Adenauer spielte Boccia, Merz spielt Vabanque

Es gibt neuerdings in politischen Kreisen Anerkennung für kreatives und mutiges Handeln des Bundeskanzlers. Er wird von Präsident Trump respektiert und von den europäischen Kollegen vorgeschickt.

Die Hintergründe für den Plan der Gewährung eines Reparationsdarlehens über 145 Milliarden Euro durch die EU-Staaten zugunsten der Ukraine – auszuzahlen in jährlichen Tranchen in Höhe von 45 Milliarden Euro – unterstreichen scheinbar die Tatkraft des 70jährigen Dealmakers. Im Interesse der um ihre Existenz ringende Ukraine betritt er juristisches und politisches Neuland .

Der von Merz angeregte und von von der Leyen dazu ausgearbeitete Plan ist, wie so viel anderes, umstritten. Seine inzwischen zahlreichen Anhänger begründen ihn moralisch damit, dass der Aggressor Russland für die Schäden des Krieges aufkommen muss. Die juristischen Überlegungen kommen etwas weiter unten.

Merz & Co verschweigen auch nicht das Problem, das sich für Europa derzeit wie ein gordischer Knoten darstellt: Einerseits die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme der Staaten (im Angesicht des kritischen Wählers) lösen, andererseits die Ukraine finanziell beim Kauf moderner Waffen in den USA und den Staatshaushalt großzügig unterstützen zu müssen. Ohne das Geld aus Europa ist die Ukraine angeblich im April bankrott, da die USA Zahlungen in Milliardenhöhe jüngst eingestellt haben.

Ein Interview in der FAZ vom 8.12.25 unterstreicht denkbare Folgen des Handelns des Bundeskanzlers, die nachdenklich machen müssen.
Von Madame Valerie Urbain, Chefin der Euroclear-Gruppe, wird darin behauptet, dass der Welt und somit auch Deutschland eine Kernschmelze im Finanzbereich durch Vollziehung des Merzschen Planes drohen könnte.

Der von Frau von der Leyen präzise ausgearbeitete Plan sieht vor, das bei Euroclear in Belgien eingelagerte russische Staatsguthaben im Werte von 182 Milliarden Euro nicht nur weiter einzufrieren, sondern in Höhe von 145 Milliarden Euro für die Ukraine zu verbrauchen.

Ich erspare dem Leser nicht die komplizierte juristische Begründung, könnte mich dabei auch verhaspeln, so komplex ist sie: Die EU greift nach dem bei Euroclear gelagerten staatlichen russischen Staatsguthaben, an dem der EU keinerlei Rechte zustehen. Sie benutzt diese Werte als Sicherheit für ein Darlehen, das an die Ukraine ausgezahlt wird. Die Tilgung des Darlehens erfolgt dann nach dem Krieg mittels der Reparationsforderungen der Ukraine an Russland.

Wenn das mit der Tilgung durch die Reparationsforderungen nicht klappt, stehen die EU-Staaten für das Darlehen gerade, der Anteil Deutschlands würde 25% betragen, mit mindestens 36 Milliarden Euro den Bundeshaushalt belasten. Ich übergehe dabei die jährlichen Sowiesozahlungen.
Laut der Beurteilung des Juristen Merz werden so die russischen Forderung an Euroclear nicht angerührt, da der russische Staatsschatz angeblich lediglich als Sicherheit dient. So der schlaue Plan.

Einige Bedenkenträger bezeichnen es als eine glückliche Fügung, dass dem Plan nicht nur das Wort „wenn“, sondern auch ein angeblicher Friedensplan des Präsidenten Trump entgegen steht
Wenn also die Politiker ungeachtet der Nörgeleien aus Budapest und Bratislava (Staatsimmunität heißt ihr Zauberwort) tatsächlich falsche Entscheidungen im Zusammenhang mit dem von der EU-Kommission vorgelegten Plan treffen. Wenn die Politik (derzeit bis zum 18.12.25) den Plan erfüllt. Nur dann droht eine Finanz- Kernschmelze. Das war im Jahr 2008 anders. Der Bankrott von Lehmann Brothers traf Deutschland unvorbereitet.

Zusätzlich gibt es noch den vom Präsidenten Trump ersonnenen Friedensplan, u.a. über die Verwendung des russischen Staatsschatzes, den er zwar nicht im Einvernehmen mit Europa und der Ukraine, dafür aber gemeinsam mit Russland vollziehen will.
Ob Putin das will, sei dahin gestellt. An der EU lässt Trump vermutlich die Sache nicht scheitern.

Was erfahren wir aus dem Interview von Madame Valerie Urbain, 1964 in Dakar geboren, hinsichtlich der drohenden Finanzkatastrophe?
Euroclear ist sowohl ein Zentralverwalter von Wertpapieren als auch im Besitz einer Banklizenz.
Euroclear selbst würde durch das Reparationsdarlehen als privates Unternehmen in eine „nicht akzeptable Lage“ gelangen. Vielleicht übertreibt Madame Urbain, wenn sie auf einen möglichen Bankrott von Euroclear und so dezent auf Lehmann Brothers Bankrott anno 2008 hinweist?
Euroclear verwalte die Währungsreserven von etwa 100 Zentralbanken aus Europa und der übrigen Welt, wickele jeden Monat Wertpapiergeschäfte im Werte des Welt-Bruttoinlandproduktes ab und verwahre Wertpapiere mit einem Wert von 42 Billionen Euro.

Wenn globale Investoren den Eindruck bekommen ,,dass ihr Geld in Europa nicht mehr sicher ist, dann ist das … schädlich für den Investitionsstandort“, genauso für die Entscheidungen über „weitere(r) Einlagen durch andere Zentralbanken.“ „ Fragen nach ihrer Sicherheit kommen“ schon jetzt.
Aber auch die Einlagen anderer Europäischer Finanzhäuser, die mit Euroclear nichts zu tun haben, könnten bei einem Eingreifen der Politik betroffen sein, weil für sie das Gleiche wie bei Euroclear gelten würde. Kurz gesagt, der europäische Finanzstandort wäre mehr als nur gefährdet, nicht weil 145 Milliarden fehlen, sondern Einlagen bei Euroclear insgesamt nicht mehr sicher sind.

„Mit anderen Worten, wir sind systemrelevant.“, so Madame Urbain. Sie gesteht den Politikern ungeachtet ihrer Anspielung auf das Finanzfiasko Lehmann Brothers im Jahre 2008 dabei zu, dass sie keine „bösen Absichten haben“, weil sie wahrscheinlich nicht verstünden, wie Finanzmärkte funktionieren. „Risiken lassen sich nicht per Gesetz verbieten“, Finanzmärkte hängen von „Wahrnehmungen, Erwartungen und Vertrauen“ ab.

„Europa braucht stabile Finanzmärkte. Wir brauchen sie für den Wiederaufbau der Ukraine, für den Klimaschutz, die Digitalisierung und die Reindustrialisierung. Europa hat einen gigantischen Finanzbedarf.“

Stimmt das alles, was Madame Urbain so von sich gibt? Vielleicht, vielleicht auch nicht.
Entscheidend scheint mir, dass mit der Gewährung des Reparationsdarlehens nach Auffassung einer Finanzexpertin ein von ihr konkret begründetes Risiko einer Europa umfassenden Finanzkrise einhergeht, die über das hinaus gehen könnte, was im Jahre 2008 geschah. Und da der Merzsche Deal neu ist, werden wir erst zur Erkenntnis gelangen, wenn sein Plan vollzogen worden ist. Dürfen wir es darauf ankommen lassen?

Bundeskanzler Merz genießt nicht das gleiche Vertrauen wie Frau Merkel und ihr Finanzminister Steinbrück im Jahre 2008 mit dem Versprechen: „Ihre Ersparnisse sind sicher“.
Stellen wir uns dem gegenüber die Herren Merz und Klingbeil Seit‘ an Seit‘ vor.
Merz gilt als jemand, für den Wahlversprechen endlich sind, dazu steht er sogar.

Spielt Merz in der Politik Vabanque? Oder ist das zu streng und voreingenommen?
Warum fliegt er nicht nach Moskau und tritt in Verhandlungen ein? Warum gefährdet er einen dauerhaften Frieden und Sicherheit mit Russland für die Zeit nach dem Krieg durch politische und juristische Kapriolen, obwohl Deutschland auf die russischen Rohstoffe wie Gas und Öl angewiesen ist?

Merz ist im Gegensatz zu Trump kein Dealmaker, er spielt Vabanque und weiß das als ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender von BlackRock und ehemaliges Mitglied diverser Vorstände sehr genau.

Reinhart Zarneckow

Nur ein Friedensplan – kein Menetekel für Deutschland

In der Ukraine wuchert die Korruption, das darf nach der Entlassung der Energieministerin und des Justizministers im November diesen Jahres nunmehr laut ausgesprochen werden.

Was mich bei der jüngst festgestellten verwirrt, ist die Intensität und der Zeitpunkt der aufgeregten öffentlichen Bekundigungen. Wenn seit Beginn des Krieges Milliarden Dollars und Euros durch die USA, aus Japan und den EU-Staaten und von Brüssel selbst in die Ukraine transferiert werden, liegt die Überlegung, dass da einiges in dunkle Kanäle verschwindet, nahe.

Bildquelle: Pinterest

Gegenstand der derzeit eifrig publizierten Korruptionsvorwürfe gegenüber einer angeblichen kriminellen Vereinigung ist ein über die Jahre angelaufener Schaden von hundert Millionen Euro im empfindlichen Energiesektor. Was sind aber hundert Millionen Euro bei einem Bruttosozialprodukt von 190 Milliarden in Dollar für das Jahr 2024?

Wenn es bei dem Betrag bleibt, wäre das angesichts der Milliarden in der Ukraine vagabundierenden Euros ein Hinweis auf den sorgfältigen Umgang der Ukrainer mit fremdem Geld. So hat allein Deutschland seit Beginn des Krieges 17 Milliarden Euro an militärischer Unterstützung, 6,7 Milliarden an ziviler Unterstützung und 1,7 Milliarden an den ukrainischen Staatshaushalt gezahlt. Weitere Milliardenbeträge allein für die militärische Unterstützung sind für 2026 geplant (ca.11,5 Milliarden Euro für Drohnen, Patriot – Flugabwehrgeräte und gepanzerte Fahrzeuge).

Angesichts dieser Beträge erscheint der lautstarke Vorwurf der Korruption mit einem Umfang von ca. 100 Millionen Euro zumindest nicht sensationell. Wenn er sich nicht ziemlich deutlich gegen den Präsidenten Selenskyj richten würde.
Im Sommer 2025 versuchte Selenskyj per Gesetz die im Wesentlichen von den Amerikanern und der EU ab 2015 initiierte Antikorruptionsbehörde seinem Weisungsrecht zu unterstellen und machte sich dadurch verdächtig.

Dazu muss man wissen, dass der Komplex der Antikorruptionbehörden aus einem Ermittlungsorgan, einer Staatsanwaltschaft und (vermutlich) einem Sondergerichtshof besteht, auf die weder die Regierung noch der Präsident Einfluss haben. Ich räume ein, eine so installierte weitere unabhängige Gewalt wirkt befremdend. Der Komplex wurde überdies von den USA, hier das FBI und der EU ab 2014 aufgebaut, ein Vertreter des FBI ist angeblich immer dabei. Vermutlich erfolgt auch die Finanzierung durch das FBI, niemand redet darüber. Sind die Behörden überhaupt wirklich unabhängig?

Bei der Bevölkerung wurde die Installierung der Antikorruptionsbehörde (NABU) und einer Sonderstaatsanwaltschaft dazu als ein Ergebnis der Maidanrevolution und als ein Sieg der Demokratie bejubelt.

