Trabi, Stau und harte Währung

Eine politische Rückschau? Nein, die möchte ich nicht halten. Auch die derzeitige Lage meines Vaterlandes möchte ich nicht betrachten, nachdem ich nun 35 Jahre Bundesbürger bin.
Nur einige Erinnerungen.

Kurz nach der Wende überschwemmten unbekannte Dinge den Osten. Auf dem Markt vor dem Frankfurter Rathaus rätselten meine Mutter und ich, was das wohl für eine exotische Kartoffelsorte sei, deren Schale so pelzig war. Die Verkäuferin klärte uns auf: Kiwis. Das Stück für eine Mark. (Das war noch vor der Währungsunion. Danach wurden unsere Ersparnisse quasi halbiert, der Stückpreis für Kiwis aber auch gesenkt.)
Nein, wir mussten nicht gleich alles probieren und gingen weiter.

Eine Arbeitskollegin war vor der Wende in den Westen ausgereist und hatte mir ihren Trabi verkauft. Mein erstes Auto. Ich hütete es wie meinen Augapfel und stattete es aus. Fell als Schonbezug, ein Kissen für die Rückbank, den Aschenbecher funktionierte ich zur Ablage um und schlug ihn mit Filz aus. Ein Bekannter meiner Mutter reparierte dies und das an meinem Auto und „motzte“ es ein wenig auf. Es machte ihm Spaß. Wo er die Ersatzteile herbekam, blieb sein Geheimnis. Wir trafen uns in seiner Garage, unterhielten uns gern und stundenlang über Autos, Fußball, Gott und die Welt. Ich saß auf seiner Werkbank, während er an meinem Auto schraubte. Ein Autoradio wollte er noch einbauen.

Das kaufte ich mir kurz nach dem Mauerfall im KaDeWe. Am Staunen über ALLES waren wir DDR Bürger sofort zu erkennen. Der Verkäufer schlug vor, ich solle das Blaupunkt Radio, das ich mir ausgesucht hatte, einige Straßen weiter in einem Geschäft kaufen, das das gleiche Radio wesentlich billiger anbieten würde. Das war für mich nicht zu verstehen. War ich doch Festpreise (EVP) gewöhnt. Wieso sollte es dieses Radio woanders preisgünstiger geben? Ich kaufte das Radio mit integriertem Kassettenteil und vier Lautsprecherboxen natürlich im KaDeWe und war glücklich über den Sound in meinem „Weggefährten“.

Das Wort Stau war meiner Mutter und mir kein Begriff. Wenige Monate nach der Wende kauften wir für meine Mutter einen roten Opel Kadett. Wir bestellten und holten ihn aus Bochum ab. Mein Cousin wohnte dort und arbeitete bei den Opelwerken. Der Wagen war natürlich mit einem Autoradio ausgestattet. Auf der Nachhausefahrt hörten wir mehrfach Staumeldungen. Hatte das für uns eine Bedeutung? Nein, wohl nicht. Erst, als der Verkehr zähflüssig wurde und wir schließlich zum Stehen kamen, begann es uns zu dämmern. Nicht nur dass die Fahrt ohnehin schon ein Abenteuer war, standen wir nun auch noch in unserem ersten „dicken“ Stau.


Nach der Wende konnte man sich kaufen, was das Herz begehrte. Man brauchte nur genügend Geld.
Damals in der DDR hatte man Geld, nur seine Wünsche konnte man damit regelmäßig nicht erfüllen. Es sei denn, man hatte Beziehungen oder startete ungewöhnliche Aktionen. Ein Bekannter wollte sein Bad neu fliesen.
Fliesen? Richtig, Mangelware. Er hatte gehört, dass am nächsten Tag beim VEB Baustoffversorgung Frankfurt (Oder) Fliesen an Privatpersonen abgegeben werden sollen. Ansich belieferte die Baustoffversorgung nur Betriebe. Das Prinzip, wer zuerst kommt, mahlt zuerst, war vielen DDR Bürgern in Fleisch und Blut übergegangen. Also bekam der Mann von seiner Frau Stullen geschmiert, eine Thermoskanne mit heißem Tee, einen Schlafsack, eine Decke und übernachtete vor der Baustoffversorgung. Nicht allein, wie er tags darauf erzählte. Diese Idee hatten auch andere. Seine Nacht war kurz, unterhaltsam und er bekam seine Fliesen.

