesgerichte) entscheidet, auf wessen Seite das Recht ist; zwischen Staaten aber sich kein Bestrafungskrieg […] denken läßt (weil zwischen ihnen kein Verhältnis eines Obern zu einem Untergebenen stattfindet). – Woraus denn folgt: daß ein Ausrottungskrieg, wo die Vertilgung beide Teile zugleich und mit dieser auch alles Rechts treffen kann, den ewigen Frieden nur auf dem großen Kirchhofe der Menschengattung stattfinden lassen würde. Ein solcher Krieg also, mithin auch der Gebrauch der Mittel, die dahin führen, muß schlechterdings unerlaubt sein.”( S.10 f.).

Mit den nüchternen Überlegungen über die Unabhängigkeit, sprich auch Gleichheit der Staaten zueinander und ihrer sich daraus logischerweise ergebenden Dekriminalisierung (z.B. auch Russlands oder Chinas) befindet sich Kant in der Gefahr, von allen aufrechten Moralisten verachtet zu werden, die uns alltäglich über den Krieg in der Ukraine belehren. Tatsächlich bilden Kants Überlegungen die Voraussetzung für Verhandlungen.

Und Kant wird noch fragwürdiger, weil er die Völkerrechtler als “lauter leidige Tröster“, ihr Kodex habe keine Macht, weil für die Staaten “kein gemeinschaftlicher Zwang” besteht, verächtlich macht (S.23).

Staaten wie Brasilien, Südafrika oder China lehnen eine monopolare Welt mit den USA als Hegemonialmacht ab und können sich dabei auf Kants Schrift berufen (S.41).

Die Menschen haben ihre ”wilde (gesetzlose) Freiheit” (S.21) aus Einsicht aufgegeben und ordnen sich unter. Das gilt aber (leider) nicht für Staaten, die sich „Zwangsgesetzen“ nicht unterwerfen. Zwischen den Staaten herrscht Krieg oder der Zustand „nach dem Krieg ist vor dem Krieg“, wenn es ihnen nicht gelingt, einen Konflikt gemeinsam ohne Gewalt zu lösen.

Beim Ukraine-Krieg hat die Diplomatie versagt, schreibt Henry Kissinger folgerichtig, ohne insoweit eine der Kriegsparteien abzukanzeln.

Kants Projekt ist die Stiftung eines Friedensbündnisses (S.24), dem sich immer mehr Staaten anschließen sollen, ohne sich dabei einem Zwang oder Gesetzen zu unterwerfen, “zur Sicherung der Freiheit eines Staates für sich selbst und zugleich anderer verbündeter Staaten” (S.24). Bei den Menschen sei eine Vorstellung vom Recht und eine “moralische Anlage” (S.23) erkennbar. Der Wiener Kongress, genauso der Westfälische Frieden sind Beispiele, Sieger und der Besiegte verständigten sich im Rahmen eines Interessenausgleichs über einen Friedensvertrag ohne “geheime Vorbehalte” (S.5) bzw. Schuldzuweisungen und schufen so eine Friedensordnung für Europa, die viele Jahre bestanden hat.

Bestandteil des Projekts Kants ist die Überlegung, dass „ein mächtiges Volk“, dem ewigen Frieden zugeneigt, den Mittelpunkt des Föderativen Friedensbündnisses bilden soll. Staaten docken freiwillig an, ohne ihre Unabhängigkeit aufzugeben (S.24).

Kant ist mit seinen Ideen ungeachtet der vielen Kriege nicht nur des 20. Jahrhunderts (noch) nicht gescheitert.

Seit der Edition seiner Schrift im Jahr 1795 ist mit der Erfindung und Nutzung der Atombombe sowie dem Entstehen mehrerer Atomweltmächte eine neue Lage entstanden, die seltsamerweise hoffen lässt. Die Möglichkeit von ”Ausrottungskriegen mit der Vertilgung beider Teile” ist nach Kant “schlechterdings unerlaubt” (S.11). Die technischen Möglichkeiten der Vernichtung, die heute bestehen, kannte Kant nicht. “Schlechterdings unerlaubt” bedeutet in heutiger Interpretation der Schrift, dass es nicht im Belieben einer hochgerüsteten Atomweltmacht und ihrer Verbündeten steht, den Weg der Verständigung mit der Begründung, „der Gegner ist der Böse“, nicht zu gehen. Sondern darüber hinaus sogar zu probieren, einen Feind wie die Atommacht Russland unter Inkaufnahme eines großen Krieges platt zu machen.