Der Plan Selenskyjs, die Antikorruptionsbehörden sich zu unterstellen, scheiterte aufgrund heftiger Proteste aus der Bevölkerung und der Verbündeten, so auch Deutschlands, die mit der Einstellung der finanziellen Unterstützung drohten.

Jetzt erfährt die ukrainische Öffentlichkeit, dass die Antikorruptionsbehörden seit über einem Jahr bis in die engste Umgebung ihres Präsidenten ermitteln, sein verdächtiger und enger Freund Timur Minditsch hat sich schleunigst nach Ungarn abgesetzt.

Es war Präsident Selenskyj, der vor einem halben Jahr den laut angekündigten Plan Trumps, Russland die Krim und den Donbas gegen Frieden zu überlassen, ins Leere laufen ließ. Kein Quadratmeter Land würde dem russischen Aggressor überlassen werden, war die von Selenskyj gewählte Sprachregelung.

In der Ukraine ist die Korruption zu Hause. Laut dem Corruption Perceptions Index befindet sich die Ukraine auf Platz 105 von 180 Ländern, 90 Prozent der Ukrainer glauben, dass die Korruption weit verbreitet ist und hatten sich daran mehr oder weniger gewöhnt. Und jetzt die plötzliche Aufregung angesichts von Veruntreuungen in Höhe von ca. 100 Millionen Euro? 100 Millionen Euro, die angeblich gereicht hätten, um im Hinblick auf den bevorstehenden Winter und eine schon jetzt frierende Bevölkerung russische Angriffe gerade auf die Energieversorgung des Landes wesentlich einzuschränken?

Die USA haben einen sehr empfindsamen und nachtragenden Präsidenten. Nimmt es Herr Trump nicht hin, dass Präsident Selenskyj seinen Friedensplan für Osteuropa de facto behindert hat?
Sicherlich, doch ist es das bestimmt nicht alleine. Die USA wollen im Gegensatz zu Deutschland eine Zusammenarbeit mit Russland, das nicht den Chinesen überlassen werden soll. Inzwischen wird über erneute Verhandlungen zwischen den USA und Russland über die Beendigung des Krieges in der Ukraine berichtet.
Ich behaupte, dass sie am Widerstand des Präsidenten Selenskyj nicht scheitern werden.

Meine These: In der Übergangszeit des Wechsels zu einem anderen Präsidenten wird ein Friedensvertrag zwischen der Ukraine und Russland eine große Chance haben.

Interessant das Verhalten der Bundesregierung. Der Friedensplan des Verbündeten USA wird durch den Kanzleramtschef Thorsten Frei am 20.11.2025 als verstörend bezeichnet. Angebliche Militärexperten zerlegen ihn. Putin würde ja seine Kriegsziele erreichen.

Deutschland geht also das Risiko eines Konfliktes mit den USA unter Verzicht auf die es vor den Russen schützende Doktrin von der nuklearen Abschreckung ein? Mit einer Bundeswehr, die nicht kriegstüchtig ist? Ich glaube nicht an die Doktrin der nuklearen Abschreckung, dafür aber an eine NATO unter Einschluss der USA, die Russland schon deshalb nicht angreifen wird, weil sie ihr um ein mehrfaches überlegen ist.

Wenn die Kooperation mit den USA zugunsten einer bedingungslosen Unterstützung der Ukraine riskiert wird, dann wird die Installierung eines Gesinnungsmilitarismus für das „einfache Volk“ verständlich und der Krieg rückt näher.

Bildquelle: Pinterest

Wie hoffnungslos angesichts einer in Deutschland grassierenden Angst vor den Russen die Lage der Deutschen auch zu sein scheint. Den Deutschen bleibt die Hoffnung auf erfolgreiche Friedensverhandlungen der USA mit Russland. Oder auf einen Durchmarsch der AFD (wollt Ihr das?), die mit Trump im gleichen Schritt und Tritt die Beziehungen zu Moskau regelt. Oder das kleine Bündnis Sahra Wagenknecht (David gegen Goliath) mit seiner Strategie, die Wiederaufnahme der Ostpolitik im Sinne der Grundsätze über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa durchzusetzen, mit wessen Hilfe auch immer.

Reinhart Zarneckow

Von der Oder an den Rhein…

Der leidige Wechsel des Betriebssystems meines PCs führte mich (noch vor meinem Knöchelbruch) nach Frankfurt in die Lindenstraße. Aufgrund seiner guten Bewertungen hatte ich mir den Computer-Service Hemmerling ausgesucht und war überrascht, als ich in in unserem ehemaligen Fotoladen stand.
Damals hieß die Straße Oderallee. Nur die Hausnummer ist geblieben: 21.
Den Charme unseres Fotostudios hatten die Ladenräume nicht mehr. Ich spürte eine sachliche, tüftlerische, eher ungemütliche Atmosphäre und erzählte dem Inhaber, dass ich vor 36 Jahren hier in diesem Laden gestanden habe. Von der Vorgeschichte der Räume wusste er nichts. Aber in mir kamen Erinnerungen hoch.

Am 9. November 1989 hatten wir eine unserer beliebten Brigadefeiern. Dieses Mal sogar mit Fotografen der Zeitung „Neuer Tag“, der heutigen Märkischen Oderzeitung. Der Ehemann unserer Chefin war dort Fotograf. Wir arbeiteten öfter zusammen, kannten einige Kollegen und wollten einmal gemeinsam feiern.

Was wir damals noch nicht ahnten, es war die letzte Feier. Denn schon am selben Tag sah unsere Welt und die Welt Deutschlands durch den Mauerfall vollkommen anders aus.

Für Ausflüge und Betriebsfeiern gab es den Donnerstag, den Schließtag unseres Ladens. Wir beeilten uns, Aufträge für den nächsten Tag fertig zu stellen, um anschließend Speisen und Getränke für uns und unsere Gäste vorzubereiten. Gesprächsthemen an diesem Abend waren die Montagsdemos, die es auch in unserer Stadt gab und der Frankfurter Apothekerball vom vergangenen Wochenende (4.11.1989), zu dem meine Kollegin Dani und ich zum Fotografieren bestellt waren. Auf dem Ball in der Gaststätte Beckmannstraße herrschte eine merkwürdig angespannte, zugleich durchaus fröhliche Stimmung. An welchen Tisch ich auch kam, gesprochen wurde über die Großdemonstration in Berlin auf dem Alexanderplatz am selben Tag.

Alexanderplatz-Demonstration – Wikipedia
https://share.google/SoqrsjyS9PYlEAcUw

Die Atmosphäre damals überhaupt und so auch bei diesem Ball, weckte in mir das Gefühl, als wären sich alle einer glimmenden Lunte bewusst, die unaufhaltsam einem Sprengsatz entgegen brennt.

Unsere Feier am 9.11.1989 endete zu später Stunde. Ich wunderte mich, dass bei uns zu Hause noch der Fernseher lief. „Stell dir vor“, empfing mich meine Schwester, „die Mauer ist gefallen“. Ich lachte und fragte, wem sie das weis machen wolle. Camilla erzählte, was ich verpasst hatte. Ich war sprachlos. Wir verfolgten weiter die Fernsehbilder. Es fiel schwer, das Geschehen zu begreifen und als real anzunehmen.

Am nächsten Tag konnte ich es kaum erwarten, zur Arbeit zu gehen, die Feier und die Ereignisse des vergangenen Abends auszuwerten und zu spüren, ob sich an unserem Lebensgefühl etwas geändert hätte.

Erst einmal bescherten uns die Worte von Günter Schabowski, „nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich…“, viel Arbeit.

Einige Minuten vor Öffnung um 9.00 Uhr gingen wir gewöhnlich in den Laden, der zwei Häuser von unserer Werkstatt entfernt war. Selten standen zu dieser Zeit schon Leute vor der Tür. Am 10. November 1989 war alles anders. Wir erschraken, als wir sahen, was für eine riesige Schlange an Menschen sich bereits gebildet hatte. Noch blieben die Wartenden geduldig. Schlangestehen war ja Volkssport in der DDR. Aber der Westen mit seinen Möglichkeiten drängte! Den ganzen Tag über wollte der Ansturm nicht enden. Ausnahmezustand – Passbilder für Reisedokumente waren gefragt.

Wir arbeiteten immer zu zweit im Laden. Einer an der Kasse, der andere fotografierte im Atelier. Es ging an unsere Kräfte und unsere Studioblitzanlage lief heiß. Wir mussten sie hin und wieder für kurze Zeit ausschalten.

Kurz vor Ladenschluss um 18.00 Uhr baten wir, dass sich bitte niemand mehr anstellen solle. Vergeblich. Weit nach 18.00 Uhr sahen wir uns gezwungen, die Tür abzuschließen. Lauter, wütender Protest. Schließlich wurde unser Atelier durch den Hintereingang gestürmt. Es war beängstigend. Energische Rufe nach dem Kundenbuch (*1) wurden laut. Ich griff danach, warf es in die Menge und konnte dann sogar die Tür verschließen. Wie lange wir ausharren mussten, bis wir Feierabend machen konnten, weiß ich nicht mehr. Irgendwann zog auch der letzte Kunde ab.

Am nächsten Tag wurden beinahe alle Arbeiten zurückgestellt, weil fast die gesamte Fotoabteilung mit dem Entwickeln und Schneiden von Passbildern beschäftigt war. Sie wurden immer zum nächsten Tag fertig gemacht. Das wollten wir beibehalten, obwohl sich nebenan im Atelier schon wieder ähnliche Szenen wie am Vortrag abspielten. Wer in der Dunkelkammer für die Passbilder verantwortlich war, hatte eine stupide Arbeit zu erledigen und zum Feierabend Blasen an den Händen.

Jedes Bild musste am MD Kopierer einzeln belichtet werden.
Dazu wurde die Klappe des Kopierers geöffnet, das Negativ eingelegt, mit einer Maske der Ausschnitt gewählt, Fotopapier aufgelegt und die Klappe solange mit Druck geschlossen gehalten, bis die vorgewählte Belichtungszeit abgelaufen war. Hatte der Kunde vier Passbilder bestellt, wurde der Vorgang weitere dreimal wiederholt, bei acht Stück dementsprechend öfter.

Wieviel Passbilder wir in den Tagen nach dem Mauerfall auf diese Weise herstellten, kann ich nicht genau sagen, es waren tausende.

Einige Tage vergingen, bis sich der normale Atelierbetrieb wieder eingestellt hatte. In unseren Entwicklerbädern schwammen erste Fotos mit Motiven Westdeutschlands – dem Heidepark in Soltau, der Drosselgasse in Rüdesheim, dem Bodensee mit der Blumenwelt der Mainau, Schloss Neuschwanstein, den Bremer Stadtmusikanten. Aber auch das Ausland, Paris mit dem Eiffelturm und Amsterdam mit seinen Grachten, war dabei.
Die Menschen der DDR schwärmten aus, die Orte zu entdecken, von denen sie gehört und gelesen hatten, die in Gedichten und Liedern besungen wurden oder die sie aus früheren Zeiten kannten. Ganz vorn mit dabei die Loreley, die auf dem nach ihr benannten Felsen am Mittelrhein sitzt.

Nach dem Mauerfall wurde unser Mutterbetrieb, das Dienstleistungskombinat, „abgewickelt“. Die Chefin übernahm unsere Fotoabteilung und war nunmehr Unternehmerin. Von sechzehn Angestellten nahm sie vier mit. Auch mich. Für alle übrigen war das ein Schock und sie mussten sich neu orientieren, was in Anbetracht der zunehmenden Arbeitslosigkeit schwer war.