Verschiedene Dienstleistungen dauerten in der DDR eine halbe Ewigkeit. Fast alles wurde damals zur Reparatur gebracht. Fernseher, Tonbandgeräte, Plattenspieler, Kassettenrekorder, Schuhe, Strumpfhosen, Staubsauger, Uhren. Meine Lieblingsarbeitskollegin, eine herzliche, gepflegte und attraktive Frau, brachte ihre Armbanduhr zum Uhrmacher nebenan und bat mit einem Augenaufschlag um schnellstmögliche Reparatur. Der klein geratene, in seiner ganz eigenen Uhrenwelt lebende Uhrmacher versprach, offenbar von ihr angetan, die Fertigstellung schon zum nächsten Tag. Am folgenden Tag holte sie ihre Uhr ab. Sie bekam sie heil und poliert vom Meister zurück und zückte erfreut ihr Portemonnaie.
Wenig später fand ich sie vollkommen geknickt an ihrem Schreibtisch. „Stell dir vor, Betti“, und sie erzählte mir: „Weil ich so eitel bin, du kennst mich ja, Betti, habe ich beim Suchen nach Trinkgeld für den Uhrmacher auf meine Brille verzichtet. Ich wusste, dass ich ein Fünfmarkstück habe, fand und gab es ihm. Eben schaue ich in mein Portemonnaie und sehe, dass ich ihm fünf Westmark gegeben habe. Die Geldstücke haben doch eine ähnliche Größe.“ Das ließ sich natürlich nicht mehr rückgängig machen. Was das für ein schmerzlicher Verlust war, kann man sich heute nicht mehr vorstellen! Wenn wir uns treffen, lachen wir darüber, aber einen kleinen Stich gibt es immer noch.


Wer etwas Besonderes wollte, kaufte im Chic-Laden. Auch hier galt: wer zuerst kommt…
Ich brauchte Übergangsschuhe und versuchte mein Glück. Wunderbar, ein paar weiße Stiefel im Westernstyle. Ich fand sie todschick. Es gab sie aber nur in Größe 40 und mit einem kleinen Produktionsfehler. Egal! Meine Größe 39 wurde nicht geliefert, also nehme ich sie eine Nummer größer und trage sie mit einem paar dickeren Socken. Der Fehler, ein kleiner Riss auf dem Spann, weshalb sie wahrscheinlich nicht „nach drüben“ gegangen sind, ist zu vernachlässigen. Ab zur Kasse und 400 Mark auf den Tisch gelegt, das mehrfache meines Lehrlingsgehalts.
Wie viele Jahre ich die Stiefel getragen habe, das weiß ich nicht mehr. Die Absätze jedenfalls ließ ich mir mehrmals besohlen. Jetzt gibt es sie nur noch in meiner Erinnerung und auf Fotografien. Vieles ist eben längst Geschichte.



Bettina Zarneckow

„Trabant“ stammt aus dem Slawischen und bedeutet Begleiter oder Weggefährte.

Geschichten aus der Rathenaustraße – Frankfurt (Oder) nach dem Krieg Teil 2

Bettina Zarneckow

Fleischerei Steinecke, Rathenaustraße

Die Umstände des Krieges hatten dafür gesorgt, dass meine Großeltern kein Auto mehr hatten. Nur ein Fahrrad besaß die Familie noch mit einem Transportkorb. Gefahren wurde dieses von den Angestellten, um Ware von Laden zu Laden zu bringen. Ein Geselle hatte einmal voller Tatendrang versucht, meiner Großmutter das Fahrradfahren beizubringen. Beide gaben schließlich auf.

Ein Transportmittel musste her. Es wurde unbedingt benötigt, um Fleisch heranzuholen, das dann in der eigenen Werkstatt, auch in einer Fleischerei hießen so die Arbeitsräume, verarbeitet und für den Verkauf fertiggemacht wurde.

