Krieg in Israel und Gaza

Vor drei Monaten habe ich mich zum vom Minister Habeck nach dem 7.12.23 verkündeten Aufruf , „die Sicherheit Israels und seiner Bürger ist Staatsraison Deutschlands“, ziemlich skeptisch geäußert.
Klang Habecks den Staat Israel vereinnahmende deutsche Staatsraison nicht wie ein “my country right or wrong“ ?

Bei Habeck ist nunmehr das große Schweigen angesagt, immerhin noch mutig angesichts der Irrungen und Wirrungen der Ampel.

Die Außenministerin Baerbock hat Israel aufgefordert, „im Einklang mit den jüngsten Anordnungen des Internationalen Gerichtshofes“ die Angriffe auf Rafah einzustellen. „Das internationale Völkerrecht, das humanitäre Völkerrecht, es gilt für alle, das gilt auch für die israelische Kriegsführung.“
Die Außenministerin lässt einen alten Hirsch springen und fordert den Vollzug der seit 1948 von der UNO-Vollversammlung beschlossenen Zweistaatenlösung. China ist mit den USA dabei, Russland schweigt sich offenbar noch aus. Und immer wieder die Aufforderung an Israel, das Völkerrecht einzuhalten, so zuletzt vom Bundeskanzler.

Nun aber schnell weg von der allgemeinen Salbaderei und in kleinen Schritten genüsslich zu den Untiefen der Berliner Politik.
Was geschieht im Falle der Verkündung eines Haftbefehls durch den Internationalen Strafgerichtshof gegen den Ministerpräsidenten und den Verteidigungsminister von Israel im Fall ihrer Visite in Deutschland, sei es nur zu einem Verwandtenbesuch? Selbstverständlich werde das Völkerrecht eingehalten, so schmallippig ein Sprecher der Bundesregierung. Werden die beiden Staatsmänner, ihre Immunität hin oder her, in Deutschland verhaftet werden, wenn sie sich nach Deutschland trauen sollten? Beschluss ist Beschluss, so unvernünftig er auch sein mag? Gibt es schon Planungen für ihre hoffentlich wenigstens komfortable Unterbringung in einer deutschen Haftanstalt? Vorsorglich auch für den russischen Präsidenten Putin, alles am besten in einem sicheren Zweckbau? Erst Staatsraison und nunmehr überlegen wir, wie zwei Minister von Israel in Untersuchungshaft genommen und dann an einen offenbar wild gewordenen Internationalen Gerichtshof ausgeliefert werden, der jedenfalls Maß und Mitte verloren hat?

Was gilt es noch zu rühmen? Der Terror vom 7.10. wird bei jeder öffentlichen Äußerung erst einmal kurz und knapp verdammt, ein bei jeder anständigen Diskussion einzuhaltendes Ritual. Für die angeblichen Freunde Israels ergibt sich daraus die Berechtigung, einfühlsam auf die Einhaltung des Kriegsvölkerrechts durch Israel beim Kampf gegen die Terroristen zu bestehen. Und die ganz Klugen sprechen in genauer Darstellung der Lage, die für die Zivilbevölkerung in Gaza in der Tat grauenhaft ist, auch gerne vom Dilemma, in dem sich Israel befinden würde. Von Hamas gemacht und von Israel nach den Regeln des Völkerrechts aufzulösen, eine tolle Strategie.

Israel befindet sich in keinem Dilemma, es weiß genau, worum es geht und handelt danach.
Die Israelis kämpfen nicht erst seit dem terroristischen Überfall der Hamas um ihr Überleben, sondern seit der Staatsgründung im Jahre 1948. Wer angreift, wird bekämpft, derzeit ist die Hamas, seit vielen Jahren in einer wie wir jetzt wissen verhängnisvollen Weise auch von Israel geduldet, der zu vernichtende Feind.

Was an Opfern vermeidbar gewesen ist, über die Berechtigung von Taktik und Strategie entscheiden dabei nicht das Geschwätz der Anständigen in den Talkshows, die Demonstranten in aller Welt oder sich einfältig stellende Internationale Strafgerichtshöfe, sondern die Militärstaatsanwaltschaft und die Gerichtsbarkeit in Israel. Wer Israels Strategie beim Kampf gegen die Hamas kriminalisiert, spricht Israel voreilig ab, ein Rechtsstaat mit arbeitenden Gerichten zu sein.