Neu ist, dass nicht nur “ein mächtiges Volk”, sprich die USA, sondern mehrere mächtige Völker aus Eigennutz, aber auch im Sinne der Menschen, den Weg zum ewigen Frieden beschreiten müssen. Zur Erinnerung, es waren nach Kant “böse” und nicht “edle” Menschen, die lernen mussten, mit Gewalt umzugehen. Bei den Staaten sollte zumindest seit Hiroshima und Nagasaki nichts anderes gelten.

Politiker, die den Krieg oder den Zustand “nach dem Krieg – vor dem Krieg” ablehnen und den Frieden wollen, müssen folgerichtig “um des Friedens willen“ bei Verhandlungen auf die Apostrophierung ihres Staates als “edel” einerseits und des anderen Staates als ”böse” verzichten. Ansonsten betreiben sie das Geschäft eines Kreuzkrieges. Dagegen sollten Journalisten, die den russischen Standpunkt darlegen, in der medialen Öffentlichkeit zu Worte kommen. Noch ist Deutschland kein unmittelbarer Kriegsteilnehmer.

Die Besonderheit des Ukrainekrieges besteht nicht so sehr darin, dass eine atomare Weltmacht völkerrechtswidrig gegen die erheblich schwächere Ukraine einen Krieg führt. Das Neue besteht darin, dass die USA zusammen mit weiteren Staaten die militärischen Schwächen der Ukraine durch eine immer wieder neu dosierte Unterstützung der Ukraine ausgleicht, ohne selbst Kriegspartei sein zu wollen. Es handelt sich dabei um eine offensichtlich nicht aufgehende Variante der Bewahrung des Friedens zwischen den Weltmächten unter angeblicher Aufrechterhaltung (beginnend mit Kuba 1962!) der vereinbarten Schranken des atomaren Gleichgewichts des Schreckens zwischen den USA und Russland.

Anschaulich wird das Problem durch die Begründung der Lieferung von Streubomben durch die USA für den Einsatz im Kriegsgebiet Ukraine. Weil der Ukraine die Munition ausgeht, die Gegenoffensive scheitern könnte, soll Streumunition geliefert werden. Was macht nun Russland, wenn die Vergrößerung der Dosen, sprich Eskalation, so weiter verläuft?

Unabhängig von der “nur” dosierten Unterstützung der Ukraine ist in jüngerer Zeit einiges zu hören, was hoffnungsvoll stimmen lässt.

Die USA haben der Ukraine auf dem NATO-Gipfel in Vilnius die Aufnahme in die NATO nach Beendigung des Krieges simpel verweigert. Unterstützung von Kiew, vergleichbar mit Israel – das ist gar nichts und nicht neu.

Will Herr Biden mit seinen Erklärungen die Atommacht Russland beruhigen? Oder besteht bei ihm die Einsicht, am Ende der Fahnenstange der Eskalierung angelangt zu sein, dass nunmehr eine Lösung nur mit und nicht gegen Russland gefunden werden sollte?

Hat das Pentagon mit den öffentlichen Erklärungen enger Politikberater Putins vor einigen Tagen, das Gleichgewicht des Schreckens durch Abwurf einer taktischen Atombombe über eine beliebige europäische Stadt wiederherzustellen, das Scheitern seiner bisherigen Strategie (Afghanistan lässt grüßen) eingesehen? (siehe auch: https://schreibundsprich.com/2023/01/27/eine-froschperspektive-fuhrt-nicht-zum-frieden/)

Oder sind es nur die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen oder die Überschuldung oder die Wahlen in Europa oder sinkt die Bereitschaft der tapferen Ukrainer, sich zu verteidigen? Oder trifft alles zusammen zu?

Kant zeigt mit seiner Schrift Schranken auf, die zur Gewinnung des Friedens in Kriegszeiten zu beachten sind.

Keine Feindseligkeiten im Krieg, “welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen”, Präliminarartikel 6 ist eine der Schranken.

Präsident Selenskyj hat öffentlich den Plan verkündet, den letzten Russen vom Territorium der Ukraine zu vertreiben, um dann mit Russland in einem Friedensvertrag über Reparationen und die Auslieferung der Kriegsverbrecher zu verhandeln. Kant interpretiert einseitige Friedensverträge mit zwangsläufig geheimen Vorbehalten der einen oder anderen Seite als Beginn eines “neuen Kriegszustandes”. Ein “neuer Vorwand” wird vom Verlierer oder gar von beiden Seiten gesucht und gefunden, der nächste Krieg steht vor der Tür.

Verstößt der Plan Selenskyjs damit nicht gegen eine Schranke, die Deutschland im Hinblick auf seine Interessen – hier zukünftig wieder friedliche Beziehungen zu Russland – beachten muss?