Am Abend unserer Brigadefeier hatte ein Fotograf des Neuen Tags seinem Kollegen und Freund gestanden, ihn jahrelang bespitzelt zu haben. Ein Gewissenskonflikt, der ihm zu schaffen machte und der beide an diesem Abend sehr still werden ließ.

Eine Zeitenwende? Ganz sicher. Hier passt das Wort. Für uns DDR-Deutsche jedenfalls. Erfüllte Hoffnung und offene Zukunft mit neuer Hoffnung. Ganz neue Möglichkeiten, aber auch Einschnitte, Unsicherheiten und Ängste…

Bettina Zarneckow



*1 Das Kundenbuch war in Geschäften und Gaststätten gesetzlich vorgeschrieben, um Beschwerden und Lob von Kunden zu sammeln. Es wurde von der Betriebsleitung, in besonderen Fällen sogar von der Bezirksleitung kontrolliert.

Habt Acht!

Das weltpolitische Geschehen weckt Erinnerungen an eine Zeit, in der die Jugendlichen der DDR auf Krisen- und Katastrophenfälle vorbereitet wurden.
In der 9. und 10. Klasse gab es eine vormilitärische Ausbildung. Auf dem Stundenplan stand auch das Fach Zivilverteidigung (ZV). Die Jungen mussten zudem in ein Wehrlager. Die Mädchen machten eine Sanitätsausbildung, was von Vorteil war. Der Nachweis darüber galt für den Führerschein.

Auch später in der Berufsschule gab es die Unterrichtsstunden ZV. Unser Lehrer für Fotochemie hatte seinen Grundwehrdienst geleistet und war Gefreiter. An unserer Berufsschule Fritz-Perlitz in Potsdam war er für den ZV-Unterricht zuständig.


Ich erinnere mich an seine Ankündigung, in der nächsten Stunde werde der Umgang mit der Gasmaske geübt. Nicht für jeden stand eine zur Verfügung. Es sollten sich deshalb Zweiergruppen bilden. Der Gummigeruch und die Vorstellung, wie viele diese Maske schon getragen hatten, bereitete mir mehr als nur Unbehagen. Meine Schulfreundin und ich planten, diese Unterrichtsstunde für uns vorzeitig enden zu lassen. Durch Täuschung eine Befreiung vom Unterricht zu erhalten, fiel mir nicht leicht. Mir wurde deshalb schon übel, bevor ich die Gasmaske aufgesetzt hatte. Erschrocken und genauso ratlos wie Professor „Schnauz“ in der Feuerzangenbowle schlug unser Lehrer vor, ich solle an die frische Luft gehen. Am besten gleich um die Ecke in die Poliklinik und natürlich in Begleitung. So hatten meine Freundin Heike und ich uns das vorgestellt. Ein kurzer Abstecher zur Poliklinik für den Nachweis meiner Unpässlichkeit und einem freien Nachmittag ohne Gasmaske im schönen Potsdam stand nichts mehr im Wege.


Meine nächste Berührung „militärischer Art“ hatte ich kurz nach abgeschlossener Berufsausbildung. Ein Offizier der NVA kam mit einer außergewöhnlichen Bitte in unser Fotogeschäft in der Oderallee.
Im Kasernengebäude der NVA im Stadtteil Frankfurt-Westkreuz, wo Truppenteile der NVA stationiert waren – logistische Einheiten und rückwärtige Dienste -, war ein Fotolabor eingerichtet worden. Neueste Technik und niemand wusste damit umzugehen. Der Offizier war auf der Suche nach jemandem, der einige Soldaten unterrichten konnte, angefangen von Materialkunde, dem Ansatz der Bäder, über die Filmentwicklung zum fertigen Bild.
Auf die Frage unserer Chefin, wer von uns das machen würde, meldete sich niemand. „Na, Betti“, wandte sie sich an mich, „das wäre doch etwas für dich.“
Was, ausgerechnet ich?! Ich war erschrocken, freundete mich aber mit dem Gedanken an, überwand mich und sagte zu. Eine kleine Nebeneinnahme, natürlich ordentlich abgerechnet, warum nicht?!
So trat ich meinen Dienst bei der Nationalen Volksarmee als Ausbilderin an.
Donnerstags hatten wir einen verkürzten Arbeitstag, weil unser Laden geschlossen blieb. Also wurde ich jeden Donnerstag pünktlich um 15.00 Uhr abgeholt. Ein Jeep fuhr vor mit Offizier und Fahrer, der Offizier hielt mir, damals gerade noch 18 Jahre alt, die Tür auf und los ging’s zur Kaserne. Meine beiden Begleiter gehörten zu der kleinen Gruppe, der ich die Abläufe und Handgriffe in einem Fotolabor erklären sollte. Jedesmal wurde ich gefragt, ob noch weitere Materialien nötig wären. Geld spielte offenbar keine Rolle. Was ich anforderte, stand in der nächsten Woche parat. Von Engpässen keine Spur. Ein tolles Gefühl!
Am Ende jeden Kurses wurde ich nach Hause gefahren. Inzwischen machte mir das Unterrichten Spaß und ich genoss den Chauffierservice. Nach wenigen Monaten war aber die Tätigkeit bei der NVA leider beendet. Meine Schüler beherrschten die Arbeitsschritte von der Filmentwicklung zum fertigen Bild, einschließlich Trocknung und Kantenschnitt.

Es wurde ein wenig unruhig in den folgenden Monaten. Das starre Gebilde der DDR schien ins Wanken zu geraten. Man hatte das Gefühl, die Partei- und Staatsführung wollte retten, was zu retten ist.
Ein tägliches Ritual bei der Arbeit war unser gemeinsames Frühstück.
An einer langen Tafel (wir waren 16 Kollegen) fanden monatlich Arbeits- und Brandschutzbelehrungen statt, für die jeder unterschreiben musste. Aufträge wurden verteilt, Klatsch und Tratsch ausgetauscht und es gab Mitteilungen außer der Reihe, wie diese:
Der Direktor unseres Mutterbetriebes, des Dienstleistungskombinats (DLK) in der Hafenstraße, hatte mitgeteilt, dass ein neuer Kollege in unsere Fotoabteilung kommt, so unsere Chefin. Das Merkwürdige daran, ihn hatte niemand angefordert. Wir waren ausreichend besetzt und so dachten wir uns unseren Teil. Er war weder Laborant noch Fotograf, half mal hier und mal dort. Jeder achtete ihm gegenüber auf seine Worte. Das waren wir gewöhnt, aber nicht innerhalb unseres Betriebes. Nun also ein Fremdkörper in unserer eingeschworenen Gemeinschaft?

Er war freundlich und versuchte in Gesprächen vieles in Erfahrung zu bringen. Wir blieben höflich und distanziert. Sein Dasein in unserer Abteilung war nicht mehr von Bedeutung und erledigte sich am 9. November 1989. Wir sahen ihn nie wieder, obwohl nun jede zusätzliche Hand hilfreich gewesen wäre, um die nicht enden wollenden Schlangen vor unserem Laden zu bewältigen. Passbilder für Reisedokumente waren gefragt. Aber davon ein andermal.

Bettina Zarneckow

Unsere Preise von damals für handgemachte
schwarz/weiß Passbilder:
4 Stück: 2,25 Mark
6 Stück: 2,50 Mark
8 Stück: 2,80 Mark
10 Stück: 3,10 Mark

The „German Angst“ vor Putins Russland – eine gefährliche Politik

Ich stelle mir vor, ich lebe im Jahre 2125 und schaue auf die deutschen Entscheidungen im dritten Jahr des Ukrainekrieges zurück:

Bei den alten Griechen wurde mit Kairos der rechte Zeitpunkt für eine Entscheidung verstanden.


Beim Bogenschießen handelt es sich um den Moment, in dem ein Pfeil mit ausreichender Kraft abgeschossen werden kann, um sein Ziel zu erreichen.

Der Historiker Hans Delbrück beschreibt, wie Deutschland im ersten Weltkrieg den rechten Zeitpunkt für einen Verständigungsfrieden verpasste (in: Ludendorffs Selbstpoträt, 1922).

Kardinal Pacelli, der 1939 zum Papst Pius XII. gewählt wurde, bot sich 1917 als Vermittler zwischen England und Deutschland an.

Die Engländer waren sich einig, dass Deutschland weder direkt noch indirekt die Vorherrschaft über Belgien erlangen dürfe. Das würde die deutsche Weltherrschaft (!) bedeuten.

Die Deutschen waren sich uneinig. Wenigstens auf Zeit sollte die Stadt Lüttich aus militärischen Gründen unter dem Einfluss Deutschlands bleiben, so Ludendorff. Andere waren bereit, ohne wenn und aber Englands „belgische“ Bedingungen anzunehmen, setzten sich aber nicht durch.
Die beiden friedenswilligen Länder schrammten laut Delbrück haarscharf an einer Verständigung vorbei.

Die Vermittlung durch Pacelli wurde eingestellt. Der Diktatfrieden von Versailles wurde nicht verhindert, übrigens begann auch der Zerfall des British Empire.

Die Ukraine und Russland haben im März 2022 ebenfalls den rechten Zeitpunkt für einen Verständigungsfrieden verpasst. Mit Ausnahme der Krim hätte die Ukraine wahrscheinlich in ihren alten Grenzen weiter existieren können – es hätte sich jedenfalls gelohnt, die Verhandlungen nicht mit dem Hinweis auf Kriegsverbrechen in Butscha, vermutlich auf Drängen von England und den USA, zu beenden. Ob über das Scheitern der Verhandlungen hinaus in 100 Jahren die Gründe dafür noch mehr als ein nichtssagendes Achselzucken hervorrufen werden, bezweifele ich.

Drei Jahre später bemühen sich die USA unter dem neu gewählten Präsidenten Trump um einen Verständigungsfrieden. Dahinter steht das amerikanische Interesse, zum richtigen Zeitpunkt mit vorteilhaften Beziehungen zu Russland und der Ukraine aus dem Krieg auszusteigen.

Bildquelle: Pinterest

Die Schilderung der erfolglosen Bemühungen der unglückseligen Koalition der Willigen, auch ohne die USA weitermachen zu wollen und die Ukraine mit vielen Milliarden Euro und den Waffen aus ihren Depots weiter im Verteidigungskrieg zu halten, genauso Kiews Bemühungen, NATO-Staaten direkt in den Krieg hineinzuziehen, wird in weiterer Zukunft bestenfalls ihre Promotion betreibende Akademiker bewegen.

Interessieren wird dagegen der Umstand, dass die irrlichternden Europäer das Dilemma verkennen, in dem sich die Präsidenten Selenskyj und Putin befinden.

Angesichts der Kiew geradezu aufgedrängten milliardenschweren Gelder würde Selenskyj politischen Selbstmord begehen, wenn er einen Verständigungsfrieden unter Aufgabe seines Siegesplanes und des Verlustes von umfangreichen Gebieten zulassen würde.

Und Putin fehlt offensichtlich das Vertrauen zu einer Verständigung auf Grundlage eines Waffenstillstandes, den er als eine Atempause für Kiew vor Wiederaufleben neuer Kämpfe ansieht. Er versteht den Krieg als einen Ringkampf (Clausewitz) und sieht nicht Russland, sondern die Ukraine näher am Boden.

Politikern wie Merz fehlt das Einfühlungsvermögen, sich in die Lage Putins und Selenskyjs zu versetzen, und so gelangen sie zur Entscheidung, die Ukraine bedingungslos zu unterstützen – Präsident Selenskyj befindet sich gewollt oder auch nicht in der Falle dieser europäischen Hingabe.