Die Hamas kann sich bei Gefahr ihrer sofortigen Vernichtung durch Israel an keinerlei Regeln des Kriegsvölkerrechts halten. Das ist ihre Strategie und alle haben es kapiert. Von Israel wird in diesem Krieg also etwas verlangt, was Hamas weder einhalten kann noch will, der Schutz der Zivilbevölkerung vor dem Krieg.
Insofern wäre es jedenfalls verständlich, dass Israel das Völkerrecht nur reziprok zum Verhalten von Hamas beachtet. Was ungeachtet der unzweifelhaft katastrophalen Situation der Zivilbevölkerung im Gazastreifen mangels völliger Unkenntnis von der Lage insgesamt, so der militärischen Stärke der Hamas, hier aber nicht beurteilt werden soll.

Das Dilemma, das uns alle angehen muss, ist der Erfolg der von der Hamas gewählten partisanischen, jetzt heißt es deregulierten Kriegsführung. Dies alles in einem Hyperinformationszeitalter – mit List und Tücke glauben Aktivisten, so jeden Krieg gewinnen zu können. Die gar nicht so neue Kriegsführung hat hier und jetzt eine besondere Qualität, weil die Unterdrückten und Beladenen in einer Welt ohne wirkliche Grenzen dabei sein sollen.
Deshalb müssen wir zulassen, dass (nicht weil, so einfach ist das für uns) Israel mit dem Kampf gegen die Hamas eine weltzerstörerische Idee (zumindest vorerst) ins Abseits stellen wird. Niemand sollte es sich zutrauen, das durch eine von Menschenrechten geleitete Politik verhindern zu können.

Allerdings muss jenseits aller forschen Sprüche der Zivilbevölkerung im Gaza ein Ausweg eröffnet und sofort geholfen werden. Dabei rede ich nicht so sehr über die so notwendige und dringliche humanitäre Hilfe.

Es geht um das Wort Hoffnung für die Bewohner des Gazastreifens.
Der Verteidigungsminister Joaw Galant fordert, dass Israel nach Ende des Krieges kein Besatzungsregime in Gaza aufbaut. Drittstaaten oder die UNO sollen in Kooperation mit den Bewohnern von Gaza beginnen, eine Verwaltung aufzubauen. Gegenwärtig übernimmt dagegen die Hamas „die Geschäfte“, wenn Israel Gebiete in Gaza freigibt. Ziel und Hoffnung muss sein, dass Einheimische nach Ausschaltung der Hamas Gaza regieren. Galant meint es ernst, er fordert Neuwahlen, weil die extremistischen Kräfte der Regierung seinen Weg ablehnen.

Statt voller Pathos Forderungen wie die seit 1948 nicht gelungene Zweistaatenlösung anzumahnen, sollte Deutschland intensiv Gespräche mit allen Beteiligten führen (wirklich allen, dazu könnten auch Hamas- Leute gehören, ich denke an die Komitees für deutsche Geistliche und Offiziere, die während des 2. Weltkrieges von der Sowjetunion gebildet wurden) .
Dabei sollte nicht Fürsorge, sondern das Interesse Deutschlands im Vordergrund stehen. Die weltweite Propagierung eines internationalen Bürgerkrieges durch Aktivisten, deren Beweggründe angesichts der Leiden der Palästinenser nicht wenige sehr wohl überzeugen, mittels einer menschenverachtenden, sich an keinerlei Regeln haltenden Strategie, muss verhindert werden.

Ist denn ein Krieg in Europa nicht genug?

Warum sollte Deutschland nicht einen Plan vorlegen, der nicht nur unter Ausnutzung der noch vorhandenen Strukturen die Versorgung von Gaza in umfangreicher Kooperation mit den Einheimischen sichern hilft, sondern in gleicher Weise durch Zuerkennung von Zuständigkeiten auch den Wiederaufbau einer Verwaltung schon jetzt (!) ermöglicht?
Warum nicht den Sprung ins Undenkbare wagen und deutsche Verwaltungsbeamte und Polizisten, meinetwegen auch Soldaten, zur Hilfe vor Ort anbieten. Zunächst in enger Kooperation mit Israel und denen, die vor Ort etwas zu sagen haben und eine Kooperation nicht verhindern wollen?
Darüber sollte geredet werden. Vielleicht geschieht das schon. Schön wäre es, ich glaube leider nicht, dass unser Außenamt davon etwas versteht.

Deshalb Neuwahlen!