Wie und woher mein Großvater in den Besitz eines Anhängers kam, das wusste meine Mutter nicht mehr. Aber er war Gold wert. Voll beladen mit Fleisch wurde er von einem Pferd vom Schlachthof in der Lebuser Vorstadt etwa 5 Kilometer zum Geschäft gezogen. Das Pferd lieh sich mein Großvater von Herrn Schulz. Einige Frankfurter werden sich an seine Firma Kohlen Schulz im Stadtteil West erinnern. Auf Dauer war das aber zu schwer für das Tier und so wurde ein Vertrag mit der Straßenbahngesellschaft geschlossen, eine Zugvorrichtung gebaut und der Hänger für die Fleischerei wurde am Schlachthof an einen Wagon der Straßenbahnlinie 2 angehängt und bis zur Straßenbahnhaltestelle August-Bebel-Straße mitgezogen. Ein Bild, an das sich so mancher Bewohner der Stadt heute noch erinnert. Mein Großvater lief dann mit Angestellten zur Haltestelle. Zusammen brachten sie den Hänger zum Geschäft.

Meine Großeltern beauftragten den Automechanikermeister Enge, für sie ein Auto zu beschaffen. Die Autowerkstatt Enge befand sich August-Bebel – Ecke Markendorfer Straße (heute Gebäude Zeugen Jehovas). Es gab weder Neu- noch Gebrauchtwagen und so baute Herr Enge aus Einzelteilen einen Wagen vom Typ Wanderer auf. Benzin bekam man nur auf Zuteilung. Es musste ein Fahrtenbuch geführt werden und am Monatsende wurde abgerechnet. Das tat mein Großvater bei der Tankstelle in der Kantstraße und erhielt nach korrekter Abrechnung Benzinmarken für den nächsten Monat.

Mit 17 Jahren, im Jahr 1951, machte meine Mutter ihren Führerschein bei Georg Kuck in der Markendorfer Straße – Ecke Puschkinstraße. Im September konnte sie ihre Fahrerlaubnis bei der Polizei in der Halben Stadt abholen und so fuhr auch sie fortan mit dem Firmenwagen durch Frankfurt. Sie war zeitlebens eine begeisterte Autofahrerin.

Im Dezember 1951 kam noch ein weiteres Fahrzeug der Marke Opel hinzu. Noch nicht sehr erfahren im Umgang mit einem Auto, blieb meine Mutter eines Tages in der August-Bebel-Straße genau vor der Hindenburg-Kaserne (gelbe Kaserne) stehen. Der Motor des voll beladenen Autos ging einfach aus. „Und nun?“, fragte ich sie. „Hast du einen Schreck bekommen? Was hast du dann gemacht?“ „Wie ich es bei anderen Autofahrern in ähnlicher Situation beobachtet hatte, stieg ich aus dem Auto aus und öffnete sachkundig die Kühlerhaube. Feststellen konnte ich nichts, aber es dauerte nicht lange, da kam ein junger russischer Soldat aus der Kaserne. Ohne ein Wort zu sagen betrachtete er die Lage, schaute sich die Messanzeigen des Cockpits an und verschwand wieder, um nach kurzer Zeit mit einem Kanister wiederzukommen. Er befüllte den Wagen mit Benzin, schloss die Kühlerhaube und gab mir zu verstehen, dass ich meine Fahrt fortsetzen könne. Und tatsächlich, das Auto sprang an und ich fuhr nach Hause. Seitdem habe ich die Benzinanzeige meines Autos immer im Auge.“

August-Bebel-Straße, früher Hindenburgstraße. Turm rechts – gelbe Kaserne früher Hindenburgkaserne (Bild aus privater Sammlung)

Ihr neun Jahre älterer Bruder Kurt konnte zu dieser Zeit im Geschäft nicht mithelfen. Zunächst kam er 1948 aus Kriegsgefangenschaft heim. Dann wurde er 1950 von den Russen in Haft genommen. Man warf ihm Spionage vor. Weil er im Notizbuch eines bereits inhaftierten Deutschen stand, kamen bewaffnete russische Soldaten und ein Offizier eines Tages in den Verkaufsraum der Fleischerei und fragten in gebrochenem Deutsch nach Kurt Steinecke. Bevor sie ihn mitnahmen, zog sich mein Onkel noch um und bat seine Mutter, ihm doch für unterwegs ein paar Stullen zu schmieren. Bis an ihr Lebensende hat meine Großmutter den Schmerz nicht verwunden, dass sie ausgerechnet diese Bitte ihres Sohnes in ihrer Angst und Aufregung nicht erfüllte. Sie hatte es einfach vergessen.