Wird in 100 Jahren noch interessieren, was Politiker wie Bundeskanzler Merz veranlasst hat, in ihrer Politik hin und her zu lichtern? Wie ein Zauberkünstler der Öffentlichkeit vorzugaukeln, einerseits den atomaren Schutz der USA bewahren und andererseits den Rückzug der USA aus dem Krieg durch eine bedingungslose Unterstützung der Ukraine konterkarieren zu können?

Wird interessant bleiben, dass Frau von der Leyen als Kommissionspräsidentin der EU bei der auf dem Trumpschen Golfplatz in Schottland verhandelten angeblichen Knebelvereinbarung über Zölle auf Waren aller Art (15% auf den Export in die USA, 0% bei Importen von dort, auf weitere Feinheiten muss ich aus Platzgründen verzichten) wie das Kaninchen auf die Schlange schaute und brav den Daumen nach oben streckte?

Das alles wird im Jahre 2125 niemanden mehr besonders erregen. Auch nicht die abgestandene Begründung für solche Willfährigkeit. Damit meine ich die schon vor den zwei Weltkriegen beschworene russische bzw. bolschewistische Gefahr aus dem Osten, die nach neuer Lesart nur von der Atommacht USA und nicht von Staaten wie Deutschland und Frankreich abgewehrt werden könne.

Dagegen wird bestimmt noch in hundert Jahren in Erinnerung bleiben, ob Deutschland angesichts der Umgestaltung der Welt durch eine neue Handelspolitik der USA und deren Rückzug aus Europa richtige Entscheidungen rechtzeitig treffen konnte.

Erinnert wird sicher werden, ob sich Deutschland dem Rückzug der USA aus dem Krieg in der Ukraine rechtzeitig angeschlossen hat. Keine schwierige Aufgabe, weil Deutschland jederzeit die militärische Unterstützung der Ukraine beenden kann. „Komplex“, weil es dann auch die Koalition der Willigen mit Frankreich und England verlassen muss, sofern sie nicht zerfällt.

Zurück zu den wichtigen Entscheidungen, die Deutschland rechtzeitig treffen muss.

Die USA haben mit einer die Staaten der ganzen Welt belastenden Wirtschafts – und Zollpolitik das Spiel Einer gegen Alle aufgenommen.
Wird Deutschland akzeptieren können, dass die USA offenbar ungeachtet der immer noch wichtigen transatlantischen Beziehungen und der gemeinsamen Zugehörigkeit zur NATO allein auf der anderen Seite spielen will und nicht mehr der freundliche Hegemon ist?

Deutschland als drittstärkste Wirtschaftsmacht der Welt wird sich also angesichts der Amerika-first-Politik rechtzeitig entscheiden müssen, die wichtigsten Staaten einschließlich Russlands mit seinen Rohstoffen wie seltene Erden, Erdgas und Öl als Handelspartner und Investitionsmarkt zu gewinnen, um so von den USA unabhängig und eine starke Wirtschaftsmacht zu bleiben.

Genau deshalb wird es die auf dem Trumpschen Golfplatz getroffenen Vereinbarungen so weit wie möglich „um des lieben Friedens willen“ einhalten.

Bleibt noch die von Politikern wie Kiesewetter über Klingbeil bis Merz angeheizte „German Angst“ vor den Russen, die gegenwärtig Deutschland auslaugt – Zahlungen an die Ukraine in Höhe von 9 Milliarden Euro in 2026, Zahlungen an die USA inform von Investitionen, Zollgebühren und für Waffenlieferungen an die Ukraine, Erhöhung des Verteidigungshaushaltes auf über 83 Milliarden Euro in 2026, Bürgergeld für die Ukrainer u.s.w.

Da entschieden worden ist, Deutschland aufzurüsten, sollten die Regierenden damit aufhören, Angst und Schrecken vor den Russen zu verbreiten. Die kostspielige Wiederherstellung der von der Regierung Merkel zugunsten der Interventionsfähigkeit (Afghanistan) aufgegebenen Verteidigungsfähigkeit soll Deutschland doch schützen, ansonsten sollte Deutschland es sein lassen. Die Russen sind schon jetzt nach den Aussagen seriöser Militärexperten wie Wolfgang Richter (Oberst a.D. und Associate Fellow beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik) und Prof. Dr. Varwick nicht fähig, NATO-Staaten mit dem Ziel der Vernichtung ihrer Streitkräfte anzugreifen oder auch nur die Streitkräfte der Ukraine auf die Schnelle von nunmehr drei Jahren zu überwinden.

Der von der Union, der SPD und den Grünen, genauso aber auch von der AFD gehuldigte Gesinnungsmilitarismus – ein weites Feld, auf das ich hier nicht eingehen kann – schadet Deutschland, weil er die Erfüllung lebenswichtiger Aufgaben wie Migration, Bildung bis zum Ausgleich von Klimaschäden behindert.

Die Ukraine wird, wenn sich die USA und Deutschland aus dem Krieg in der Ukraine mit Bedacht ausklinken, ihren Frieden mit Russland finden (müssen). Sie hat dann auch nach innen alle Voraussetzungen dafür, als die schwächere Seite Russland einen Erfolg versprechenden Vorschlag für Verhandlungen zu unterbreiten.

Deutschland hat mit Minsk 2, der Hinnahme des Terroranschlages auf die Pipelines Nordstream und der Aufnahme von nicht wenigen ukrainischen Flüchtlingen seine Schuldigkeit getan.

Reinhart Zarneckow

Gepokert, verloren und dennoch nicht am Ende?


Wolodimir Selenskyj wird sehr allein sein.

Quelle: pinterest

Die Aufregung der achso schlauen und nunmehr von den Ereignissen völlig überraschten Politiker der sogenannten demokratischen Parteien über die Behandlung von Präsident Selenskyj im Weißen Haus beruht auf einer nicht zu verzeihenden Naivität. Sie ist zudem heuchlerisch. Warum wird immer noch nicht verstanden, was los ist und uns alle bedroht?

Schon Biden hatte einige Zeit vor der Invasion der Russen am 24.2.22 erklärt, dass die USA keinesfalls die Ukraine im Falle eines Krieges mit Soldaten unterstützen würden. Waffen und Geld ja, Soldaten nein.
Die schon in der Ukraine vorhandenen amerikanischen Ausbilder, von 4000 Soldaten ist die Rede, wurden nach der Invasion der Russen schleunigst aus der Ukraine abgezogen.
Herr Trump, aus seiner Sicht überdies zukünftiger Friedensnobelpreisträger, sieht das wie Biden.

Der überall bejubelte Wolodimir Selenskyj hat am Freitag dieser Woche versucht, für die Ukraine eine Sicherheitsgarantie vor einem Angriff der Russen bei dem Dealer Trump durchzusetzen.

Bei seinem gestrigen Besuch im Weißen Haus wollte er die Unterzeichnung des Vertrages über die Verwertung von Rohstoffen dafür benutzen. Die Entscheidung der USA, nach einem Waffenstillstand Kiew im Falle eines vertragsbrüchigen Angriffs der Russen weiterhin nur mit logistischen Leistungen, Geld und Waffen, nicht aber Soldaten zu unterstützen, sollte von Trump aufgegeben werden.
Selenskyj wollte die Ukraine in eine starke Verhandlungsposition bringen. Eine listige Zugabe besonderer Art: Alles sollte noch vor den weiteren Verhandlungen der USA mit Russland fix sein.

Selenskyj reichte es verständlicherweise nicht aus, den Vertrag zu unterzeichnen, um dann darauf vertrauen zu müssen, dass für die Amerikaner vielleicht wirtschaftliche, die Ukraine schützende Interessen entstehen würden. Von Russland also zu beachtende amerikanische Interessen. Solche, die darüber hinaus bei den bevorstehenden Verhandlungen mit Russland von den USA, leider wieder ein vielleicht, eingebracht werden würden.

Er wollte mehr, eine Sicherheitsgarantie der USA vor Beginn der Verhandlungen, um die Ukraine so in eine starke Verhandlungsposition gegenüber Moskau zu bringen. Mit der listigen Zugabe einer Perspektive möglicher langwieriger Verhandlungen (Modell Minsk 2 ?) und ihres Scheiterns. Wobei ihr Aus wie schon im Fall des gescheiterten Friedensvertrages Minsk 2 von allen Beteiligten einschließlich den USA hingenommen werden müsste. Die Sicherheitsgarantie für die Ukraine würde angesichts einer der Ukraine zugewandten amerikanischen Öffentlichkeit bestehen bleiben, so der Plan Selenskyjs und seiner schlauen Berater.

Bei dem angeblich erfolgreichsten Dealmaker der Welt Trump konnte der Plan nicht funktionieren.
Er wäre in eine Abhängigkeit von der Ukraine geraten. Wer investiert bei einer unsicheren und unklaren Lage der Ukraine in den Trumpschen Deal, dem Abbau wertvoller Rohstoffe, in Abhängigkeit vom Ausgang der Waffenstillstandsverhandlungen? Angesichts langwieriger Verhandlungen, die jederzeit durch eine nicht gerade zuverlässige Ukraine mit einem Nein beendet werden können. Da sollten doch von Trump private Investoren gewonnen werden, vielleicht seine befreundeten Milliardäre und nicht Investitionen aus dem nach Musk vor der Pleite stehenden Staatshaushalt erfolgen. Trump und nicht Selenskyj musste das letzte Wort behalten.

Vor allem aber scheut Trump wie auch Biden nach den Erfahrungen von Afghanistan die Gefahren eines Krieges. Manche haben es schon vergessen. Es war Trump, der in seiner ersten Amtszeit Verhandlungen mit den Taliban aufnahm, die Biden fortsetzte und die zum chaotischen Abzug der Amerikaner und auch der Deutschen führten.

Derzeit erlebt die hochmoralistische Welt die gleiche Prozedur im Falle der Ukraine, Berlin wird das hoffentlich schneller als Frau Merkel im Falle Afghanistan begreifen.

Trump hat das Vorgehen seines Kollegen Selenskyj bei dem Besuch im Weißen Haus am letzten Freitag offenbar in doppelter Hinsicht als Erpressung inszeniert, den Plan Selenskyjs gleichsam umfunktioniert.
Zum einen war in dem Vertrag, zu dessen Unterzeichnung Selenskyj geladen worden war, trotz intensiver Verhandlungen von einer Sicherheitsgarantie offenkundig keine Rede. Zum anderen beließ es Selenskyj nicht dabei, eine Ergänzung der Vereinbarung in einem Gespräch unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu besprechen. Vielmehr glaubte er offenbar, die amerikanische, Russland mehrheitlich feindlich gesinnte Öffentlichkeit einspannen zu können. Um Trump gleichsam vor den Journalisten und den Fernsehkameras in den „Schwitzkasten“ zu nehmen. Um so die Sicherheitsgarantie vom überraschten Trump zu erzwingen. Die dann auch angesichts einer mit Selenskyj sympathisierenden amerikanischen Öffentlichkeit nicht mehr aufzuheben gewesen wäre. Ein toller Plan des Teams Selenskyj.
Zumindest wäre die Lage in Osteuropa bei einem Scheitern des Planes mehr als fragil. Gegen eine Zurückhaltung der westeuropäischen Staaten würde noch einiges mehr sprechen.

Das Ergebnis ist bekannt, Trump ließ ihn einfach stehen. Selenskyj verließ wohl nicht ganz freiwillig nach einer Wartezeit von 50 Minuten das Weiße Haus.