Die weitere Forderung von Selenskyj, die Ukraine spätestens nach einem Friedensvertrag in die EU und NATO aufzunehmen, ist konsequent und führt zur Antwort. Selbst ein von Kiew diktierter Friede würde die Ukraine nicht auf Dauer vor neuen Kriegen mit Russland schützen. Weil die Ukraine und Russland im Sinne von Kant sich nach einem Diktatfrieden immer noch im Kriegszustand befinden und die Atommacht Russland den Vorwand für den nächsten Krieg suchen könnte (S.5).

Dafür sprechen auch die alltäglichen Redereien von der Bedrohung der NATO-Staaten, besonders des Baltikums, durch Russland. Niemand glaubt daran, dass Russland einen Krieg mit einem NATO-Staat aufnimmt, ausgeschlossen werden kann das nicht, wenn die andere Seite aus der Sicht Moskaus macht, was sie will, ohne die Nachbarschaft der bösen Russen zu beachten. Und als NATO-Mitglied würde aus meiner Sicht für ein derartiges Verhalten Kiews wenig dagegen sprechen – noch ist die Ukraine kein demokratischer Rechtsstaat, sondern in erster Linie auf dem Weg zum Nationalstaat.

Wer wie der Verteidigungsminister Pistorius den starken Mann raushängen lässt und fordert, dass die Ukraine den Krieg gewinnen muss, nimmt im Sinne der Gedanken von Kant einen Diktatfrieden und den nächsten Krieg zwischen der Ukraine und Russland in Kauf.

”Russland darf den Krieg nicht gewinnen” (Bundeskanzler Scholz). Im Sinne von Kant ist das die Forderung eines Verständigungsfriedens mit Bedingungen, an deren Einhaltung für die “bösen” Menschen auf beiden Seiten ein starkes existentielles Interesse besteht. Dessen Einhaltung Staatsmänner auch vor dem Volk vertreten können, ohne ihre Existenz zu gefährden. Ein Verständigungsfrieden wäre die eigentliche Sicherheitsgarantie für eine souveräne Ukraine.

Solche Bedingungen gilt es auszuhandeln, vieles spricht für eine weitere Minskversion, diesmal mit Unterstützung starker Mächte wie den USA und China. Frau Merkel hat es leider nicht geschafft, hat ihre Möglichkeiten überschätzt oder ist an den Freunden in den USA gescheitert – da freuen sich die Kleingeister. Vielleicht winkt der Ukraine beim wahrhaft souveränen Handeln zwar nicht die Aufnahme in die NATO, dafür aber in eine EU, die sich zu einem Friedensbündnis von Staaten nach innen und außen versteht und entwickeln möchte.

Der “Ewige Frieden” unserer Welt ist nicht mein heutiges Thema, mir geht es um den Frieden in Europa heute und jetzt.

Bei Kant handelt es sich mit dem “Ewigen Frieden“ um die Darstellung eines Prozesses hin zur Stiftung eines Friedensbündnisses von Staaten, dem sich immer mehr Staaten freiwillig anschließen. Deutschland wurde nach 1990 in die Europäische Union zur Vermeidung einer von England (Frau Thatcher) und Frankreich (Mitterrand) befürchteten deutschen Vorherrschaft in Europa eingebunden.

Margaret Thatcher und Helmut Kohl mit dem britischen Außenminister Sir Geoffrey Howe und dem französischen Präsident Mitterand Foto: © Reuters Photographer / Spiegel

Vielleicht schafft die EU den Weg in ein Friedensbündnis von Staaten aus ganz Europa – ohne eine Administration in den USA, die sich die Letztentscheidung über Krieg und Frieden in ganz Europa nach einem falschen Verständnis meint vorbehalten zu müssen. Präsident Macron hat dazu einiges wichtiges gesagt.

In Deutschland muss offenbar eine neue Regierung her, wahrscheinlich auch eine neue Bewegung, um den Weg zusammen mit Frankreich zu finden.

Reinhart Zarneckow

Eine Kapitulation der Russen ist nicht zu erwarten, Deutschland sollte sich darauf einstellen

Es könnte Gründe dafür geben, dass Deutschland seine Parteinahme für die Ukraine beendet. 

Doch zunächst möchte ich mich verorten. Wie ist es möglich, dass ich ungeachtet des völkerrechtswidrigen Überfalls von Russland unter Putin auf die Ukraine, des Elends der hunderttausenden Flüchtlinge und der Hinterbliebenen, die den Tod ihrer Kinder, Mütter oder Väter mit großer Würde betrauern, einer Unterstützung der Politik des ukrainischen Präsidenten Selenskyj misstrauisch gegenüber stehe?

Meine Vergangenheit in der DDR ist wieder einmal schuld. 