Wahrscheinlich saß er zunächst im Gefängnis in der Collegienstraße. Mit dieser Vermutung nahm sich meine Mutter Trixie, den Foxterrier der Familie, und fuhr dorthin. „Ich wusste nicht, was ich damit erreichen wollte, aber ich lief mindesten zwei Stunden am Gefängnis entlang und um das Gefängnis herum, tat immer so, als würde ich den Hund erziehen, ihm „Stöckchenholen“ beibringen oder ähnliches. Jedenfalls rief ich immer laut nach Trixie, um meinen Bruder wissen zu lassen, dass ich da bin, falls er mich hören konnte.“

Rosemarie und Trixie

Dann wurde er für ein Jahr nach Potsdam in die Untersuchungshaftanstalt des Geheimdienstes Militärspionageabwehr der sowjetischen Besatzungsmacht gebracht und zu 25 Jahren Besserungsarbeitslager mit Einziehung des Vermögens verurteilt. Er kam nach Workuta, einer russischen Stadt vor dem Ural. 1955 erreichte Konrad Adenauer durch Verhandlungen in Moskau die Freilassung noch immer inhaftierter deutscher Kriegsgefangener und Zivilinternierter. In Güterzügen kehrten die Gefangenen nach Deutschland zurück. Aber wann? Geregelte Fahrpläne gab es für diese Züge nicht. Und so fuhr meine Mutter wann immer sie Zeit hatte zum Frankfurter Güterbahnhof, A.-Bebel – Ecke Fürstenwalder Straße, um ihren Bruder nicht zu verpassen. Eine bekannte Familie, die Besitzer der Tankstelle in der Kantstraße, bot an, beim Eintreffen jedes Zuges aus Richtung Osten, bei meinen Großeltern anzurufen. Viele Mitmenschen im Stadtteil West nahmen Anteil am Schicksal des Sohnes des Fleischermeisters Paul Steinecke.

Dann kam die Nachricht und meine Mutter fuhr zum Bahnhof. Ganz sicher sollte Kurt Steinecke in diesem Zug sein. Aber niemand durfte die Wagons verlassen. Sie blieben verschlossen. Warum? Dafür gab es keine Erklärung. Der Zug fuhr weiter nach Potsdam. Meine Mutter mit dem Auto hinterher, um ihren Bruder nach Hause zu holen. – Ja, er war in diesem Zug und konnte ihn in Potsdam verlassen. Über seine Zeit in Sibirien hat mein Onkel kaum etwas erzählt.

Ein Film, bei dem er bei mehrmaliger Ausstrahlung keinen einzigen Teil verpasste war: „So weit die Füße tragen“ (1959), nach dem gleichnamigen Roman von Josef Martin Bauer. Im Lexikon des internationalen Films heißt es dazu: „Der Film war‚ Balsam‘ für die Seele des Volkes, da ein unbescholtener Deutscher in der Rolle des Kriegsopfers gezeigt wurde.“ Scheinbar war er auch Balsam für die Seele meines Onkels.

Kurt 1950

Im Jahr 2013 recherchierte ich über die Geschichte der August-Bebel-Straße. Dazu rief ich bei Herrn Glöckner an. Inhaber der Drogerie und des Fotogeschäftes Glöckner – alteingesessener Frankfurter. Seine Kenntnisse zum Stadtteil West waren sehr hilfreich und ebenso interessant. Am Ende unseres Gespräches, wir kennen uns persönlich eigentlich nicht, fragte er etwas zögerlich, ob er mich einiges zu Kurt Steinecke fragen könnte. Er wäre doch wohl mein Onkel gewesen und er wisse zwar, dass er von russischen Offizieren abgeholt wurde, aber warum, das konnte sich damals niemand erklären. Die Betroffenheit im Viertel wäre sehr groß gewesen. Ich habe gerne geantwortet. Seine Anteilnahme am Schicksal meines Onkels, fast sechzig Jahre später, hat mich sehr berührt.