Leider belassen es die Politiker von Westeuropa und unseren angeblich rein demokratischen Parteien nicht dabei, die weitere Entwicklung in den vermutlich nur zeitweilig belasteten Beziehungen der Ukraine zu den USA mit Teilnahme zu beobachten. Um dann bei sich bietender Gelegenheit der Ukraine zu helfen und eigene Interessen durchzusetzen.
In Deutschland beherrscht das aufgebrachte Geschrei einiger Politiker und Experten die mediale Szene. Viele denken sich misstrauisch und besorgt ihren Teil.
Die USA hätten die Seiten gewechselt, hier die tapfere Ukraine und Europa, da Russland und die USA. Einige Experten beginnen mit ernster Mine die Stärken Europas aufzuzählen. Kriegstüchtigkeit wird zum Gebot der Stunde. Die Forderung der USA, dass Europa sich gefälligst mit Geld, Waffen und „Friedenstruppen“ um die Ukraine zu kümmern habe, scheint eine eigene, mir Sorgen machende Dynamik zu entwickeln.

Herr Merz steht gleichsam Gewehr bei Fuss, selbst anzutreten ist weder ihm noch den vielen Gesinnungsgenossen aus Alltersgründen möglich, von den nunmehr gewendeten ehemaligen Wehrdienstverweigern garnicht zu reden. „Angeblich“ steht Merz Gewehr bei Fuss, daran versuche ich noch zu glauben.

Tatsächlich ist die Ukraine ohne die Starlink-Satelliten von Musk zu Wasser und zu Lande blind, von anderen Leistungen der USA nicht zu reden. Das kriegerische Gerede mancher Politiker ist leichtsinnig und gefährlich für Deutschland. Ohne die USA läuft gar nichts, die wirklichen Experten wissen das.
Aufgabe der Deutschen sollte es deshalb nicht sein, die gescheiterte Politik der Ukraine zu unterstützen und sie stark zu reden.
Vielmehr sollte Europa die Ukraine auffordern, sich mit Russland wie von den USA angestrebt auf einen Waffenstillstand zu verständigen.

Wie es auch gedreht und gewendet wird, Deutschland braucht Zeit für die Bildung zwar starker, keinesfalls aber „koste es was es wolle“ Verteidigungskräfte.

Sofort sollte das Mögliche, die offenbar für viele Politiker angesichts der Not der Ukrainer nicht mehr so brennenden Probleme wie Wirtschaftskrise und Migration angegangen werden.
Die Ukraine muss akzeptieren, keines ihrer Ziele, die da heißen, noch vor einem Waffenstillstand müsse der letzte russische Soldat die Ukraine verlassen haben, Russland zahlt Reparationen, russische Kriegsverbrecher werden vor Gericht gestellt, erreichen zu können.

Deutsche Politiker sollten es sein lassen, den Ukrainern anderes vorzugaukeln.

Reinhart Zarneckow

Wirre Gedanken zur Ukraine?

Die Ukraine wird bald einen neuen Präsidenten haben.

Das Ziel aller NATO-Staaten, Russland politisch zu isolieren, wurde zu keinem Zeitpunkt erreicht.
Die USA mit Trump haben das anerkannt. In Riad wurden in dieser Woche Verhandlungen zwischen den USA und Russland aufgenommen.

En passant haben die USA in arroganter Weise der Ukraine und Europa reinen Wein eingeschenkt. Keine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO, Kiew müsse auch Gebietsverluste einplanen. Präsident Selenskyj habe drei Jahre Zeit gehabt, sich mit Moskau zu verständigen. Ich übergehe weitere Einzelheiten. Zu einer für die Ukraine akzeptablen Lösung scheint es Stand jetzt nicht zu reichen.
Achso, die Ukraine soll angeblich die bisherige Hilfe in Höhe von ca. 500 Milliarden Dollar den USA oder vielleicht auch nur den Milliardären Trumps durch die Überlassung wertvoller Rohstoffe erstatten.

Sollte Deutschland deshalb die Ukraine nicht nur mit Geld und Waffen, sondern vielleicht sogar mit Soldaten unterstützen? Und das in naher Zukunft und nicht in Abstimmung mit den USA? Ende der transatlantischen Gemeinschaft? Deutschland nimmt (erstmalig?) seine Interessen selbstbestimmt und gerade aus diesem Anlass unabhängig von den USA wahr?

Union, Grüne und SPD formulieren das Dilemma der Deutschen so: Die Europäer müssen die Ukraine in die Lage versetzen, einem Diktatfrieden, vermittelt von den USA, ein Nein entgegen zu stellen. Diktatfrieden? Sind damit die Bedingungen der Russen gemeint – keine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO, die bisher besetzten vier Oblasten und die Krim bleiben bei Russland?

Wird Deutschland die Ukraine unterstützen, seine eigene wirtschaftliche Existenz damit weiterhin gefährden und Russland als Feind behandeln? Obwohl die russischen Forderungen an den von Deutschland und Frankreich im Jahr 2014 moderierten und von der Ukraine gekündigten Friedensvertrag Minsk 2 anknüpfen? Nunmehr allerdings, nach drei Jahren Krieg, mit hohen Verlusten auf beiden Seiten und einem zu vermutenden Mehr an Forderungen seitens der Russen?
Oder unterstützt Deutschland besser doch wie immer im gleichen Schritt und Tritt die USA bei ihren Bemühungen, sprich Rückzug aus dem Krieg in Osteuropa, und lässt Selenskyj mit seinen Plänen im Stich?

Ein kurzer Rückblick.
Wurde Deutschland über die einseitige Beendigung von Minsk 2 im Frühjahr 2021 durch Herrn Selenskyj vorher wenigstens konsultiert ? Gleiches gilt für den Abbruch der Friedensverhandlungen im März 2022 durch Kiew oder die Zerstörung von Nord Stream 2 oder die Umstände der Ausladung des unglückseligen Bundespräsidenten Steinmeier am 9. April 2022 – die Bundesregierung schweigt sich darüber aus, viele glauben es je nach Fasson dennoch so oder anders zu wissen. Die Ukraine betrachte sich als souveränen Staat und sei den Deutschen gegenüber nicht rechenschaftspflichtig, da dürfe nicht tiefer „gebohrt“ werden, eine Meinung haben aber immer mehr Deutsche.

Die Welt ist sich zwar einig, dass Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine völkerrechtswidrig überfallen hat. Wie es dazu kommen konnte, bleibt aber vor der Öffentlichkeit im Verborgenen, weil der völkerrechtswidrige Überfall der Russen als Schranke jede offene Diskussion in den öffentlichen Medien verhindert. Dennoch wird immer mehr in den sozialen Medien über das „Wie“ diskutiert.

Bisher und vermutlich auch weiterhin gilt bei den alten Parteien das Dictum, der Aggressor Russland darf nicht belohnt werden, Russland bedrohe im Falle seines Sieges, NATO hin oder her, früher oder später ganz Westeuropa. Deshalb unterstütze Deutschland im Eigeninteresse die Ukraine solange wie es von Kiew für nötig angesehen wird.

Oder hat sich etwas geändert, seitdem die USA darauf verzichten, der Ukraine zum Sieg auf Grundlage der Siegesformel Selenskyjs zu verhelfen? Lassen die USA wie seinerzeit Südvietnam oder Afghanistan nunmehr nicht nur die Ukraine, sondern auch Westeuropa im Stich? Nichts dergleichen, meint offenbar Präsident Trump, wenn die Ukraine auf ihre sowieso hinfällige Siegesformel verzichtet. Genau das ist das vom Präsidenten Selenskyj zu lösende Problem.

Zur Erinnerung hier die von Trump verworfene Siegesformel, verkündet von Herrn Selenskyj zuletzt im letzten Herbst: Vor Beginn von Verhandlungen muss der letzte Russe die Ukraine einschließlich der Krim verlassen haben, Russland zahlt Reparationen, die russischen Kriegsverbrecher werden vor Gericht gestellt.

Diese Siegesformel hat für Washington keine Bedeutung mehr. Wie halten es die Union oder die SPD mit ihr? Gilt weiterhin für die Europäer der Spruch, die Ukraine muss siegen? Und dann wie und mit welchem Ziel? Ich kann nicht glauben, dass Deutschland gerade jetzt erstmalig auf Distanz zu den USA geht.

Das faktische Aus der Siegesformel wird von den aufgeregten und peinlich berührten europäischen Politikern heuchlerisch geheim gehalten. Einzelheiten werden offenbar wegen der Bundestagswahlen nicht genannt. 700 Milliarden Euro aus Deutschland sollen Kiew innerhalb eines noch geheim gehaltenen Zeitraumes erreichen, damit die Ukraine aus einer starken Verhandlungsposition einen von den USA und Russland ausgehandelten Friedensvertrag ablehnen kann, so angeblich unsere Außenministerin vor wenigen Tagen auf der Münchener Sicherheitskonferenz.

Mir erscheint das alles unrealistisch und lediglich vorgegaukelt, ich kann einen solchen Unfug nicht glauben. Führen die alt gewordenen demokratischen Parteien Deutschland an den Abgrund, um die AfD zu verhindern? Oder glauben sie wahrhaftig, dass die USA den Russen Europa zum Fraß vorwerfen werden, wenn der Krieg in Osteuropa endet? Warum sollte Europa auf Distanz zu den USA und eigene abenteuerliche Wege gehen?
Wäre das nicht die eigentliche Gefahr für Europa, wenn die Behauptungen über die gefährlichen Visionen Wladimir Putins im Geiste Peter des Großen stimmen sollten? Was hat aber Peter der Große Deutschland angetan?

Tatsächlich und glücklicherweise für alle ist zum Verschleiern die Stunde von Experten neuen Typs gekommen, die zunächst dringend von einer solchen von Frau Baerbock angekündigten Geldvernichtung abraten werden. Und vielleicht sind die AfD und das BSW die Vorhut, damit die sogenannten demokratischen Parteien einknicken und endlich endlich laut und vernehmbar auf Distanz zu Selenskyjs Siegesformel treten können. So findet dann sogar zusammen was zusammengehört.

Um Kiew mit seinem Präsidenten Selenskyj wird es einsam werden, die Welt ist ungerecht.

Die Ukraine sollte sich deshalb in Abstimmung mit den USA auf einen Frieden einstellen, der für beide Seiten mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringen muss. Mehr war von Anfang an nicht drin – Minsk 2 hätte vollzogen werden müssen, jetzt kommt es schlimmer. Die böse Frau Merkel befindet sich im Ruhestand und kann nicht helfen.
Und Deutschland wird nicht wegen der wenig vertrauenswürdigen Ukraine seine wichtigen Beziehungen zu den USA gefährden. Vielmehr wird es seine Verteidigungsfähigkeit stärken und seine Beziehungen zu Russland schleunigst revidieren, genau dies Herrn Selenskyj mitteilen und auf jegliche Versprechungen weiterer Hilfe an Kiew vorerst verzichten.
Ansonsten steigt die Gefahr eines Krieges für ganz Europa. Die USA sind weit weg, Front gegen die USA und Russland in der causa Ukraine zu machen, wäre mehr als nur eine Dummheit.

Für die selbstlosen, nein edlen Unterstützer des Präsidenten Selenskyj ein kleiner Hinweis: Wenn die USA nicht mehr mit ihren Muskschen Satelliten die Logistik liefern, wird die Ukraine blind sein und vom bösen Feind früher oder später „überrollt“ werden.

Vergessen Sie also nach diesem Einschub alles, was ich bisher geschrieben habe. Es ist simpel, die USA können machen was sie wollen.

Millionen Ukrainer werden ihr Land verlassen und zu Freunden und Verwandten auch nach Deutschland ziehen, das könnte das Ergebnis der Fortführung einer sturen deutschen Politik sein.
Wir werden dann etwas zusammen rücken müssen. Deutschland hat das schon 1945 mit Millionen von Flüchtlingen aus dem Osten erlebt und wird sich weiter verändern, vielleicht sogar zu seinem Vorteil. Es könnte unruhig werden in unserem Land, die AFD steht bereit, das BSW auch.