Es gab und gibt Stimmen, die aus dem kalten Krieg bis 1989 meinen, einiges gelernt zu haben. Es habe damals ein Patt der Atommächte gegeben, die Kräfteverhältnisse waren tatsächlich bipolar zwischen den Atommächten USA und der Sowjetunion verteilt. Die Kubakrise und Prag 1968  statuierten für jedermann sichtbar, dass die Weltmächte USA und SU die beiderseitigen Machtbereiche präzis zu respektieren haben. Wir haben in der DDR das Leben hinter der Mauer, mit all den Drangsalierungen und der Unfreiheit, nicht fröhlich akzeptiert. Nicht nur wegen  einer besonders durch den 17.Juni 1953 eingeimpften Angst vor Repressalien aller Art, sondern vielleicht auch mehrheitlich in der verborgenen Einsicht, dass diese kalte Friedensordnung für Europa angesichts unzähliger Kriege erhalten werden musste. Selbst wenn wir als Ostdeutsche  die „Arschkarte“ gezogen hatten. Und etwas haben wir auch auf einen menschlichen Sozialismus gehofft, dafür steht der Name Havemann.

Ohne es mir damals zugestanden zu haben, wir haben akzeptiert, die Mauer nicht mit Gewalt zu beseitigen. Wir waren vom Scheitel bis zur Sohle „Realpolitiker“.

Veränderungen im Bereich des Warschauer Paktes mussten von innen und nicht von außerhalb ausgehen, das war die Erkenntnis. So kam es zur auch in diesem Sinne friedlichen Revolution in der DDR und den anderen sozialistischen Staaten unter dem Vorzeichen der Ermöglichung von Reformen. Und danach gab es den 2 plus 4 – Vertrag, der zur Beendigung der Besetzung Deutschlands führte. 1993 verließen 400 000 Soldaten der ehemaligen Sowjetunion friedlich Deutschland.

Das ist der Ausgangspunkt meiner Überlegungen zum Krieg in der Ukraine.

Bei dem Maidan steht im Raum, dass da „höhere“ Kräfte von außen mitgewirkt haben, ein wenig „gemogelt“ wurde, Oligarchen mitspielten. Die Rede ist von Investitionen in einen Politikwechsel in Höhe von 2 Milliarden Euro, Russland machte ebenfalls finanzielle Angebote. Russland will partout berechtigt oder nicht den Maidan in seinen Folgen keinesfalls als legitim anerkennen.

Es kam auch wegen der Intervention der Atommacht Russland zu einem Zerfall der Ukraine. Russland eignete sich durch eine völkerrechtlich umstrittene Sezession die Krim an. Daneben entstanden Luhansk und Donezk, die ohne Russland nicht existieren würden.

Ich sage es frank und frei. Wenn die Ukraine im Jahr 2022, also acht Jahre später, ein roll back für die Krim, Luhansk und Donezk anstrebt, den Status quo aus der Zeit vor den Ereignissen des Maidan, dann bitte nur mit eigenen Verbündeten und aus sich selbst heraus. Jedenfalls sollte das gelten, solange die Forderungen der Atommacht Russland die Unabhängigkeit der Ukraine nicht ausschließen. Auf eine Kapitulation der Ukraine laufen die Forderungen  Russlands nicht mehr hinaus.

Deutschland wurde von Russland nicht angegriffen, es bestehen keinerlei Beistandsverpflichtungen Deutschlands. 

Wenn die USA ohne Verabredung erklären, nicht für die Ukraine kämpfen zu wollen und dann einen Wirtschaftskrieg auslösen, der die deutsche Wirtschaft schwerer als Russland treffen könnte,  missachten sie europäische und deutsche Interessen. Wegen einer solchen Politik muss sich Deutschland weder aus Gründen der angeblichen Solidarität noch aus einem Mitgefühl mit den schwer geplagten Ukrainern  ins eigene Knie schießen. Wobei ich meine, dass ein Wirtschaftskrieg zwar den politischen Akteuren wie den eloquenten und kühnen ukrainischen Präsidenten, nicht aber seinen auf der Flucht befindlichen Ukrainern hilft. 

Bundeskanzler Scholz telefoniert oft mit den Präsidenten. Er sollte vor einer Entscheidung zum weiteren Handeln beiden ultimative Fragen stellen. Und dann eine Entscheidung für Deutschland politisch nach innen und außen durchsetzen:

Trifft es zu, dass Russland nichts an der schon seit einigen Jahren bestehenden Separation der Krim von der Ukraine ändern lassen und darüber hinaus ihre Eingliederung bei Russland aufrecht erhalten will? Bleibt es bei der von Russland erklärten völkerrechtlichen Anerkennung der Gebiete von Donezk und Luhansk? Anerkennt Russland eine Unabhängigkeit der Ukraine ohne Mitgliedschaft bei der NATO?