Gleich nach der Wende 1989 kaufte sich mein Onkel ein neues Auto. Natürlich einen Mercedes. Eine seiner ersten Fahrten führte ihn nach Potsdam. Er hatte lange überlegt, ob er sich das Gefängnis noch einmal ansehen sollte. Zusammen mit seiner Frau irrte er in Potsdam umher. Ein Navi hatte sein Auto noch nicht. Und so hielt er schließlich an einem Taxistand, um sich den Weg beschreiben zu lassen. Als der Taxifahrer den Grund seines Besuches erfuhr, war er sehr bewegt und sagte zu meinem Onkel, er solle ihm hinterherfahren. Natürlich würde er ihn dort hinbringen, selbstverständlich kostenfrei. Das wäre das Mindeste, was er für ihn tun könnte. Als er das später meiner Mutter erzählte, waren beide zu Tränen gerührt.

Briefkarte meiner Mutter an ihren Bruder ins Arbeitslager. Lange Briefe durften nicht geschrieben werden oder kamen nicht an. Von diesen offenen Karten konnte nur die Rückseite beschrieben werden. Alles wurde kontrolliert. Einige dieser Karten brachte mein Onkel mit zurück. Meine Mutter hat sie aufbewahrt. Die von ihm geschriebenen sind nicht mehr auffindbar. Ein Auszug: „…. Ich will Deine Fragen beantworten. Seit Dezember haben wir noch einen Opel. Er steht im Zickenstall – Garage. Ich fahre alle beide. Wir warten bloß darauf, daß alle vier Plätze besetzt werden. Läßt Du mich dann auch ab und zu mal fahren? Ich tue es nämlich schrecklich gern. … Wir denken nur an Dich! Dein Röschen

Ein Jahr nach seiner Rückkehr aus Sibirien, heiratete mein Onkel 1956. Zusammen mit meinen Großeltern und meiner Mutter, die inzwischen den Beruf der Fleischverkäuferin erlernt hatte, arbeitete er nun wieder im Geschäft mit. 1950, noch bevor er inhaftiert wurde, hatte er seinen Meisterprüfung bestanden. Seine Frau Ursula war gelernte Buchhalterin und arbeitete auf dem Gutshof Nuhnen. Wann sie begann im Familienbetrieb mitzuarbeiten, ist unklar, aber bis zur Schließung des Geschäftes Ende der siebziger Jahre war sie mit dabei. Die Verhandlungen mit den Russen bezüglich des Kühlraums und der darin befindlichen Ware führte fortan mein Onkel. Er war bei ihnen nun ein gefragter Mann, weil er ihre Sprache sehr gut beherrschte. 1958 starb mein Großvater. Die Geschäfte mussten ohne das Familienoberhaupt weiterlaufen.

Hatte ich eigentlich erzählt, wie alles begann?

Meine Großmutter war gelernte Fleischverkäuferin und arbeitete in der Fleischerei Rumpel im Stadtzentrum Frankfurts. Dort war sie erste Verkäuferin, wie man es damals nannte. Das Geschäft und das Gebäude gibt es heute nicht mehr. Eines Tages kam Herr Rumpel zu ihr, legte ihr eine Fleischerzeitung vor und sagte: „Emma, wir benötigen dringend einen Meister hier in unserem Geschäft. Und sie suchen jetzt aus diesen Stellenanzeigen einen geeigneten heraus.“ Meine Großmutter, Emma Schlenz, wählte Paul Steinecke aus, Fleischermeister, geboren in Thüringen, der bis dahin bei seinem Onkel August Steinecke in Hannover arbeitete und dort das Handwerk gelernt hatte. 1924 heirateten sie in Frankfurt (Oder) in der Friedenskirche.

Emma und Paul Steinecke