Reinhart Zarneckow

Gott schütze Israel vor der Staatsraison Deutschlands

Der Terrorangriff der Hamas vom 7.10.23 auf Israel und die von Hamas begangenen Massaker und Geiselnahmen führten am 1.11.23 zu einer großen Ansprache des Wirtschaftsministers Robert Habeck an die Deutschen. Die Sicherheit Israels und seiner Bürger ist Staatsraison Deutschlands, „ sie ist ein historisches Fundament dieser Republik“. Der Gewalt kann nicht mit Friedfertigkeit begegnet werden. Das Recht Israels, sich zu verteidigen, darf nicht bestritten werden.

Vergleichbare Erklärungen zur deutsch-israelischen Staatsraison erfolgten später vom Bundeskanzler, dem Verteidigungsminister und dem Bundesjustizminister. Sie sind im Koalitionsvertrag der Ampel und einer Rede von Angela Merkel im Jahr 2008 vor der Knesset zu finden.

Den Vollzug der großmündigen Erklärungen erleben wir derzeit im Wochenrhytmus.

„Israel wird von Bundeskanzler Scholz gewarnt, die internationalen Friedensbemühungen im Gazakonflikt durch eine Offensive in Rafah zunichtezumachen“ (FAZ vom 18.3.24).
Vergleichbare Äußerungen einschließlich der öffentlichen Aufforderung an den Ministerpräsidenten Netanjahu zur sogenannten Zweistaatenlösung liegen auch von Außenministerin Baerbock und anderen vor. Der gemeinsame Nenner besteht, unter Hinweis auf die Zerstörungen, tausenden Verletzten und Toten im Gazastreifen, in der Forderung an Israel, das Völkerrecht einzuhalten.
Wie auch immer angesichts von todesmutigen Terroristen, die nicht aufgeben wollen?

An dieser Stelle schiebe ich ein, dass in Israel eine strikte Trennung zwischen der Regierung und der Armeeführung besteht. Das militärische Vorgehen, und somit die Einhaltung des Völkerrechts, bestimmt die Armee vor Ort, nicht die Regierung.

Handeln nach der Staatsraison bedeutet „im Konfliktfall“, wenn es um die Existenz eines Staates geht, „notfalls die Rechtsordnung und die allgemeinen Moralitätsregeln zu durchbrechen“ (bei Georg Fichtner, “Machiavelli und der Gedanke der Staatsraison“).
Staatsraison ist offenbar eine Lehre, so “mächtig gewaltig, Egon“, dass sie einem Verfassungsstaat wie Deutschland in keiner Weise entspricht, anders dagegen Israel, einem seit seiner Gründung um seine Existenz ringenden Staat.

Ich sehe zudem Probleme. Ein Randstaat wie Deutschland dehnt seine illegitime Staatsraison einseitig und unaufgefordert auf Israel aus? Und er darf nunmehr, ungeachtet einer den Terror der Hamas weit in den Schatten stellenden deutschen Geschichte, Israel zur Einhaltung des Völkerrechts ermahnen?
Selbst wenn es um Israels Existenz geht? Gibt es irgend jemand mit Verstand, der den strategischen Sinn des Terrorangriffs der Hamas anders als auf die Vernichtung Israels ausgerichtet sieht?

Kulturforum Görlitzer Synagoge

Ich breche ab, mein Misstrauen gegenüber den Treueschwüren von Scholz, Habeck und Co ist hinlänglich beschrieben.

Dabei gab es eine Zeit, in der die Bundesrepublik (alt) kein Randstaat mit flotten Sprüchen, sondern der erste Helfer des um seine Existenz ringenden, im Jahr 1948 gegründeten Staates Israel war.
Dahinter verbarg sich eine „knallharte“ bundesdeutsche Interessenpolitik, die Ben Gurion und Konrad Adenauer mit dem Existenzrecht Israels auf einen Nenner brachten.
1952 verpflichtete sich die Bundesrepublik, 3,45 Milliarden DM an Israel zu zahlen, von den Deutschen als „Wiedergutmachungsabkommen“, von Ben Gurion mit “Schilumim“ (hebräisch, etwa Strafzahlung) unter heftigem Protest der israelischen Öffentlichkeit durchgedrückt. In Deutschland wurde dem Abkommen im Bundestag mit knapper Mehrheit und vielen Gegenstimmen der Union zugestimmt.

Der Bundesrepublik, mit Adenauer an der Spitze, ging es nach der Kapitulation von 1945 um die Wiederufnahme in den Kreis der „zivilisierten Nationen“, sie wollte Souveränität und Handlungsfreiheit erlangen, siehe “Von wegen Wunder der Versöhnung“, FAZ, 12.3.24.