Präsident Selenskyj sollte gefragt werden, ob es bei seinen Erklärungen Anfang März  in einem Interview mit dem US – Fernsehsender ABC bleibt. Hier sah er noch unterhalb der völkerrechtlichen Anerkennung Verständigungsmöglichkeiten für die Rebellengebiete aber auch für die Krim, auf die Zugehörigkeit der Ukraine zur NATO bestand er nicht mehr.

Nur bei einer solchen Ausgangslage erscheint das Abwarten eines Ergebnisses der Gespräche der Verhandlungsdelegationen, bei denen einiges moduliert werden könnte, sinnvoll. Ein gewisser Druck in form einer Teilnahme an den Verhandlungen  sollte durch Frankreich und Deutschland unbedingt ausgeübt werden. Weil sie an Minsk 2 beteiligt waren und somit eine besondere Verantwortung für Russland und die Ukraine tragen. Verantwortung aber auch für die in den Krisengebieten lebenden oder daraus flüchtenden Menschen auf sich genommen haben.

Nunmehr hat allerdings Präsident Selenskyj erklärt, dass die territoriale Integrität der Ukraine unangetastet bleiben muss. Frieden also erst, wenn die völkerrechtlich umstrittene Separation der Krim zugunsten der Ukraine beendet worden ist? Hinsichtlich Luhansk und Donezk eine Wiedereingliederung der Rebellengebiete erfolgt ist? Der letzte russische Soldat die Ukraine verlassen hat? Russland sein Unrecht einsieht  und in dem Sinne kapituliert, dass es sämtliche Forderungen der Ukraine anerkennt? 

Wenn der ukrainische Präsident das so sieht, sollte Deutschland die Einstellung jedweder Unterstützung der Ukraine für diesen Fall ankündigen.

Es gibt viele Gründe.

Die Atommacht Russland wird nicht kapitulieren.

Wir haben an einem Zerfall von Russland kein Interesse. Gegenwärtig stellt es offenbar seine Streitkräfte so um, dass es den östlichen Bereich der Ukraine einschließlich der Krim und einige Anliegergebiete beherrscht. Dazu bedarf es keines Abkommens mit der Ukraine ( vergleichbar mit den Gebieten, die von der Türkei in Syrien besetzt worden sind, ohne Zustimmung der syrischen Regierung).  Wir steuern also auf einen Wirtschaftskrieg zu, der chronisch werden könnte.

Deutschland hat als Exportnation, zudem existentiell angewiesen auf Gas und Öl, kein Interesse an einer Isolierung der Russen und einem zeitlich unbegrenzten Wirtschaftskrieg. Bei dem Herr Selenskyj die Zensuren verteilt und Herr Biden den Dirigenten macht.

Präsident Biden hat am 26.3. in einer Rede im Hof des Warschauer Schlosses das america first von Trump angeblich beendet. Westeuropa sitzt mit den USA angeblich wieder in einem Boot, mit ihm als Kapitän. Die Rede war auch nicht nur von dem Schlächter Putin, sondern einem Systemwechsel ohne Putin. Dies angesichts einer Entourage China, Indien, Brasilien, die alle beim Wirtschaftskrieg nicht mitmachen wollen und Russlands Krieg wohlwollend verfolgen. Biden ist dabei, an einer starken Gegenmacht der angeblich Bösen, die keinesfalls ökonomische Leichtgewichte darstellen, zu zimmern. Dann lieber eine starke Bundeswehr und ein starkes Europa mit weniger Präsidenten aus den USA, mögen sie Biden oder Trump heißen, weil das weniger gefährlich ist.

Deutschland hat ein starkes Interesse an der Verhinderung einer weltweiten Hungersnot durch Ausfall des Exportes von Weizen aus der Ukraine und Russland. Europa kann nicht sowohl die Flüchtlinge aus der Ukraine als auch aus den afrikanischen Staaten verkraften. Hören wir auf die Experten. Zumal die Afrikaner ganz bestimmt nicht von allen europäischen Staaten als Menschen in Not aufgenommen werden würden.

Und wir benötigen jeden Euro für die weltweite Eindämmung der Klimakrise. Deutschland versteht es nicht, mit einem der stärksten Verteidigungsbudgets der Welt von jährlich rund 50 Milliarden Euro, eine wehrhafte Bundeswehr aufzubauen und stockt noch mit weiteren 100 Milliarden auf? Merke: Wenn Polen 2% und zukünftig  3% seines Bruttosozialprodukts für das Militär ausgibt, sind die Ausgaben der Deutschen mit 1.3 % und zukünftig 2% immer noch wesentlich größer, weil das Bruttosozialprodukt Deutschlands das von Polen weit übertrifft.

Und gibt es da nicht noch Covid 19 in immer neuen Varianten mit Folgen für die Wirtschaft?