Und die Stunde des ukrainischen Präsidenten Selenskyj hat geschlagen, weil er kein Fortune hat.

Reinhart Zarneckow

Mittendrin

Begegnungen in Frankfurt

Zielgerichtet mit energischem Schritt kam ein Mann wuchtiger Statur auf mich zu. Sein Gesicht war grimmig. Sein Äußeres ein wenig ungepflegt. In mir breitete sich Unbehagen aus und die Ahnung, dass er eher keinen Flyer oder Kugelschreiber von der Partei wollte, für die ich im Zentrum Frankfurts hinter dem Wahlstand stand.
Und mein Mann, wo war er in diesem Moment als ich ihn wieder einmal dringend brauchte?
Er schlenderte gut gelaunt einem Smalltalk am entfernten Wahlstand der Linkspartei entgegen.

Nur noch der Tisch mit den Werbeutensilien trennte den Mann und mich, der nun seinen gesamten Ärger über mich und meinesgleichen, verquickt mit seinen politischen Überzeugungen, lautstark auf mich niederprasseln ließ.

Zur Erklärung:
Im Dezember 2023, am selben Tag, als Herr Scholz die bedingungslose Unterstützung der Ukraine auf seine Agenda setzte und Herr Pistorius die Versetzung Deutschlands in Kriegstüchtigkeit als sein Ziel benannte, schrieb Reinhart nach dreiunddreißig Jahren Zugehörigkeit zur SPD seine Austrittserklärung.

Im Januar lud er zusammen mit Christian Gehlsen, einem Theologen aus Frankfurt, zu einem Bürgerforum ein zum Thema: ‚Was muss geschehen, dass wieder eine bessere demokratische Kultur in unserem Land herrscht, wie gelingt es uns, miteinander zu sprechen?‘
Wer am weiteren Austausch interessiert war, meldete sich im Anschluss per Mail bei Reinhart. So entstand eine kleine Gruppe, deren vornehmliches Ziel es war und ist, die Friedenspolitik des BSW zu unterstützen.

Christian Gehlsen und unsere Moderatorin Katrin Stoll-Hellert
Reinhart beim Bürgerforum


Politische Partizipation ist die Grundlage unserer Demokratie, heißt es.
Mit dieser Intention standen wir nun auf der Straße, sammelten Unterschriften für die Wahlzulassung des BSW, verteilten Flyer, brachten Plakate an und halfen bei der Organisation eines Auftritts von Frau Wagenknecht in Frankfurt.

Eine politische Diskussion möchte ich hier gar nicht beginnen, sondern von meinen Erlebnissen berichten.

Während Reinhart in meinen Augen der geborene Politiker ist, seine Großmutter ihm gar eine Karriere als Außenminister ans Herz legte, liegt mein Interessengebiet doch eher woanders.
Aber in Zeiten der Digitalisierung und anderer Herausforderungen sah ich meine Aufgabe, meinen Mann zu unterstützen.
So war ich an fast allen Initiativen und Unternehmungen beteiligt. Schließlich geht es mir auch um Frieden und um eine Rückkehr Deutschlands nicht nur zu diplomatischer Außenpolitik.

Zurück zu dem Passanten, dessen Aggressivität mich nicht etwa einschüchterte, wie ich es von mir erwartet hätte. Nein, seine feindselige, lautstarke, wirre Argumentation, gespickt mit selbst mir bekannten Totschlagargumenten, ließ mich innerlich auf die Barrikaden steigen und verlieh mir den Mut und ein wenig die Möglichkeit, politisch zu argumentieren.

Bevor er auftauchte, hatte sich eine ältere Dame zu mir gesellt: „Über Politik möchte ich mich mit ihnen gar nicht unterhalten“, sagte sie, „ich möchte ihnen nur ein wenig Gesellschaft leisten und vor allem beistehen, wenn sie hier so ganz allein auf der Straße stehen.“ Sie erzählte mir aus ihrem Leben, hatte früher im Halbleiterwerk gearbeitet und berichtete von einer Kollegin, die ihr eines Tages eine auf ihren Arm tätowierte Häftlingsnummer aus dem KZ zeigte.
Den Tränen nah, hielt die etwa 1,50 Meter große, zarte Frau an meiner Seite dem Unbekannten und seinem Gebrüll stand, bis endlich Reinhart von seiner Stippvisite am benachbarten Wahlstand zurückkehrte und den wutschäumenden Frankfurter Bürger übernahm.

Im Gegensatz zu einigen anderen Besuchern, die sich zwar nicht „bekehren“ ließen, sich aber im Anschluss an eine Unterhaltung mit Reinhart bei ihm bedankten, sich zum Nachdenken angeregt fühlten und doch einen Flyer mitnahmen, war hier ein weiterer Austausch sinnlos und ihn abzubrechen aus gesundheitlichen Gründen mehr als geboten.
Genau wie ich, musste sich die ältere Dame kurz erholen nach diesem „Gewitter“, das über uns hereingebrochen war.
Wir verabschiedeten uns sehr herzlich voneinander.

Man erlebt viel, wenn man sich auf eine derartige „Mission“ begibt. Viele nette Gespräche, verzweifelte Menschen, unentschlossene Menschen, Menschen mit genauen Vorstellungen, fragende und belehrenwollende Menschen. Menschen, die man aus dem Auge verloren hatte, früher Kunden im Laden waren, in dem ich lange gearbeitet habe. Polnische Nachbarn, interessierte Schüler und Studenten und Gruppen männlicher, offenbar aufgabenloser Migranten, wie ich sie in dieser Menge in meiner Heimatstadt nicht vermutet hatte. Man hört die Klage ängstlicher älterer Damen, die sich nicht mehr trauen, einen Parkspaziergang zu machen oder dort zu verweilen, weil zu viele ausländische Bürger die Bänke und Plätze belagern. Ich habe aber auch einen Lehrausbilder erlebt, der vom Eifer einiger Migranten, deren Wissbegierde und ihrer Lebensplanung hier in Deutschland schwärmte.

Reinhart im Gespräch mit einer syrischen Gymnasiastin

Wir haben mit allen gesprochen, die an einem Austausch interessiert waren. Auch mit Anhängern der AfD und mit ihren Vertretern, die zeitweise ihren Wahlstand direkt neben uns hatten.
Was mich und mein politisches Engagement betrifft, so wurde ich einfach im Strudel mitgerissen. Ich habe mich zwangsläufig mit Themen beschäftigt, die weniger in meinem Blickfeld lagen und dabei gemerkt, dass ein Tag mit Gesprächen mit mir unbekannten Menschen zu einem ganz besonderen und schönen werden kann. So wie dieser Tag, an dem mir die zerbrechlich wirkende ältere Dame Beistand geleistet hat, was mich bis heute rührt.


Ein wenig betroffen war ich am Ende unseres Brandenburger Wahlkampfes anno 2024 von dem Verhalten eines Menschen, dem ich mich verbunden fühle. Seine Frau hatte offenbar beobachtet, wie ich ein Wahlplakat in seiner Wohngegend anbrachte, kam erst mit dem Auto näher und brauste plötzlich davon. Im Wegfahren erkannte ich den Wagen. Wenig später erhielt ich einen Zeitungsartikel von ihm per WhatsApp. Belehrend und über den Dingen schwebend äußerte sich Wolf Biermann darin zum BSW.
Er statuierte: „Die, die zu feige waren in der Diktatur, rebellieren jetzt ohne Risiko gegen die Demokratie. Den Bequemlichkeiten der Diktatur jammern sie nach, und die Mühen der Demokratie sind ihnen fremd.“
Und das mir! Ich knüpfte doch gerade voll Mühe, auf einer Leiter stehend, ein Plakat an einen Laternenpfahl!

Reinhart berührte Biermanns Denunziation angeblich nicht: „Nach der Vertreibung aus seinem besseren Staat ist er nun zum Waschlappen mutiert, den niemand braucht,“ kommentierte er. Ah ja, da hatte sich mein Mann dem Niveau des Liedermachers angepasst. Mir war der Wanderer zwischen den Welten sowieso fremd.
Die Würdigung der Ausführungen Biermanns durch den Absender des Artikels als „analytische Schärfe“, lässt mich staunend zurück.


Bettina Zarneckow

Mitteleuropa

„Der lange Weg nach Westen“ – unter diesem Titel hat Heinrich August Winkler vor einem Vierteljahrhundert eine zweibändige Geschichte Deutschlands veröffentlicht. Er erzählt anschaulich das Auf und Ab der Herausbildung des deutschen Nationalstaats. Er beschreibt die Alternativen zwischen einer klein- oder einer großdeutschen Lösung, die Zerrissenheit Deutschlands im Spannungsfeld von Großmächten in der nördlichen, östlichen und westlichen Nachbarschaft, Schweden, Russland und Frankreich, die konfessionelle Spaltung, ökonomische und bündnis- und parteipolitische Turbulenzen, Nibelungentreue und Großmachtphantasien. Am Ende, so suggeriert der Titel, kommt die deutsche Geschichte zum Ziel. Das Land ist nun eingebunden in den Westen.

Zweifellos kann man die deutsche Geschichte in dieser Meistererzählung schildern. Und ebenso kann man sich über dieses Ziel eines von Verirrungen, Abgründen und Opfern belasteten historischen Weges durchaus freuen. Einerseits. Eine innere Unruhe bleibt. Geschichte verläuft nicht zielgerichtet. Sie folgt auch nicht irgendwelchen Gesetzmäßigkeiten, höchstens dem Gesetz der Wiederholung. Leider. Wichtiger ist mir aber die Frage, ob Deutschland mit all seinen Prägungen und Erfahrungen den Platz für seine Verantwortung am Ende dieses langen Weges nach Westen dort wirklich gefunden hat.

Beim Nachdenken darüber geht mir ein Buch mit dem Titel „Mitteleuropa“ nicht aus dem Sinn. Ein erstes Mal bin ich darauf aufmerksam gemacht worden von Walter Romberg, später der letzte Finanzminister der DDR im Kabinett von Lothar de Maiziere. Ich habe mit ihm mehrere Jahre in einer Arbeitsgruppe des Kirchenbundes zusammengearbeitet. In der Umbruchszeit vor und nach 1989 regte er an, über das Programm „Mitteleuropa“ neu nachzudenken, in ganz loser Anbindung an Friedrich Naumanns Buch aus dem Jahr 1915. Die Überlegungen haben sich im Strudel der Ereignisse verlaufen, ich habe den Kontakt zu Romberg schon lange vor seinem Tod verloren. Ich glaube nicht, dass er an der konkreten Füllung des Konzeptes „Mitteleuropa“ im Buch von Naumann besonders interessiert war oder ihr gar zugestimmt hat. Aber die Frage hat ihn umgetrieben: Ist Deutschlands Platz im Westen oder nicht doch besser in Mitteleuropa, wenn es dem gerecht werden will, was von ihm erwartet werden kann?

Über Friedrich Naumann und sein Buch kann man sich sehr gut informieren in einer spannenden Darstellung von Leben und Werk des Politikers und Publizisten aus der Feder von Theodor Heuss. Sie ist 1937 erschienen und, wie der Verfasser schreibt, Erfüllung einer inneren Verpflichtung dem 1919 verstorbenen Freund gegenüber. Nebenbei: das Buch von Heuss ist beeindruckend – sachlich, differenziert, frei von jedem Pathos oder geklitterter Geschichtsdarstellung, wie man sie eigentlich erwarten musste im Erscheinungsjahr. Nach dem Krieg veröffentlichte Heuss eine zweite, nahezu unveränderte Auflage.