Die Zahlung der Milliarden erfolgte in Form von Sachleistungen wie Maschinen und erwies sich deshalb als Konjunkturprogramm für die deutsche Wirtschaft. Der junge Staat Israel konnte wiederum seine eigene Industrie aufbauen.
Deutschland entwickelte sich zum wichtigsten Unterstützer Israels. Es ist die Rede davon, dass Israel auch militärisch von Deutschland unterstützt wurde, deshalb vielleicht sogar den Sechstagekrieg im Jahr 1967 gewann. Selbst das angebliche Atomprogramm der Israeliten soll im wesentlichen durch die Deutschen finanziert worden sein – dies alles unter größter Geheimhaltung.

Dabei standen für Deutschland die eigenen Interessen im Vordergrund.
Die diplomatische Anerkennung Israels erfolgte erst 1965, nicht weil Israel zögerlich war, sondern weil die Deutschen Nachteile bei den arabischen Staaten befürchteten. Eine lange und dumme Geschichte mit der Überschrift Hallstein-Doktrin, die ich mal eben weglasse.
Die Betonung liegt auf Interessen, deren nüchterne Behandlung beiden Staaten geholfen hat.
In der Folge, als belastete und sich dennoch keinesfalls schuldig fühlende Politiker wie Adenauer nicht mehr das Sagen hatten, wurden die Deutschen mit dem Anspruch der 68er auf ein Bekenntnis der Schuld ihrer Eltern, „nach Auschwitz“, und einem unsäglichen Selbstverständnis eigener Unschuld konfrontiert.

Das Bewusstsein, dies durchgestanden zu haben, veranlasste vielleicht die Bundeskanzlerin Angela Merkel, vor der Knesset im Jahre 2008 die Mär von der auf Israel erweiterten deutschen Staatsraison zu erzählen. Der derzeitige Bundeskanzler verband zuletzt ganz unbefangen seine Botschaft von der Solidarität mit Israel mit einem Hinweis auf das unbedingt einzuhaltende Völkerrecht. Zu wessen Nutzen erfolgen solche Sprüche?

Und wie ist das deutsche Befinden heute?

In einem Bericht von Oliver Jungen (FAZ 16.3.24) über das Lesefestival “lit.Cologne“ wird Deborah Feldmann mit dem Spruch über die „perfide Verdrehung des Antirassismusvorwurfs“ im Sinne einer „Massenhysterie“, angeheizt durch die Medien, zitiert.
Im gleichen Bericht ist von den “mitunter neurotischen Philosemitismus“ die Rede, den die Autorin Dana von Suffrin mit „Stil, Witz und historischem Feingefühl“ in ihrem deutsch-israelischen Familienroman “Nochmal von vorne“ aufgreifen würde.

Wir haben in Deutschland offensichtlich einige Probleme.
Ich werfe einen ersten Stein ins Wasser. Sollten wir mit unserer Mission, wenn es denn sein muss, nicht ganz bescheiden an die Adenauerzeit anknüpfen? Mit der Analyse der Interessen der vielen Menschen aus fremden Ländern in unserem Land beginnen, einen Ausgleich oder auch Auswege suchen? Nein, das wäre nicht die Lösung – dafür aber ein Anfang.
Und dabei haben Menschen wie Deborah Feldmann mit einem Punkt, den ich ihr in den Mund lege, weil er auch meinem Denken entspricht, vielleicht recht: Wir sollten gegenwärtig nicht so sehr dem Staat Israel (oder auch anderen Staaten) vorgeblich uneigennützig helfen wollen. Israel verteidigt sich auf der Grundlage seiner Staatsraison besser alleine und ohne deutsche Ansprache von der Seitenlinie.
Wir haben aber das Interesse an der Verhinderung von neuen Flüchtlingskrisen aus dem Nahen Osten. Das muss unsere Politik gegenüber allen Staaten bestimmen.

Wir sollten im eigenen Interesse den Menschen in Gaza und im Westjordanland ohne viel Geschrei helfen. Vielleicht gelingt den Deutschen dann einiges Gute, nicht nur bei den Geiseln. Einige Deutsche sollten ja noch Erfahrung damit haben, mit der anderen Seite (aha, natürlich sind wir bei Israel) ohne moralischen Aufschlag zu reden, weil alles andere so eine Sache ist, von wegen unserer Geschichte und so weiter.

Und vielleicht hilft das Israel mehr als das Wedeln mit der Staatsraison, ein Instrument nach dem Motto “hilf dir selbst“, in deutschen Händen für Israel eher gefährlich.

Reinhart Zarneckow

Kulturforum Görlitzer Synagoge