Ein kleines, uns aber vielleicht demnächst im alltäglichen Leben berührendes Beispiel.

Dem Boykott der russischen Zentralbank durch die USA und die EU begegnet Russland mit der Forderung auf den Rubel als Zahlungsmittel. Die Europäische Union mit der schlauen von der Leyen bleibt unnachgiebig, Deutschlands Wirtschaft liegt flach, erregt sich über den russischen Vertragsbruch, das PCK Schwedt stellt die Produktion von Benzin ein, weil die Russen Öl und Gas nicht mehr liefern. Und Habeck reist durch die Lande, hat schon (erfolglos) Bücklinge in Qatar gemacht und kann doch erst ab 2025 frühestens Gas und Erdöl versprechen. Weil Russland sanktioniert werden muss und die Ukraine Morgenluft wittert?

Im Augenblick findet ein geheimes Rennen statt. Herr Habeck sucht neue Lieferanten, Russland neue Abnehmer, um dann die Handelsbeziehungen zu beenden. Jahrzehntelange erfolgreiche Ostpolitik Schrott, weil Russland und die Ukraine nicht einlenken wollen und einige die Angst vor den Russen schüren?

Ich vermag keine Nachteile für Deutschland zu erkennen, wenn es seine Verträge mit Russland einhält und die Lieferung von Waffen und Geld in ein Kriegsgebiet unterlässt. Ein Überfall Russlands auf einen NATO-Staat kann für die Regierungszeit von Herrn Scholz ausgeschlossen werden. Russland tut sich schon jetzt mehr als nur schwer, über die Runden zu kommen. An einem neuen kalten Krieg sollte sich Deutschland nicht beteiligen. Wir sollten alles unterstützen, was zum Frieden mit Russland und der Ukraine verhilft.

Fazit:

Die Ukraine und Russland haben trotz der Bemühungen von Frau Merkel und Herrn Macron über viele Jahre es nicht verstanden, ihre Konflikte zu lösen. Das hatte nicht nur mit Putin zu tun, sondern auch mit den Entscheidungsträgern in der Ukraine, bei denen Selenskyj erst in neuerer Zeit wirklich mitbestimmen darf. Darunter leiden alle Ukrainer, auch die auf der Krim, in Luhansk und Donezk lebenden. Es liegt nicht im Interesse der Deutschen, indirekt durch Lieferung von Geld und Waffen, von Freiwilligen nicht zu reden, den Krieg zwischen der Ukraine und Russland zu verstetigen, selbst wenn Russland angefangen hat und alle Schuld der Welt für ihn trägt. Schon vergessen? Bei Russland handelt es sich um eine Atommacht. Deshalb sollte Deutschland eine Realpolitik der Ukraine fördern, nicht mehr und auch nicht weniger.

Und Herr Biden sollte noch einige Zeit Afghanistan in seinem Herzen bewegen. Die USA schulden Deutschland etwas.

Reinhart Zarneckow

Deutschland im Blindflug und ohne Kapitän, Herr Selenskyj ist nicht verfügbar

Es kommt wohl die Zeit, dass meine Freunde und Bekannten die Kurve kratzen, wenn sie mich sehen. Voller Wut und Entsetzen verstehe ich die Welt nicht mehr. Ich rede und rede über die Ukraine und Russland, die Ursachen des Krieges und das Leid für die Menschen in der Ukraine und auch Russland. Ich sehe die  Wand immer näher kommen. Die da heißt, endlich muss Schluss sein, einfach reinhauen, nicht nur Waffen sondern auch starke bewaffnete Truppen in die Ukraine schicken oder ganz anders einfach full stop und back to the roots.

Wer will sich das alles noch anhören. Die Ereignisse beginnen mich zu erdrücken. Aber wir sollten dennoch mutig und hellwach  nach vorne schauen. Nach 40 Jahren DDR und über 30 Jahren ertragener Vergangenheitsbewältigung will ich mich auch ein wenig absichern. Ihr solltet das auch tun, Deutsche mit der  DDR – Vergangenheit, die  mit back to the roots nicht gemeint sein soll.

In der letzten Sendung bei Illner wurde durch den ehemaligen militärischen Berater von Frau Merkel, Ex General Vad, einiges bemerkt, was in der FAZ vom 18.3. kolportiert wird. Wichtig erscheint mir, was die Zeitung dabei unterschlägt.

Nicht verschwiegen wird seine Bestätigung der Befürchtung des Grünen Robert Habeck, der eine atomare Eskalation als realistische Bedrohung dem hoffentlich hellhörig werdenden deutschen Publikum nahe brachte. Für die russische Militärdoktrin gelte im Unterschied zur amerikanischen auch die Taktik  begrenzter  Atomschläge. Nicht erörtert wurde, was  die USA oder die NATO für diesen Fall vorgesehen haben.