Naumann, 1860 als sächsischer Pfarrerssohn geboren, studierte Theologie in Erlangen und Leipzig und fand seinen beruflichen Weg zunächst als Pfarrer im Umkreis der kirchlichen Sozialarbeit, inspiriert von Johann Hinrich Wichern, später vor allem von Adolf Stöcker und dem Evangelisch-Sozialen Kongress. Schrittweise löste er sich vom Pfarramt und wurde zum politischen Publizisten, bald selbst auch zum einflussreichen Sozialpolitiker. Er war Gründer und langjähriger Schriftleiter der „Hilfe“, die später von Theodor Heuss herausgegeben wurde und zu einem Organ des Linksliberalismus der Kaiserzeit wurde. Von Stoecker trennte er sich, nicht zuletzt wegen seiner Ablehnung des Stöckerschen Antisemitismus. Heuss zitiert aus einer Rede Naumanns aus dem Jahr 1903: „Ich habe den antisemitischen Gedanken nicht behalten und mit Bewusstsein nicht behalten, weil ein großes Volk imstande sein muss, auch Elemente fremder Stämme, seien es Juden oder Polen, zu assimilieren und in seine Geschichte hineinzuzwingen.“ So zu lesen wohlgemerkt in einem deutschen Buch aus dem Jahr 1937! Ab 1907 war Naumann mit Unterbrechungen Reichstagsabgeordneter, 1919 Mitglied der Nationalversammlung mit dem Mandat der von ihm mitgegründeten Deutschen Demokratischen Partei. Bereits im August 1919 ist er in Travemünde gestorben.

Ein reichliches Jahr nach Ausbruch des Weltkrieges hat Naumann sein Buch „Mitteleuropa“ veröffentlicht. Es war nach „Kaisertum und Demokratie“ sein zweites bedeutendes und viel gelesenes Buch. Dort, in seinem ersten Buch, hatte er die Möglichkeiten einer demokratischen Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung bedacht, wenn sie auf dem Fundament einer stabilen und stabilisierenden Macht ruht, die nicht von Mehrheitsentscheidungen in´s Wanken gebracht werden kann und die für den Ausgleich und die Zähmung auseinanderstrebender Partikularinteressen oder lautstarker Minderheiten zu sorgen in der Lage ist. Für heutige Leser vielleicht fremd, oder doch nachdenkenswert? In einer Gedenkveranstaltung zum Jubiläums des Grundgesetzes sagte neulich ein Redner: Seit seiner Verabschiedung hat das Grundgesetz 237 Änderungen und Ergänzungen erlebt. Es ist nach jeder einzelnen von ihnen eher schlechter geworden.

Aber zurück zu Naumanns Buch. „Mitteleuropa“ erschien noch in der Zeit, als im Reich alle Debatten über Kriegsziele untersagt waren, damit keinem Zweifel am Charakter des Krieges als einem den Deutschen aufgezwungener Verteidigungskrieg gewollt oder ungewollt Vorschub geleistet werden konnte. Dennoch rührten sich bereits Stimmen, die von einem Siegfrieden und von Annexionen im Osten und im Westen und in Übersee sprachen.

Naumann war zwar überzeugt von der militärischen Stärke Deutschlands und der Mittelmächte. Gleichwohl hielt er nichts von den Gedankenspielen der Alldeutschen. Winkler charakterisiert Naumanns Buch sicher nicht ganz unzutreffend als „Bibel des moderaten deutschen Weltkriegsimperialismus.“

Naumann rechnete 1915 mit einem unentschiedenen Ausgang der kriegerischen Handlungen. Aber wie kann eine Nachkriegsordnung aussehen? Eine Aussöhnung mit Frankreich hat er lange für möglich gehalten. Jetzt glaubte er nicht mehr daran, zu intensiv sind dessen Bindungen an England und Russland. Darum setzte er seine Hoffnungen auf einen starken Pfeiler in der Mitte Europas, der in einer Jahrhunderte langen gemeinsamen Geschichte gewachsen ist – errichtet auf dem Erbe des Kampfes zwischen Rom und Byzanz, gereift in konfessionellen Kriegen, gestählt in der Abwehr der Türken, geprägt durch eine reiche Kultur und eine starke Wirtschaft in Industrie und Landwirtschaft. Damit sind die Stichworte genannt, denen Naumann in seiner Erzählung folgt, ein zeitgeschichtlich interessanter, aber oft durchaus auch heute lesenswerter anregender Text!

In weiten historischen Bögen, mitunter in ganz eigenwilligem prophetischem Pathos entfaltete Naumann seine Vision von einem starken Mitteleuropa, gruppiert um die Machtzentren Berlin, Wien und Budapest:

„Wir ahnen in Nord und Süd, dass wir noch weiteren schweren Dingen in der Zukunft entgegengehen, dass die Welt für uns voll dunkler, unheimlicher Gefahren bleibt; wie schützen wir uns da gegenseitig, dass nicht eines Tages aus irgendeinem menschlichen Grunde die Gemeinsamkeit nicht da ist? Der Schutz liegt sicherlich nicht in bloßen Staatsverträgen. Es lässt sich zwischen souveränen Staaten kein Vertrag formulieren, der nicht seine Ritzen und Lücken hätte. Der Schutz liegt in der Vielseitigkeit des staatlichen, wirtschaftlichen und persönlichen Zusammenlebens, im freiwilligen und organisierten Überfließen des einen Körpers in den anderen, in der Gemeinschaft der Ideen, der Historie, der Kultur, der Arbeit, der Rechtsbegriffe, der tausend großen und kleinen Dinge. Nur wenn wir diesen Zustand der Wesensgemeinschaft erlangen, sind wir ganz fest verkettet. Aber schon der Wille, ihn zu erreichen, ist unendlich viel wert. Im Sinne dieses Willens verkünden wir Mitteleuropa als Ziel der Entwicklung.“

Ich will eine längere Passage aus Naumanns Buch wiedergeben, um sein Denken in dieser Zeit (1915!) zu vermitteln:

„Wir wollen versuchen, das neue überstaatliche Gebilde der Menschheitsgruppe Mitteleuropa etwas genauer soziologisch zu begreifen. Wir betrachten also die drei relativ fertigsten Großkörper: Großbritannien, Amerika, Russland. Jeder dieser Körper ist an Umfang und Masse gewaltiger, als es Mitteleuropa je werden kann. Im besten Falle kann, soweit heute Menschenaugen sehen, Mitteleuropa der vierte Weltstaat werden. Von den drei ersten, schon aus der vorhergehenden Periode hervorgebrachten Weltstaaten ist der russische am meisten auf Zwang, der amerikanische am meisten auf Freiwilligkeit gegründet; England steht in der Mitte. Darüber, ob Zwangsbildung oder Freiwilligkeitsbildung dauernder und fester ist, lässt sich kein allgemeines Gesetz aufstellen, da beide Prinzipien, sobald sie übertrieben werden, den Staat zersprengen. Jeder übernationale große Staat ist ein Kunstwerk, ein Wagnis, ein täglich sich erneuernder Versuch. Er ist wie eine große Maschinerie, die beständig irgendwo repariert werden muss, damit sie arbeitsfähig bleibt. Und wie jedes Kunstwerk bestimmt wird durch den Künstler und den Stoff, so erwächst der Großstaat aus der führenden Nation und den begleitenden Völkern, aus den Ideen und Sitten der Herrschenden und den Qualitäten der Beherrschten, aus dem Können großer Männer und dem Willen breiter Massen, aus Geschichte, Geographie, Landwirtschaft, Handwerk und Technik. Dieser seelische Charakter des Großstaates darf nie außer acht gelassen werden, wenn man sein Wesen begreifen will. Eine bloß mechanistische Betrachtungsweise nützt gar nichts. Je größer und je gebildeter und anspruchsvoller die zu regierenden Mengen werden, desto mehr Elastizität gehört zu ihrer Leitung, eine Elastizität, die als Erbweisheit von Geschlecht zu Geschlecht übernommen werden muss. Diese richtige Mischung von Einheitszwang und Freiheitsgewährung wirkt als Anziehungskraft gegenüber den mitfolgenden Teilen.“

In der letzten Phase des Weltkrieges bemühte sich Naumann, seine Ideen in die politische Wirklichkeit einfließen zu lassen. Die Verhandlungen um einen Frieden mit Russland in Brest-Litowsk begleitete er engagiert und erlebte etwas ratlos und überrascht das erste Auftreten einer ukrainischen „Rada“ als Völkerrechtssubjekt und den nicht wirklich geglückten Versuch eines Ausgleichs mit polnischen Interessen. Er unternahm kräftezehrende Reisen in das Gebiet der Mittelmächte, im Oktober hielt er mehrere Vorträge bei der Obersten Heeresleitung in Spa. Sie zeugen von Naumanns Ringen um Ideen für eine Nachkriegsordnung in Mitteleuropa, seiner Skepsis gegenüber Präsident Wilsons Völkerbund-Programm, dessen Rationalismus er abwehrt in seiner naturrechtlichen Begrifflichkeit und in dem „durch die Schwierigkeiten der Welt hindurchmoralisierenden Pathos“, wie Theodor Heuss schreibt.

In Aufsätzen und in einer seiner letzten großen Reden vor dem Reichstag machte Naumann deutlich, dass er deutlicher als früher nicht allein die materiellen Interessen, die Nützlichkeitserwägungen als ausschlaggebend für die Entschlüsse der Nationen beurteilt, „sonst wäre es gar nicht zum Kriege gekommen. Es lebt außer dem Nutzen noch vieles andere im Blut und im Gehirn der Völker, tiefe, unterirdische Strömungen, verborgener Hass, angeborene Kriegshaftigkeit, alte Natur, sei sie gut oder böse. Ist der jetzige Wilsonsche Völkerbund wirklich etwas Ewiges, wofür es sich verlohnt Opfer zu bringen wie für ein Reich Gottes auf Erden? Ist er die Vollendung der christlichen Verheißung, dass es einen Hirten und eine Herde geben soll, ist er die Verwirklichung des wunderbaren Traumes der Menschlichkeit, den gerade unsere deutschen Dichter und Denker in ihrer Seele trugen? Oder ist er nur Ausdruck eines gewöhnlichen Aufklärungsoptimismus, der das für wahr hält, was er wünscht, ein Kunstprodukt der theoretischen Vernunft, ein gespensterhaftes Gebäude, in dem die Delegierten der Nationen teils sich vergnügen, teils sich zanken?“

In manchen dieser Überlegungen klingt das an, was Heinrich August Winkler wie bereits erwähnt als moderaten Weltkriegsimperialismus bezeichnet hat. Naumanns Vertrauen auf eine deutsche Führungsrolle ist als solches natürlich überholt, zum Glück. Er selber hat das nachhaltig erlebt und erlitten. Aber dahinter steht vielleicht eine Einsicht, die wir nicht vorschnell abtun sollten, die Überzeugung Naumanns, wie sehr demokratisch organisiertes Zusammenleben etwa in einem mitteleuropäischen Großstaat eines stabilen Machtzentrums bedarf. Der viel zitierte Satz eines deutschen Verfassungsrechtlers, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung von Voraussetzungen lebt, die sie selbst nicht schaffen kann (und darf!), findet hier vielleicht seine entscheidende Ergänzung.