Unterschlagen wurde Vads  zaghafter Hinweis, dass für die Ukraine und Russland ein guter Zeitpunkt besteht, sich zu verständigen. Russland habe bestimmte Kriegsziele in Form von Geländegewinnen erreicht, die Ukraine verteidige sich weit über die Erwartungen der Russen. Also würde keiner das Gesicht verlieren. Eisiges Schweigen und Unverständnis in der Runde.

Die Frage nach den Vorstellungen der Ukraine für eine Beendigung des Krieges wurde durch den anwesenden ukrainischen Botschafter nicht beantwortet. Die Ukraine sei bereit, „alle möglichen Kompromisse“ einzugehen. Konkret werden könne die Ukraine erst in den direkten Verhandlungen der beiden Präsidenten.

Lauter Beifall von der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Bundestages Strack-Zimmermann. Das sei allein eine Angelegenheit der Ukraine. Deshalb muss es heißen Blindflug der Bundesregierung, notiere ich.

Überhört wird auch der Hinweis des Generals, dass das gegeneinander Aufrüsten keine gute Idee sei. Die Pläne der Grünen für eine neue Sicherheitsdoktrin Deutschlands erwähnte er nicht. Wurde der General im Hinblick auf die amerikanische Ankündigung einer Zahlung weiterer 800 Millionen Dollar für Rüstungsgüter  an die Ukraine von Frau Merkel gar gebeten, in der Sendung auf die Bremse im Sinne einer Entspannung der demoralisierten und schuldbewussten deutschen Politiker zu treten? Habeck stand kurz vor den Tränen. Ich möchte Frau Merkel wieder haben, meine Stimme hätte sie.

Wir kennen in etwa die Vorstellungen Putins, die offenbar immer noch von vielen Russen geteilt werden, von 71 % ist nach einer wohl seriösen Umfrage die Rede. Eine wirklich neutrale Ukraine außerhalb der NATO, Russland soll behalten, was es mit der Krim, Luhansk und Donezk schon hat.

Die Frage ist nicht, ob das der Atommacht Russland zusteht. Das Völkerrecht sagt dazu ein klares Nein, genauso wie schon früher beim Irakkrieg, Kosovokrieg etc. Da offenbar im Konfliktfall bei starken Mächten das Völkerrecht oft mit angeblichen höchst moralischen Gründen ausgesetzt wird, müssen Lösungswege ohne es gefunden werden. Das ist die Stunde von Politikern wie Talleyrand, Bismarck, Willy Brandt und Egon Bahr.  Wir dürfen  nicht den  Krieg sich selbst überlassen, weil eine Seite im Unrecht ist und das partout nicht einsehen will. Und überhaupt, wo wollen wir da  beginnen? Chirurgen wie Sauerbruch quatschen nicht, sie konsultieren sich aber und beginnen dann sofort mit der Operation.

Ein Krieg muss sofort beendet werden, er darf keine Chance zur Ausbreitung erhalten. Die Vergangenheitsbewältigung kommt später, viel später, wenn sie nachhaltig sein soll. Macron und Scholz, hört auf zu  telefonieren, um so en passent die nächsten Wahlen zu gewinnen. Bleibt sauber, es wird alles durchschaut. Verhandelt auf Augenhöhe mit beiden Seiten des Krieges und sorgt dafür, dass die USA und weitere Mitglieder der NATO mitmachen. Und wir sollten aufhören, uns moralisch zu erregen, sondern von den Entscheidern Leistungen für den Frieden fordern. Wir sind nicht  die Opfer und wollen es auch nicht infolge der Unfähigkeit der Bosse werden.

Biden hat mit seiner Erklärung, dass die NATO für die Ukraine nicht kämpfen würde, einiges auf den Weg gebracht. Die Frage ist, ob Putin es bei dem von der EU, den USA und der NATO ersatzweise geführten Wirtschaftskrieg belässt. Den Russland nicht gewinnen kann, ganz im Gegenteil, die Wirtschaft Russlands wird vernichtet werden, meinen einige fröhlich und optimistisch. 

Ich sehe dennoch sehr gute Chancen für eine Zurückhaltung des sich verrechnet habenden Putins,  meine aber, dass der Wirtschaftskrieg Deutschland und der ganzen Welt schadet und  ein  Ende des Krieges verzögert.

Deutschland schießt sich selbst ins Knie, wenn es nicht aufpasst. Das aber ist gar nicht das Schlimmste. Ich sage es mit den beschönigenden Worten des ukrainischen Botschafters Melnik, der das Restrisiko einer atomaren Auseinandersetzung in Europa klein redet  Das „bisschen“ Restrisiko ist schlimm und gefährlich für Deutschland, sogar mehr als die gerne besungenen  Rechts- oder Linksradikalen  oder gar die AFD im Inneren.