Mir liegt jede plakative Polemik oder kurzschlüssige Programmatik im Gefolge Naumanns fern, für oder gegen seine Überlegungen. Dafür gibt es Berufenere. Ich habe auch keine Vorstellung davon, wie lebendig seine Gedanken in der nach ihm benannten Stiftung oder in der FDP sind, die sich in seiner Tradition sieht. Nein, nur das Nachdenken darüber, wie es mit der deutschen Geschichte auf ihrem langen Weg in den Westen weitergehen kann, weitergehen soll und weitergehen wird, es lässt mich nicht los. Und – ich suche Mitdenkende…

Einen wichtigen Baustein im Lebenswerk von Friedrich Naumann habe ich bisher gar nicht erwähnt, obwohl er für sein Bemühen, dem Projekt Mitteleuropa eine Seele zu geben, ganz entscheidend ist. Er gehörte 1907 zu den Mitbegründern des Werkbundes, einer Vereinigung von Künstlern, Architekten, Formgestaltern, Publizisten und Politikern, die für die deutsche Kulturlandschaft entscheidende Impulse gegeben hat, im Bauhaus, in Hellerau und an vielen Orten, in Ateliers und Werkstätten. Ach, das hat mehr Bestand als alle politischen Ideen. Am Ende wäre der Grundsatz „Form folgt der Funktion“ auch hilfreich für eine Gestaltung des Gemeinwesens, nüchtern, nicht ausufernd in den Ländereien von Absurdistan, aber resilient gegenüber allen Welterlösungs- oder Weltuntergangsparolen, die oft so schwer voneinander zu unterscheiden sind. Wie gut ließe es sich dann leben in Mitteleuropa.

Christoph Ehricht

Heimatliebe und doppelter Boden

von Bettina Zarneckow

„Weißt du, was ich damit verbinde“, fragte ich meine Tochter und zeigte ihr eine alte lederne Reisetasche? „Mit ihr ist dein Großvater immer in den Westen gefahren.
Bis auf sein Insulin und sein Spritzbesteck, das er wegen seiner Diabetes stets dabei haben musste, war sie da noch leer, dann aber auf der Rücktour voll schönster Dinge, die wir uns gewünscht hatten oder mit denen er uns überraschte.“


Mein Vater war Invalidenrentner und durfte mehrmals im Jahr nach Westdeutschland und Westberlin reisen.
Einmal im Jahr erhielten Ostdeutsche bei der Einreise in den Westen dreißig Deutsche Mark, ab 1988 hundert DM. Das Geld war schnell ausgegeben und so kam er auf die Idee, „Ostmark“ zum Umtausch mit hinüber zu nehmen. Im Wissen, dass das verboten war, suchten meine Eltern ein geeignetes Versteck. Sie entdeckten in besagter Reisetasche einen doppelten Boden, unter dem mein Vater, sicherlich mit erhöhtem Pulsschlag, DDR-Mark über die Grenze schmuggelte.
Wir Zurückgebliebenen sorgten uns und mussten darauf vertrauen, dass bei der Ausreise alles gut gegangen war. Heute würde man selbstverständlich zum Smartphone greifen und die Bangenden nach überstandener Grenzkontrolle von der Sorge befreien.

„Wenn du mir früher davon erzählt hast, ist mir gar nicht bewusst gewesen, was es bedeutet hat, dass dein Vater in den Westen fahren konnte und ihr nicht mit durftet“, antwortete meine Tochter.
„Ja, ich verstehe, dass das heutzutage schwer vorstellbar ist“, entgegnete ich, „die Westreisen deines Großvaters waren dabei für alle anstrengende, aufregende, schöne und auch bedrückende Unternehmungen.“

Meistens fuhr die ganze Familie nach Berlin. Unsere Mutter, meine Schwester und ich brachten unseren Vater zum berüchtigten Tränenpalast in der Friedrichstraße. Bis zu einer Absperrung in der Halle konnten wir ihn begleiten. Er passierte dann Kontrollen und musste durch eine schwere Tür, deren strammer Schließmechanismus sich schwer bewältigen ließ. War er hindurch, schloss sie sich blitzartig und unser Vater musste wie jeder Ausreisende aufpassen, dass er sie nicht in den Rücken bekam. Neben strengstem Kontrollpersonal war das eine entwürdigende Schikane der DDR.

Wenn unser Vater nicht mehr zu sehen war, immer ein merkwürdiges Gefühl, begannen wir unseren Tag im Osten Berlins. Wir parkten unseren Wartburg im Parkhaus des Hotels Metropol und schlenderten als erstes durch den dortigen Intershop. Oft bummelten wir Unter den Linden und schauten auf das Brandenburger Tor und die Siegessäule, die scheinbar nah und doch unerreichbar war. Ein Tag in der Hauptstadt der DDR war jedes mal etwas Besonderes. Zu Mittag aßen wir gerne im Café Moskau in der Frankfurter Allee und sahen uns anschließend in der nahe gelegenen Spittelmarktboutique um. In meinem Schrank hängt heute noch eine rosafarbene Bluse vom letzten Besuch damals. Am späten Nachmittag holten wir unseren Vater wieder vom Bahnhof Friedrichstraße ab. Beim Warten sprach mich einmal ein Mann an und ließ eine Handvoll Kleingeld in meine Jackentasche rieseln. Er reise wieder nach Westberlin zurück und es mache ihm Spaß, mir eine Freude zu machen. Ein Rückumtausch in DM wäre nicht möglich, weil das Geld in der DDR bleiben müsse.

Dass der Eiserne Vorhang ein wenig durchlässiger wurde, Besuchsreisen wie die meines Vaters erlaubt und sogar Ausreisen genehmigt wurden, war der Ostpolitik von Willy Brandt zu verdanken, der Moskau und auch Warschau in die Verhandlungen mit der DDR einbezog. Das war Staatskunst, eine Außenpolitik und Diplomatie, wie ich sie heute vermisse! Diese Neue Ostpolitik heute als falsch zu bezeichnen, empfinde ich mehr als taktlos, ja sogar als Affront gegen uns, die wir in der DDR geblieben sind und als Faustpfand für den Frieden in Europa herhalten mussten.

Wie kam es eigentlich ohne Gegenwehr der drei westlichen Schutzmächte zum Bau der Mauer?
Dazu ein Zitat der Bundesstiftung Aufarbeitung zum 13. August 1961:

Die drei Schutzmächte sehen keinen Grund für Gegenmaßnahmen und bleiben gelassen: US-Präsident John F. Kennedy segelt vor Massachusetts, der britische Premier Harold Mac Millan jagt in Schottland, der französische Präsident Charles de Gaulle erholt sich in der Champagne. Alle drei sehen in der Abriegelung lediglich eine Festschreibung der politischen Realität. Kennedy stellt lapidar fest: „Wir werden jetzt nichts tun, denn es gibt keine Alternative außer Krieg.“


Ausreisende aus der DDR, waren es Republikflüchtlinge oder legal Ausreisende, hatten so manche Hürde zu nehmen, wenn sie im Westen angekommen waren. Allen war klar – sie mussten in ein sogenanntes zentrales Aufnahmelager. Neben dem in Gießen und Uelzen war das bekannteste wohl in Berlin Marienfelde. Auch zwei Arbeitskollegen von mir durchliefen dieses Lager. Mein Kollege kehrte nach einem Verwandtenbesuch in Westberlin nicht mehr zurück. Seine Lebensgefährtin stellte daraufhin einen Ausreiseantrag. Als die Aussicht auf Genehmigung bestand, verkaufte sie mir ihren Trabant und legte dieses Geld vornehmlich in teurer Kleidung an, soweit sie zu bekommen war. In einem gerade eröffneten Strickladen in Neuberesinchen ließ sie sich einige Pullover stricken. Viel durfte sie nicht mitnehmen. „Ich möchte schon gut gekleidet im Westen ankommen“, so ihr Anspruch. Im Aufnahmelager gab es Befragungen durch die Geheimdienste der Alliierten und den BND. Flüchtlinge und Aussiedler mussten zwölf Stempel von unterschiedlichen Behörden einholen. Durch die bröckelnde Stabilität der DDR war das Lager Marienfelde zu dieser Zeit, Ende der 80er, vollkommen überfüllt. Die Bedingungen für deutsche Übersiedler, nach der Grünenpolitikerin Göring-Eckardt: Ossis mit Migrationshintergrund, waren nicht rosig. Das wussten die meisten und nahmen es mit einem gewissen Unverständnis aber dennoch gerne in kauf.

Was geschah nach dem Aufenthalt im Lager? Der Berufsabschluss meines Arbeitskollegen als Meister der Fotografie wurde nicht anerkannt, ebenso wenig wie der seiner Lebensgefährtin. Sie war Chemielaborantin. Ich habe mich immer gefragt, welche Maßstäbe bei solchen Entscheidungen angelegt wurden. Wir konnten alle lesen, schreiben und rechnen. In der DDR herrschte ein Bildungskanon, was klassische Literatur betraf. Wir lernten Gedichte auswendig und ein Abwählen von Fächern, wie Geographie, Geschichte oder Biologie gab es nicht. Die Grundlagen des Fotografenhandwerks waren die gleichen.
Mein Arbeitskollege musste dennoch einen nunmehr kostenaufwendigen Meisterlehrgang wiederholen. Er arbeitete deshalb zunächst als angestellter Fotograf, bevor er sich selbstständig machen konnte.

Was haben DDR-Bürger nicht alles ertragen, wenn sie ins „gelobte Land“ wollten. Ein Land, das Karl Eduard von Schnitzler in seiner Montagssendung „Der schwarze Kanal“ in den schwärzesten Farben malte. Die BRD war der Klassenfeind mit menschenverachtender Politik, laut Schnitzler.
Dass er bei den meisten Ostdeutschen genau das Gegenteil von dem bewirkte, was er bezweckte, konnte „Sudel-Ede“, wie er auch genannt wurde, wohl nicht erkennen.

Die Menschen der DDR sehnten sich nach freier Meinungsäußerung und offenen Grenzen. Ich wollte aus vollem Herzen das Lied der Deutschen singen, konnte es auswendig – die Deutsche Nationalhymne von Heinrich Hoffmann von Fallersleben mit allen Strophen. Ich wollte ein wenig Nationalstolz zeigen, was ich in keiner Weise als anstößig empfand. Denn ich fühlte mich als Deutsche, als Mensch mit der gleichen Geschichte wie unsere Schwestern und Brüder im freien Teil unseres gemeinsamen Landes. Heimatverbundenheit, Vaterlandsliebe, das durfte ich nur in innerer Emigration empfinden. Heimatverbundenheit mit dem freien Land meiner Eltern und Großeltern, nicht aber mit der DDR.
Aus heutiger Sicht – bin ich deshalb rechts?
Nach dem Mauerfall und in den folgenden Jahren kamen wir „Ossis mit Migrationshintergrund“ dann ins Staunen… War das – ist das die Freiheit, für die wir 1989 auf die Straße gegangen sind?

Zurück zu meinem Vater. Wir hatten nie Sorge, dass er von einer Besuchsreise ins „kapitalistische Ausland“ nicht mehr zurückkommen würde. In Frankfurt (Oder) lebte seine Familie, hier war sein Kleingarten, den er Jahr für Jahr mit Herzblut bestellte und reichlichen Ertrag erntete. Für uns, für seine Frau und seine Kinder – das war Heimat!

Zur Teilung und Wiedervereinigung ein Auszug aus „Heimat und Sprache“ (1992) von Hans-Georg Gadamer:
Er beschreibt, „wie die Rückkehr aus dem Exil ein neuer Bruch sein kann oder den alten Bruch noch einmal wie einen Schmerz fühlbar macht.
Wir erleben es auch in Deutschland, was ein solcher Bruch ist, der das Gespräch schwer macht. Beide Partner eines Gesprächs stehen vor einer neuen Aufgabe, eine neue Identität zu finden. Wie groß die Kraft des Geistes und des Herzens sein mag, der Mensch kann Zeit nicht zurückholen. Wozu wir zurückkehren, ist anders geworden, und ebenso ist anders geworden, wer zurückkehrt. Zeit hat beide geprägt und verändert. Für jeden, der zurückkehrt, ist die Aufgabe, in eine neue Sprache einzukehren. Es ist ein Hauch von Fremdheit an allem, wohin man zurückkehrt.“