Deshalb erwarte ich von der Bundesregierung, dass sie den sicheren Weg geht. Das Interesse der Deutschen kann nicht die blinde Zustimmung zur Aufrüstung der Ukraine mitten in diesem Krieg sein. Es darf nicht einmal in einer strategischen Überlegung  konzediert werden, dass Putin wegen der Waffenlieferungen plus Wirtschaftskrieg  „den Waffengang“ nach Westen ausdehnen könnte.

Doch ist das Kind nicht schon in den Brunnen gefallen? Deutschland ist durch die Waffenlieferungen und Sanktionen zumindest mittelbar Beteiligter an diesem Krieg, alles andere ist Augenwischerei. Deutschland befindet sich in einem mit allen Mitteln geführten Wirtschaftskrieg. Dies ist nur dann gerechtfertigt, wenn Deutschland sich an den Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland mit starker Stimme beteiligt. Das lehnen die Herren aber ab, niemand kann es logisch begründen.

Beginnen wir mit dem Kleinen, mit  Anstand und etwas mehr Selbstbewusstsein. Es wird nicht geklatscht, wenn fremde Staatsoberhäupter deutsche Politiker beschimpfen,  nicht im Bundestag oder auch nur in einer Talkshow, es wird gebuht oder eisig geschwiegen.   Ziel kann nur die Beendigung des Krieges, die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat und die Eindämmung der Sanktionen sein, bei gleichzeitigem Aufbau einer Sicherheitsstruktur für ganz Europa. Zug um Zug, Abbau von Sanktionen gegen Aufbau von Sicherheit für die Westeuropäer,  alle Russen, Ukrainer und die vielen nationalen Minderheiten. Das ist die Hauptaufgabe.

Und die NATO mit Deutschland an der Spitze wiederholen demgegenüber das, was ihnen Putin seit Jahren vorwirft. Ohne den Weg der Verhandlung mit Russland zu beginnen, Vertrauen zu schaffen, wird einseitig unter Bruch von Vereinbarungen die Ostflanke der NATO gestärkt – was die baltischen Staaten schon seit Jahren gefordert hatten. Worüber hat sich der französische Präsident über sechs Stunden mit Herrn Putin unterhalten, darüber und darauf verschließt sich die Auster Putin? 

Eine neue nationale Sicherheitsstruktur  a la Baerbock mit Tarnbombern und Beteiligung an der atomaren Aufrüstung Deutschlands insgesamt, noch mehr Einfluss auf die NATO,  erschreckt auf längere Sicht nur die Nachbarn. Oder bleiben die Tarnbomber bei dem nächsten Konflikt auf dem Boden? Nütze den Krieg in der Ukraine, um die lahme Bundeswehr aufzurüsten, wieder mal gegen die Gefahr aus dem Osten, ist das die neue Losung?  Ich kann gar nicht so schnell denken, wie sich die Grünen militarisieren. Was ist mit ihrer Vergangenheitsbewältigung Nr.1?

Solange die Ukraine auf ein inhaltsleeres  „zu allen Kompromissen bereit“ beharrt, Verhandlungen der beiden Präsidenten  nicht zügig vorbereiten lässt, nicht wie die Russen  ihre Ziele  darstellt,  darf Deutschland die Ukraine nur bei der Linderung der Not der Menschen unterstützen. Das ist eine Lehre aus dem Scheitern von  Minsk 2, das Deutschland nicht zu verantworten hat.  Kein Euro und keine Patrone, wenn …

Fazit: Es wird eine Hungersnot in Afrika mit Millionen von Hungertoten und Flüchtlingen nach Europa ab dem Jahr 2023 prognostiziert, wenn Russland und die Ukraine ihren Weizen nicht anbauen und liefern können. Es besteht die Gefahr, dass wir die Klimawende nicht meistern. Es geht um die Not der Welt und nicht darum, ob wir Deutschen in der kalten Jahreszeit etwas mehr anziehen oder ob die Energiepreise in Deutschland steigen. Um letzteres geht es aber auch. Und solange die Bundesregierung nichts schafft, sollte niemand frei Haus auf etwas verzichten. Um der Verschwendung für militaria ein wenig Einhalt zu gebieten oder den toll Gewordenen etwas zu signalisieren.

Übrigens glaube ich auch nicht daran, dass eine Landmacht ohne atomare Unterstützung durch einen Dritten einer Atommacht widerstehen kann, ohne dass es zu einem Kollateralschaden größeren Ausmaßes kommt.

Reinhart Zarneckow